Connect with us

Politik

Erstmals Ruanda-Völkermordprozess in Frankreich

Spread the love

20 Jahre nach dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda begann am Dienstag in Frankreich der Prozess gegen einen mutmaßlich daran beteiligten Offizier. Frankreich galt zuvor als ein geruhsames Exil für ehemalige Beteiligte des Genozids. (Foto: reuters)

Published

on

Spread the love

In Paris begann am Dienstag der Prozess gegen Pascal Simbikangwa. Es ist der erste Prozess seiner Art in Frankreich. Ein Schwurgericht wird in den nächsten acht Wochen in Paris versuchen, herauszufinden, wie weit der frühere ruandische Hutu-Militär in den Genozid involviert war, der 1994 über 800 000 Menschen das Leben kostete. Ihm werden Beihilfe zu Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er streitet die wider ihn erhobenen Vorwürfe ab.

Wer ist Pascal Simbikangwa?

Hierzulande, aber auch in Frankreich nahezu unbekannt ist der heute 54-jährige Pascal Simbikangwa. Im ruandischen Volk ist er hingegen durchaus ein Begriff. Im Prozess wird man ihm vorwerfen, er habe die Schlächter mit Waffen versorgt und aufgepasst, dass sie „gut arbeiten“ und so viele Tutsi wie möglich töten. Sein Anwalt sagt, er könne beweisen, dass dies nicht stimme. Im Falle einer Verurteilung droht Simbikangwa lebenslange Haft.

Im Jahre 2008 wurde der mutmaßliche Massenmörder mit falschen Papieren festgenommen. Als „Safari Senyamuhara“ hatte er über 3000 falsche Ausweisdokumente hergestellt. Das Geschäft soll ihm über 80 000 € eingebracht haben. Im Zuge ihrer Ermittlungen stellten die Behörden seine wahre Identität fest: Pascal Simbikangwa, gesucht von Interpol. In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, findet sich sein Name unter jenen der 2890 Völkermordverdächtigen der „1. Kategorie“. In dieser sind jene Köpfe versammelt, die für die Planung und Durchführung des Völkermordes verantwortlich gemacht werden.

Pascal Simbikangwa wurde 1959 in einem ländlichen Dorf als eines von sieben Kindern geboren. Aus dem gleichen Dorf stammt auch der spätere Präsident Juvénal Habyarimana (1973-1994). Der Name Simbikangwa bedeutet in der Landessprache Kinyarwanda „Ich habe keine Angst“. 1978 trat er in die Militärakademie in Kigali ein und diente von 1981 an in der Gendarmerie, bevor er in die Präsidentengarde aufstieg und dort schnell zum Hauptmann befördert wurde.

Seit einem Autounfall im Jahre 1986 ist er gelähmt und an den Rollstuhl gebunden. So landete der damals 27-Jährige beim Militärgeheimdienst und wurde zwei Jahre später Stellvertretender Direktor des Service Central de Renseignement (SCR), einer Stelle, die dem Präsidenten direkt untergeordnet ist.

Tutsi und Hutu – Eine koloniale Idee

Die Patriotische Volksfront Ruandas (FPR) der Tutsi griff Ruanda 1990 aus dem Grenzgebiet Ugandas heraus an. Während Pascal Simbikangwa die Situation nutzte, um seine Position im Machtapparat weiter auszubauen – denn er galt als Anhänger der „Hutu-Power“ – gipfelte dies vier Jahre später in jenen knapp hundert Tagen zwischen dem 6. April und dem 4. Juli 1994, die als der Völkermord an den Tutsi in die Geschichtsbücher eingegangen sind.

Simbikangwa ist in die Gründung des privaten Radios Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) involviert. Das Freie Radio der „Tausend Hügel“, wie Ruanda auch gerne genannt wird, rief während dieser Schreckenstage zum Hass auf und strahlte eine maßlose Anti-Tutsi-Propaganda aus. Später wurde es dafür vom Internationale Strafgerichtshof für Ruanda als eines der Hauptinstrumente des Völkermordes anerkannt.

Vor der Kolonialisierung lebten Hutu und Tutsi gemeinsam mit den Twa. Jene Namen waren keine ethnischen Zuordnungen. Sie unterteilten die Bevölkerung in Bauern, Viehzüchter und Handwerker. In einer Volkszählung Anfang der 1930er-Jahre legten die belgischen Kolonialherren fest, wer Tutsi und wer Hutu ist – je nachdem, wie viele Rinder die Familien hatten.

Während der Kolonialzeit wurden die Tutsi zunächst gefördert, dann aber von den Hutu an der Macht abgelöst. Jahre im Exil und eine Unterdrückung der Tutsi im Stile des weißen Apartheid-Regimes folgten unter der Präsidentschaft von Juvénal Habyarimana. Dabei wurde er maßgeblich von Frankreich unterstützt. Für Frankreich ging es nur darum, weiter einen Einfluss auf die Françafrique auszuüben.

Der Prozess in Frankreich

Der Völkermord endete mit der Einnahme der Hauptstadt Kigali durch die Tutsi-Befreiungs-Armee. Das Versagen der Internationalen Gemeinschaft während des Genozids ist offensichtlich. Doch gerade das Verhältnis zwischen dem neuen Machthaber Kagamé und Frankreich ist angespannt. Frankreich hatte Gefolgsleuten des heutigen Präsidenten vorgeworfen, für den Abschuss des Flugzeuges des damaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana im April 1994 verantwortlich zu sein. Dies war der Startschuss für die Hutu-Milizen gewesen, sich an der Tutsi-Bevölkerung zu vergreifen. Das nicht gerade zimperliche Regime Kagamés wiederum wirft Frankreich vor, den Hutu-Milizionären bei ihrem Rückzug und der Flucht aus Ruanda geholfen zu haben.

Etwa 1000 Verantwortliche des Genozids wurden vor dem Sondergerichtshof in Tansania zur Verantwortung gezogen. Dieser wird aber keine weiteren Urteile fällen, weshalb es nun zu einem Prozess in Frankreich kommt. Denn Frankreich will Simbikangwa auch nicht ausliefern, da es bezweifelt, dass er dort auf ein faires Verfahren hoffen könne.

Der ruandische Justiz-Minister Johnston Busingye sagte gegenüber dem Magazin JeuneAfrique, dass der Prozess ein „gutes Zeichen“ sei: „Wir haben uns immer gefragt, warum es 20 Jahre gebraucht hat. Es gibt viele Verdächtige, die noch frei in Frankreich herumlaufen.“ Etwa 2 Millionen Menschen wurden in so genannten Gacaca-Verfahren, einer Form der traditionellen Rechtsprechung, in Ruanda selbst verurteilt. Hier kam es in der Vergangenheit aber immer wieder auch zu Problemen. Derweil wurden auch bereits in den Niederlanden, in Belgien, Schweden und Norwegen sowie der Schweiz Kriegsverbrecher verurteilt.

Beweisprobleme wegen ungenauer Zeugenaussagen

Auch in Deutschland geht gerade ein erster Prozess zu Ende. Dem ehemaligen Bürgermeister Onesphore Rwabukombe wird vorgeworfen, ein Massaker, bei dem Hunderte Menschen auf dem Kirchengelände des Dorfes Kiziguro getötet wurden, befehligt zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich minus sechs Jahre, nachdem der Prozess drei Jahre gedauert hatte. Das Urteil soll am 18. Februar fallen.

Der Prozess in Deutschland zeigt die Schwierigkeiten auf, vor den nun auch die französischen Richter stehen werden. In Deutschland mussten die Anklagen bezüglich zweier weiterer Massaker fallen gelassen werden, zu schwierig wäre eine Beweisführung geworden. Auch bei Pascal Simbikangwa beschränkt sich das Gericht auf wenige Punkte. Es wird sich zeigen, ob auch Simbikangwa auf lückenhafte und widersprüchliche Zeugenaussagen hoffen darf. Aus Ruanda hörte man im Umfeld von keinerlei Beeinflussung seitens der Regierung, doch Verbündete des Angeklagten sollen Druck auf Zeugen ausgeübt haben. Simbikangwa selbst hofft auf seine „guten Tutsi“ – jene, die er bei sich vor einem sicheren Tod bewahrt haben soll. Doch haben sich unter jenen Flüchtlingen drei zu Wort gemeldet, die bei Simbikangwa Waffen und Munition gesehen haben wollen.

Viel Arbeit liegt also vor dem Gericht, das gestern damit begonnen hat, den geschichtlichen Kontext aufzuarbeiten und Pascal Simbikangwa nach seinem Lebenslauf zu befragen. In den nächsten Wochen werden dazu 50 Zeugen gehört.