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Politik

Photoshop und erfundene Zitate: Wie regierungsnahe Medien in der Türkei funktionieren

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Ist es Dummheit oder Unzurechnungsfähigkeit? Weder noch – es ist Methode. Die regierungsnahe Zeitung Sabah versucht einen amerikanischen Staatsanwalt mit einem gefälschten Foto zu diffamieren und blamiert sich. Diese Art der Lüge hat Tradition.

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Preet Bharara Hizmet/ Sabah
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Als bekannt wurde, dass der türkisch-iranische Geschäftsmann Reza Zarrab in Miami festgenommen wurde, ließ sich die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı (AA) Zeit mit der Meldung. Über zehn Stunden konnte man bei Anadolu nichts über die Verhaftung lesen. Es liegt nahe, warum: Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan schätzt Zarrab als wohltätigen Geschäftsmann. Im vergangenen Jahr wurde er in Erdoğans Beisein zum ‚Exportchampion des Jahres‘ gekürt.

Viel wichtiger jedoch: Zarrab gilt als einer der wichtigsten Hintermänner des Korruptionsskandals vom Dezember 2013. Über 80 Milliarden Euro Schwarzgeld soll er für die Regierung aus dem Iran empfangen und mittels dreier Scheinfirmen in Istanbul gewaschen haben. Das ist bis heute eine der für die AKP unangenehmsten Episoden ihrer Regierungszeit. Ihre Aufarbeitung konnte sie durch massenhafte Entlassungen, Versetzungen und Repressionen bisher jedoch weitestgehend verhindern. Und durch eine ihrer beliebtesten Verschwörungstheorien: Die Ermittlungen seien von einer „Parallelstruktur“ initiiert worden, die mittels der Korruptionsvorwürfe die AKP-Regierung stürzen wolle. Namentlich handelt es sich bei diesem „Parallelstaat“ um die Hizmet-Bewegung des moderaten muslimischen Predigers Fethullah Gülen.

Sollte Zarrab in den USA auspacken, könnte das für viele AKP-Politiker unangenehm werden. Aber was soll’s, es gibt ja die Pool-Medien, wie man die regierungstreue Presse in der Türkei nennt. Entweder der Fall wird verschwiegen oder – wenn er sich nicht mehr verschweigen lässt – die Wahrheit etwas angepasst.

Die Meldung der Festnahme Reza Zarrabs ist so ein Fall, der sich nicht verschweigen lässt. Wie stark die Repressionen gegen die freie Presse auch ausfallen, in Zeiten von sozialen Medien lässt sich die Verbreitung solcher Informationen nicht verhindern. Deshalb: Auch wenn die regierungsnahen Medien und die staatliche Nachrichtenagentur sich mit der Meldung reichlich Zeit ließen, waren sie in anderer Hinsicht bedeutend schneller.

Der amerikanische Parallel-Anwalt

Sabah, ein Flagschiff der AKP-Medien, machte bereits am Tag, an dem die Festnahme öffentlich wurde, die wahren Hintergründe aus. Hinter der Verhaftung des ehrenwerten Geschäftsmannes steht nämlich – Trommelwirbel – der Parallelstaat. Welch Überraschung. Verantwortlich für die Ermittlungen ist der New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara, einer der international angesehensten Anwälte bei der Bekämpfung von Korruption und kriminellen Netzwerken. Er hat unter anderem daran mitgewirkt, den russischen Waffenschieber-Zar Viktor But (auf dessen Leben der Film Lord of War mit Nicholas Cage lose basiert) dingfest zu machen. Vor allem aber hat er sich durch die Bekämpfung von Korruption und Insiderhandel im internationalen Bankenwesen einen Namen gemacht, das Time Magazine nannte ihn deshalb den Mann, der „die Wall Street hochnimmt“ und setzte ihn 2012 auf ihre berühmte Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

Nun wollte die Sabah herausgefunden haben, dass ausgerechnet er Teil der „Parallelstruktur“ ist. Demnach ist die Verhaftung von Zarrab auf Gülen-Anhänger zurückzuführen, die den Staatsanwalt steuern. Auch einen Beweis für diese Feststellung blieb die Sabah nicht schuldig: Sie veröffentlichte ein Foto, das zeigte, wie der Staatsanwalt ein Plakette der Hilfsorganisation „Kimse Yok Mu?“ in Empfang nimmt, die zum Umfeld der Hizmet-Bewegung gehört. Das regierungsnahe Internet-Nachrichtenportal Internethaber titelte: „Der Staatsanwalt, der Zarrab festnehmen ließ, ist ein Bekannter: Er ist einer der Gülen-Bewegung.“

Das Problem mit dem „Beweis“: Das Foto ist schlicht gefälscht. Bereits kurz nach der Nachricht tauchte das Original auf, auf dem zu sehen ist, was für eine Auszeichnung Bharara in Wirklichkeit erhielt, nämlich die als „Crimestopper of the Year“. Mit „Kimse Yok Mu?“ hat das freilich überhaupt nichts zu tun, aber wo die Wahrheit hakt, hilft Photoshop weiter.

Das unbearbeitete Foto von Staatsanwalt Preet Bharara

Nach dem Auftauchen des Originalfotos hat Sabah die Meldung stillschweigend entfernt. Dass Fotos in Zeiten von Photoshop als Beweisstück nicht viel taugen, ist längst bekannt. Es ist aber zweifelhaft, ob diese Erkenntnis auch zu allen Sabah-Lesern vordringt. Noch zweifelhafter ist, dass Sabah den Fehler bereut und in Zukunft bei solch dreisten Falschmeldungen etwas zurückhaltender handelt. Es ist nicht der erste Fall von Lesertäuschung und es wird gewiss auch nicht der letzte sein.

Lange Lügentradition

Denn die Sabah hat eine lange Geschichte erlogener Meldungen und schreckt auch nicht davor zurück, sich mit obskuren Beweisführungen zu blamieren. So hatte sie nach dem Schlag gegen die Boydak Holding, bei dem vier führende Köpfe des Konzerns festgenommen wurden, weil sie ebenfalls die „Parallelstruktur“ unterstützen, bestechende Beweise für die Vorwürfe zutage gefördert. In einem Meisterakt investigativer Recherche hatte sie herausgefunden, dass die Boydak Holding ihre Geschäftsprozesse mit Programmen des deutschen Herstellers SAP verwaltet. Gleiches taten die ebenfalls von der Regierung zerschlagenen Konzerne İpek und Kaynak, die natürlich auch der „Parallelstruktur“ angehören. Damit hatte sie bewiesen, dass diese Parallelisten unter einer Decke stecken.

Nun ja, zu dumm, dass SAP einer der größten Softwarehersteller der Welt und vor allem im Bereich Unternehmenssoftware international führend ist. Ein großer Teil der internationalen Konzerne arbeitet mit SAP, darunter auch die Çalık Holding – der Konzern, zu dem die Sabah bis vor kurzem gehörte. Die Liste von verfälschten und frei erfundenen Meldungen der Sabah ließe sich noch einige Zeit fortsetzen. Es gibt so viele davon, dass die Zeitung Meydan sogar eine „Top 10 der verlogensten Sabah-Meldungen“ erstellt hat.

Man könnte sich nun ausgiebig darüber amüsieren, wie Zeitungen vom Schlage Sabah, Star, Yeni Şafak und vor allem das niveaulos-reißerische islamistische Revolverblatt Yeni Akit regelmäßig ins Fettnäpfchen treten, wenn herauskommt, dass sie Nachrichten schlichtweg erfunden haben oder sie sich mit absurden Theorien („Die Parallelstruktur ist dafür verantwortlich, dass Lammfleisch immer teurer wird“) blamieren.

Aber das Problem ist zu ernst, denn erstens hat die Methode System, zweitens ist sie ein Herrschaftsinstrument, mit dem die regierende AKP politische Gegner scham- und hemmungslos diskreditiert, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen, und vor allem drittens: Die Lügenkampagnen machen keinen Halt davor, reale Existenzen zu zerstören.

Giftiges Blut und erfundene Kriegserklärungen

Das berühmteste Beispiel ist wohl das des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink. Der letzte große Prozess, der seiner Ermordung unmittelbar vorausging, basierte auf einer Schmutzkampagne, die in den türkischen Medien gegen ihn geführt wurde – und die ebenfalls auf schlichter Verleumdung fußte. Dink wurde auf Grundlage des berüchtigten Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches wegen „Beleidigung des Türkentums“ vor Gericht gezerrt und verurteilt, weil er geschrieben haben soll, dass türkisches Blut giftig sei und die Armenier deshalb den Kontakt zu Türken vermeiden sollen.

Nur war auch das schlicht gelogen, gar das Gegenteil war der Fall. Hrant Dink hatte in einer Kolumne die armenische Diaspora für ihren Hass auf die Türken kritisiert. Dieser sei Gift in ihren Adern, von dem sie sich lösen müssten, um ein friedliches Zusammenleben beider Völker zu ermöglichen. Die Wahrheit hatte einen großen Teil der Medien in der Türkei – ob regierungsnah oder nationalistisch – nicht weiter gestört. Trotz dass jeder den Originaltext hätte lesen können, wurde eifrig weiter an der Behauptung festgehalten. Dink wurde für eine Aussage, die er nicht getätigt hat, zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Und diese Methode hat Schule gemacht. Politische Gegner mit erfundenen Zitaten zu diskreditieren, ist eine Vorgehensweise, die sich vor allem gegen das linke Lager großer Beliebtheit erfreut. Ein jüngeres Beispiel ist das von Leyla Imret: Die in der Nähe von Bremen aufgewachsene Kurdin wurde 2014 für HDP-Schwesterpartei BDP zur Bürgermeisterin von Cizre gewählt. Als dort letzten Sommer die Gewalt zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK eskalierte, verschlug es einen Vice-Reporter nach Cizre, der auch mit Bürgermeisterin Imret sprach und sie zu ihrer Einschätzung der Lage befragte. Einen ganzen Monat nach Veröffentlichung der Reportage fand sich die 28-Jährige plötzlich in den meisten regierungsnahen Zeitungen wieder.

„Wir führen einen Bürgerkrieg gegen die Türkei“, wurde ihr in den Mund gelegt und sie so unfreiwillig zur Kronzeugin der vermeintlichen Militanz und Staatsfeindlichkeit von HDP und BDP gemacht. Aber auch hier gilt wieder: Sie hatte das so nie gesagt und mit einem Blick in die Vice-Reportage, auf die sich alle Meldungen beriefen, ließ sich das auch im Handumdrehen bestätigen. Aber das half ihr nicht. Aufgrund der in der Schmutzkampagne erhobenen Vorwürfe wurde sie letzten September vom Innenministerium ihres Amtes enthoben, damit sie für ihre vermeintliche Terrorpropaganda vor Gericht gezerrt werden kann.

Eine weiße Weste hat fast niemand in der Türkei

Auch die Reihe von Menschen, deren politische, wirtschaftliche und vereinzelt gar rein biologische Existenz durch oder mit Hilfe von Lügen- und Verleumdungskampagnen der Medien zunichte gemacht wurde, ließe sich weiter fortsetzen. Medienethik hatte in der Türkei noch nie einen besonders hohen Stellenwert. Auch regierungskritische Zeitungen wie Cumhuriyet, Sözcü und Hürriyet müssen sich vor allem mit Blick auf die Vergangenheit die Frage gefallen lassen, ob sie immer die Leuchttürme der Meinungsfreiheit waren, als die sie heute von vielen gesehen werden. Schließlich waren sie lange Jahre Sprachrohre des kemalistischen Establishments und haben sich im Zweifelsfall meist eher für die Ideologie der Militärs als für demokratische Grundrechte ausgesprochen. Ähnliches gilt für die Zaman und ihr früheres Verhältnis zur AKP. Auch sie hatte sich beispielsweise im Falle Ahmet Şıks nicht mit Ruhm bekleckert. Während die Cumhuriyet ihre Ausrichtung unter der Ägide Can Dündars zu einer moderateren, sozialdemokratischen Zeitung geändert hat, ist das traditionsreiche Massenblatt Hürriyet in den letzten Monaten aufgrund des Druck aus dem Regierungslager auffallend handzahm geworden.

Es gibt also auch im regierungskritischen Lager kaum eine Publikation mit vollkommen weißer Weste. Aber die gezielte und schamlose Manipulation und Lügenpropaganda, die derzeit in einem großen Teil der regierungshörigen Presse stattfindet, ist bisher ohne Beispiel. Auch früher waren Diffamierungen und Verleumdungen keine Seltenheit, vor allem wenn man auf den über 30 Jahre alten Konflikt im Südosten der Türkei blickt. Dass aber eine Regierung einen dermaßen großen Teil der Medien des Landes faktisch unter ihrer Kontrolle hat und ihre Kettenhunde derart schamlos politische Gegner mit Lügen- und Schmutzkampagnen überziehen, hat eine neue Qualität. Doch sie können sich sicher fühlen, denn mittlerweile fallen über 80% der Zeitungsauflage auf regierungsnahe Blätter, im Fernsehen sieht es noch dramatischer aus. Wer sollte die Lügen denn aufdecken? Wer sollte die Verleumdeten im öffentlichen Diskurs noch breitenwirksam in Schutz nehmen?

Und hier kommt das Internet ins Spiel. Bereits die Gezi-Proteste haben die politische Macht von Facebook, Twitter und Co. verdeutlicht. Die sozialen Netzwerke bilden eine Gegenöffentlichkeit zu den gleichgeschalteten klassischen Medien und kritische Online-Nachrichtenportale wie T24 und Diken etablieren sich als letzte Bastionen des seriösen kritischen Journalismus in der Türkei. Auf ihren Schultern lastet nun die Aufgabe, gegen die Verdummung des Volkes anzuschreiben.