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Panorama

Paris: Zeit für kritische Fragen

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Die Ermittlungen rund um die Terroranschläge in Paris werden klären müssen, ob man die Taten der polizeibekannten Djihadisten nicht hätte verhindern können. Unterdessen machen auch erste Verschwörungstheorien die Runde.

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Die Terroranschläge in Frankreich sind erst wenige Tage alt, da machen die ersten Beanstandungen hinsichtlich der Informationspolitik der staatlichen Stellen und auch die ersten Verschwörungstheorien rund um das Ereignis die Runde.

Es gibt einige Faktoren im Umfeld der Attentate, die aus Sicht der einen die Grenzen auch eines sicherheitspolitisch hochgerüsteten Staates aufzeigen, aus Sicht der anderen jedoch Anhaltspunkte für die Annahme liefern, dass im Falle der „Charlie Hebdo“-Attentäter vielleicht doch eine gravierendere Form von Versagen im Bereich der Terrorismusprävention vorliegen könnte. So kennt Frankreich beispielsweise die Vorratsdatenspeicherung, die Kooperationsebene mit der NSA ist der spanischen Zeitung „El Mundo“ zufolge – eine Stufe unter jener mit Deutschland – offiziell auf Level 3 und damit auf jener der begrenzten Kooperation angesiedelt, was nahe legt, dass Paris die Telekommunikationsüberwachung im eigenen Lande lieber in Eigenregie betreibt.

Vielfach wurde auch die Frage aufgeworfen, woher die Täter die Waffen gehabt hätten, die beim Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins verwendet wurden. Diese Frage ist nach wie vor offen und es ist unklar, wie lange es dauern wird, bis es diesbezüglich Klärung geben wird. Allerdings dürfte diese auch keine wesentliche Relevanz im Hinblick auf ein mögliches Versagen der Sicherheitsbehörden im Vorfeld aufweisen, da es im kriminellen Milieu Frankreichs, zu welchem die zum Teil mit Gefängniserfahrungen ausgestatteten Brüder Chérif und Saïd Kouachi Zugang hatten, längst auch Bezugsquellen für automatische Waffen gibt.

Aufsehen erregte auch das professionelle militärische Vorgehen der im Zuge der Geiselbefreiung im Koscher-Supermarkt getöteten Extremisten. Und gerade dies nährt umso stärker die Spekulationen rund um die Frage, ob man den Anschlag auch vorhersehen oder verhindern hätte können.

Einer der Brüder inhaftiert, der andere auf der Terrorliste

Die beiden Attentäter waren keine unbeschriebenen Blätter, die sich heimlich radikalisiert und ohne Vorwarnung losgeschlagen hätten. Die Terroristen waren nicht nur in Frankreich selbst polizeibekannt, wobei der Chérif Kouachi im Jahre 2008 infolge terroristischer Aktivitäten zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde, weil er dabei half, Kämpfer in den Irak zu schleusen.

Darüber hinaus stand Saïd Kouachi auch auf der US-Terrorliste. Er soll sei 2011 einige Monate bei einem al-Qaida-Ableger im Jemen im bewaffneten Kampf ausgebildet worden, berichteten der Fernsehsender CNN und die „New York Times“. Beide berichten, dass auch die USA die beiden Brüder im Visier gehabt hätten. Die Kouachi-Brüder standen zudem auch auf der „No-Fly-Liste“ der USA, die ihnen eine Einreise in die USA mit dem Flugzeug unmöglich gemacht hätte. US-Geheimdienste gehen derzeit der Frage nach, ob tatsächlich, wie die Attentäter in den Redaktionsräumen in Gegenwart der einzigen überlebenden Zeichnerin Corinne Rey gesagt haben sollen, die al-Qaida-Zelle im Jemen den Anschlag befohlen habe. Einen Hinweis darauf soll es bis dato jedoch noch nicht geben.

Was darüber hinaus noch für Aufsehen sorgt, ist, dass der französischen Tageszeitung „Le Point“ zufolge einer der Attentäter eine Identitätskarte in einem der Fluchtautos hinterlassen haben soll. Dieser geradezu amateurhafte Fehler passt wenig mit dem sonst höchst professionellen Vorgehen der Brüder zusammen.

Attentäter kannten die Gewohnheiten der Redaktion in Paris

Auch zeigen sich einige Beobachter darüber verwundert, dass die Attentäter angesichts der Tatsache, dass ihnen deren Karikaturen ein Dorn im Auge gewesen sein sollen, das Archiv der Zeitung und Festplatten unangetastet gelassen haben. Es wäre, so schreibt der allerdings im Verdacht verschwörungsideologischer Gesinnung stehende Journalist Thierry Meyssan auf „Voltairenet“, Erfahrungen mit djihadistischen Attentaten zufolge eher zu erwarten gewesen, dass die ihren eigenen Tod in Kauf nehmenden Täter nicht vor der Polizei geflohen wären, sondern stattdessen nach dem Muster ihrer Taten in allen ihren Operationen im Maghreb und in der Levante die Objekte zerstört hätten, die ihnen zufolge „Gott beleidigen“, bevor sie die „Feinde Gottes“ bestrafen.

Weniger spekulativ erscheinen hingegen andere Aspekte, die in einigen Publikationen aufgeworfen wurden, und die nicht nur darauf hinweisen, dass der Anschlag offenbar von langer Hand geplant war und die Täter die Abläufe innerhalb der Redaktion kannten (Zeitpunkt der wöchentlichen Redaktionssitzung), sondern auch darauf, dass trotz mehrfacher Anschläge in früheren Zeiten lediglich Personenschutz für den Chefredakteur, nicht jedoch Gebäudeschutz für das Gebäude selbst bestand.

Geringe Lebenserwartung im Amt als Polizeidirektor

Neben den toten Attentätern kann auch Helric Fredou, der 45-jährige stellvertretende Direktor der Kriminalpolizei in Limoges, diese Fragen nicht mehr beantworten. Die Aussicht, in einem der spektakulärsten Kriminalfälle der letzten Jahre in ganz Frankreich zu ermitteln, vermochte Fredou nicht von seinen Depressionen zu lösen, an denen dieser der Polizeigewerkschaft zufolge gelitten habe, bevor er sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag mit seiner Dienstwaffe das Leben nahm – noch vor Anfertigung des Berichtes zur Befragung der Familie eines der Opfer, die er kurz zuvor noch vorgenommen hatte.

Ein Zusammenhang mit dem Fall ist jedoch fraglich. Eher scheint der Posten, den der ledige und kinderlose Fredou bekleidet hatte, schon als solcher nicht mit allzu viel Lebensfreude verbunden zu sein. Immerhin hatte erst im Vorjahr auch Fredous Amtsvorgänger im Alter von 44 Jahren sich selbst gerichtet.

PKK vermutet türkischen Geheimdienst hinter den Anschlägen

Die Richtungen, in welche die Verschwörungstheorien, die längst in den sozialen Medien die Runde machen, laufen, sind höchst unterschiedlich. Einige wollen in dem Anschlag eine gelenkte oder bewusst zugelassene Attacke erkennen, deren Ziel es sei, im Sinne einer Strategie der Spannung die Feindseligkeit zwischen Muslimen und Nichtmuslimen anzufachen. Dann gibt es wieder Stimmen, die entweder den US-Geheimdienst verdächtigen, Frankreich für die Forderung nach einer Aufhebung der Sanktionen gegen Russland zu bestrafen, oder aber umgekehrt im Auftrag des Kreml den Unmut in der Bevölkerung über die Unterstützung der syrischen Rebellen anzufachen.

Die bislang originellste Verschwörungstheorie hat jedoch ohne Zweifel die terroristische PKK geliefert. Ihr zufolge soll der türkische Geheimdienst die Redaktion von „Charlie Hebdo“ für ihre solidarische Haltung gegenüber der kurdischen Terrororganisation bestraft haben.