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Politik

Phänomen Merkel

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Angela Merkel ist ein Phänomen. Die Kanzlerin ist so beliebt wie schon lange nicht mehr, obwohl viele Deutsche mit ihrer Politik nicht einverstanden sind. Von Günther Lachmann (Foto: ap)

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Phänomen Merkel
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Dabei sagen 54 Prozent der Bundesbürger, sie hielten die europäische Krise für das mit Abstand wichtigste politische Thema in Deutschland.
Längst ist den meisten Deutschen klar, dass Deutschland unter Merkels Führung tiefer in die europäische Schuldenkrise gerutscht ist. Immer mehr Bundesbürger haben wegen der sich weiter verschärfenden Krise inzwischen Angst um ihre Arbeitsplätze und sogar um ihr Erspartes.

Die Prognosen für die Konjunktur werden nach unten korrigiert, die Stimmung in der Wirtschaft trübt sich ein. Weil die von der Bundesregierung eingegangenen Zahlungsverpflichtungen für in Not geratene Länder bald Billionen-Dimensionen erreichen, fürchten die Menschen, die Krise könne zu einer ähnlichen Inflation wie in der Weimarer Republik führen und sämtliche Barvermögen vernichten. Sie bangen um ihre gesamte Existenz! So etwas hat es seit Generationen nicht mehr gegeben.

Wer Geld hat, holt es von der Bank und kauft Immobilien. Seither sind die Preise für Häuser und Grundstücke rasant angestiegen, nicht nur in der Hauptstadt Berlin. Und mit den Immobilienpreisen steigen die Popularitätswerte der Kanzlerin. Warum nur?

Das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Kanzlerin erscheint paradox. Das verdeutlichen auch die Meinungsumfragen. Denn obwohl die Deutschen gerade wegen der von Angela Merkel zu verantwortenden europäischen Krisenpolitik ängstlich in die Zukunft blicken, sagen 63 Prozent, die Kanzlerin mache ihre Arbeit beim Thema Euro „eher gut“. Das ist mit einem Anstieg von drei Prozentpunkten innerhalb von vier Wochen verbunden. Zu diesem Ergebnis kommt das aktuelle ZDF-Politbarometer. Auf der Liste der zehn wichtigsten Politiker steht Merkel wieder ganz oben.

Folglich sinkt auch die Zahl der Kritiker. Nur noch 28 Prozent halten Merkels Arbeit in der Krise für „eher schlecht“, das sind zwei Prozentpunkte weniger als vor zwei Monaten. Das hält die Deutschen aber nicht davon ab, Kritik an der Kanzlerin zu befürworten. Eine klare Mehrheit, nämlich 57 Prozent, befürworten die Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck an der Kanzlerin, der gesagt hatte, sie erkläre ihr Vorgehen in der Euro-Krise nicht ausreichend. Man könnte glatt irre werden am Verhältnis der Deutschen zu ihrer Kanzlerin.

Verständlich wird es vielleicht durch einen Blick auf die Opposition. An wen sollten sich die Bürger denn halten, würden sie sich tatsächlich von Merkel abwenden? SPD und Grüne unterstützen Merkels Politik fast genauso eindeutig wie die Union selbst. Vor allem in der Europapolitik gibt es bestenfalls marginale Differenzen. Und mit seinem Vorschlag, die Schulden aller Europäer zu vergemeinschaften, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel jetzt das zum Programm erklärt, was Merkel seit Langem still und heimlich praktiziert. Hinzu kommt, dass die SPD lieber darüber streitet, wer für sie im kommenden Jahr als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zieht, als echte Alternativen zur Politik der von Merkel geführten schwarz-gelben Bundesregierung zu entwickeln.

Im Grund genommen gibt es im Bundestag nur noch eine Oppositionspartei, nämlich die Linke. Doch die ist inhaltlich und personell zutiefst zerstritten, mehr oder weniger führungslos und aufgrund ihrer gesellschaftspolitischen Vorstellungen für die meisten Deutschen nicht wählbar.

Weit und breit ist für den Wähler also keine echte Alternative zur Regierung Merkel in Sicht, die einen echten Politikwechsel verspräche. Und so arrangieren sich die Deutschen irgendwie mit der Frau, die sie nunmehr seit sieben Jahren nach außen hin völlig unaufgeregt regiert. Sie ist eine Taktiererin, die lieber etwas zu lange zögert, als vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Oft genug war sie in früheren Jahren auf diese Weise erfolgreich. Jeden ihrer innerparteilichen Konkurrenten hat sie durch kluge Schachzüge im Hintergrund und geduldiges Warten auf den richtigen Zeitpunkt zum Zuschlagen beseitigt.

In der europäischen Schuldenkrise jedoch ging diese Taktik bisher nicht auf. Als im Frühjahr 2012 die Griechenlandkrise über Europa hereinbrach zögerte Merkel. Sie lehnte finanzielle Hilfe für das hoch verschuldete Land ab und provozierte so fatale Reaktionen der Finanzmärkte, die Griechenland letztlich in die Zahlungsunfähigkeit stürzten. Anders als in früheren parteipolitischen Fehden lernte Merkel auch nicht aus diesem Fehler, sondern wiederholte ihn ein ums andere Mal, zuletzt im Falle Spaniens.

Woran mag das liegen? Merkel stützt sich auf eine kleine Gruppe von Vertrauten – allesamt Frauen. Dazu gehört zuerst ihre Büroleiterin Beate Baumann. Die ausgebildete Lehrerin begleitet Merkel seit zwanzig Jahren und ist ihre wichtigste Stütze, kennt sich aber mit wirtschaftspolitischen Fragen nicht aus. Dann ihre Beraterin für Öffentlichkeitsarbeit, Eva Christiansen. Sie ist zwar ausgebildete Volkswirtin, berät Merkel aber vorwiegend in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit. Auch ihre politische Freundin, Wissenschaftsministerin Annette Schavan, ist ihr in der Euro-Krise keine Hilfe.

Ihr wichtigster Ratgeber in der Finanzpolitik war lange Zeit wohl der frühere Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Doch kühlte die Freundschaft in Folge der Krise angeblich ab. In der historischen Phase ihrer Kanzlerschaft fehlt es der ausgebildeten Physikerin Merkel so möglicherweise an der nötigen Expertise für die drängendsten Probleme der Zeit.

Ihren Erfolg indes ficht das nicht an, weil sie eine Eigenschaft mitbringt, über die nur wirklich erfolgreiche Politiker verfügen: Sie besitzt die Gabe, auch in schwierigsten Situationen, in denen sie vielleicht selbst keinen Rat mehr weiß, zuverlässig und vertrauenswürdig zu erscheinen.

Günther Lachmann, geboren 1961 in Papenburg, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet für die Welt-Gruppe. Im Piper-Verlag erschienen von ihm die Bücher “Tödliche Toleranz – Die Muslime und unsere offene Gesellschaft” und der Reportageband “Von Not nach Elend. Eine Reise durch deutsche Landschaften und Geisterstädte von morgen”, in dem er die Folgen der demografischen Entwicklung veranschaulicht. Zuletzt schrieb Günther Lachmann für die Herbert-Quandt-Stiftung den Buch-Essay „Schafft Demokratie!“.