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Perinçek: „Nicht Erdoğan regiert die Türkei, die Türkei regiert Erdoğan“

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Immer wieder meldet sich ein Politiker einer türkischen Kleinstpartei zu Wort und bringt sich ins Gespräch. Seine Aussagen strotzen nur so vor Selbstbewusstsein, das man in der Türkei sonst nur von Präsident Recep Tayyip Erdoğan kennt. Dabei ist der greise Ultra-Nationalist der Vorsitzende einer Partei, die stets höchste Ziele verlautbart, aber auf deutlich weniger als ein Prozent Stimmenanteil kommt. Die Rede ist von Doğu Perinçek. Perinçek ist Gründer und Vorsitzender der Vatan Partisi. Bei den Präsidentschaftswahlen in 2018 kam sie auf 0,23 %. Doch möchte man seinen Aussagen Glauben schenken, hat man es mit dem geheimen Präsidenten der Türkei zu tun.

Perinçek: „Wir lenken die Regierung“

Nun gab Perinçek der Independent ein Interview. Auf die Frage „Sind Ihre Ideen an der Macht oder Sie selbst?“ antwortete der ehemalige Ergenekon-Verurteilte: „Zum Teil lenken wir die Regierung, wir sind ihr Partner. Sämtliche US-Medien und deutsche Medien schreiben das.“ Auf die weiterführende Nachfrage, ob die Vatan-Partei ein inoffizieller Partner der AKP-MHP-Koalition sei, reagierte er jedoch ablehnend. „Nein, wir sind kein Teil dieser Koalition. Aber weil die Vatan-Partei mit ihrer Strategie die Probleme der Türkei löst, folgen alle Regierungen unserer Partei. Für die Phase seit 2014 können wir sagen, dass nicht Tayyip Erdoğan die Türkei regiert, sondern die Türkei regiert Tayyip Erdoğan.“

Perinçek: Die Türkei regiert Erdoğan, nicht Erdoğan die Türkei

Aus dieser Perspektive betrachtet, befeuert Perinçek mit seiner Aussage sämtliche Theorien, wonach der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan spätestens seit 2014 in die Fänge des türkischen tiefen Staates geraten ist. Seither wird in Kreisen türkischer Politik-Analysten von einer geheimen Koalition zwischen Erdoğan und Perinçek ausgegangen. Dies würde auch die enorm harte Vorgehensweise der AKP gegen sämtliche Andersdenkende erklären. Denn die Methoden und die Härte der vergangenen Jahre erinnern gänzlich an die Zeit zwischen 1960 und 1980. In jenen zwanzig Jahren erlebte die Republik Türkei damals zwei Militärputsche und mehrere Memoranden.

Zusammenarbeit zwischen Perinçek und Erdoğan seit 2016 öffentlich

In einem Fernsehauftritt von 2016 in der Sendung des renommierten Talkshow-Moderators Fatih Altaylı deutete Perinçek erstmals öffentlich eine Koalition zwischen seinem militaristisch-linken Lager und der Erdoğan-AKP an.

„Nicht wir sind zu Erdoğan und seinen Leuten gegangen, sie sind zu uns gekommen.“ Erdoğan teile nun die Feindschaft zu Fethullah Gülen und seiner Bewegung, die einer der wichtigsten Antriebe für Dogu Perinçeks politischer Arbeit sei. „Wir haben ein Programm. Es geht darum, die Revolution Atatürks zu vollenden. Alle Religionsgemeinschaften und religiöse Orden werden wir vernichten. Atatürk sagte, die Türkei darf kein Land der Derwische und der Sheichs sein. Das ist ein Revolutionsprogramm. Tayyip Erdoğan hat unseren Standpunkt eingenommen und das macht uns äußerst glücklich, so viel kann ich sagen.“

Perinçek kommt frei und hält Brandrede

Blickt man noch weiter zurück, stößt man vor allem auf ein Ereignis, mit dem Perinçek in der Vergangenheit auf sich aufmerksam machen konnte. Es war eine dunkle und kalte Nacht im März 2014. Vor dem berüchtigten Silivri-Gefängnis in Istanbul versammelten sich damals dutzende Journalisten für eine spontane Pressekonferenz. Das Stichwort dazu: Ergenekon.

Die Mikrofone und Kameras fingen einen kleinen, älteren Mann mit einem aggressiven, aber siegessicheren Blick ein. Sein schwarzer Mantel erinnerte an sowjetische Offiziersuniformen und war streng bis zum Hals zugeknöpft. Es war eben jener Doğu Perinçek, der sprach und gleich deutlich wurde: „Sie haben uns im Ergenekon-Prozess verhaftet, um die Türkei zu spalten. Heute gehen wir aus Ergenekon raus (und verlassen das Gefängnis, Anm. d. Red.). Ihre Absicht war es, die Republik zu zerschlagen. Aber wir gehen heute aus Ergenekon raus. Wir werden alle religiösen Gemeinden und Orden ausrotten. Nun verlassen wir Ergenekon. Wie ein scharfes Schwert, das aus der Scheide gezogen wurde.“

Wen er damals mit religiösen Gemeinden meinte, dürfte heute kein Geheimnis mehr sein: Die Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen wurde in der Türkei nach der Korruptionsaffäre 2013 kriminalisiert und weitestgehend zerschlagen.

Alçı: Es gibt kein „Ein-Mann-Regime“

In einem TV-Auftritt hatte die regierungsnahe türkische Journalistin Nagehan Alçı zuletzt behauptet, dass die Türkei de facto von einer Dreier-Koalition regiert werde. Diese bestehe aus Recep Tayyip Erdoğan als StaatspräsidentDevlet Bahçeli (MHP) und Doğu Perinçek. In der Habertürk-Sendung widersprach Alçı der verbreiteten Ansicht, wonach es in der Türkei ein Ein-Mann-Regime gebe. „Die Türkei wird von einer Koalition regiert, die Erdoğan anführt, und an deren einem Ende Devlet Bahçeli und am anderen Ende geheime und offene Kräfte einschließlich Perinçek sitzen“, so die Journalistin.

Eine geheime Koalition

Alçı sprach in der Sendung von einer geheimen Koalition, die die Kräfte der alten Türkei mit einigen neuen Kräften bündele. Dabei sei Erdoğan sogar mehr als ein Staatspräsident, vielmehr ein „Başkan“, was auf Deutsch einfach nur Präsident bedeutet. Alçı besteht auf diesem Begriff, um damit klarzustellen, dass Erdoğan mehr ist, als die Staatspräsidenten vor seiner Amtszeit.

Perinçek lobte Erdoğan als den „islamischen“ Kemalisten

Doğu Perinçek überraschte darüber hinaus vor zwei Jahren mit einer Lobesrede auf den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan. Der in die Jahre gekommene Politiker (75) bezeichnete den Präsidenten als einen islamischen Kemalisten. „Atatürk hat Erdoğan in die richtige Bahn gebracht. Mit seiner Haltung gegen die USA, seiner Positionierung gegen die imperialistischen Kräfte, ist Erdoğan weit mehr Kemalist, als so mancher, der sich selbst als Kemalist bezeichnet, aber mit Amerika zusammenarbeitet“.

Mehr zu Doğu Perinçek lesen Sie hier: Der Unruhestifter.