Connect with us

Politik

Piratenpartei: Selbstreinigungsprozess gegenüber Rassisten

Spread the love

2012 starteten die Piraten mit Einzügen in Landesparlamente eine große Kaperfahrt. Zuletzt ging der Trend aber nach hinten los, auch wegen der im Raum stehenden sexistischen und rassistischen Vorwürfe. Bundesweit liegen sie nur noch bei 3%.

Published

on

Piratenpartei: Selbstreinigungsprozess gegenüber Rassisten
Spread the love

Immer mehr Piraten wechseln zu rechtsradikalen Parteien wie Pro NRW. Waren Piraten schon immer rassistisch? Wie sieht das Innenleben der NRW-Piraten aus, werden sie im September den Einzug in den Bundestag schaffen? Darüber haben wir mit dem „Oberpiraten“ in NRW, Dr. Joachim Paul, Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag, gesprochen.

DTJ: Schon vor den Wahlen in NRW gab es Vorwürfe gegenüber der Piratenpartei, dass diese bzw. viele Anhänger rassistisch seien. Und in den letzten Monaten wandern immer mehr Mitglieder der Piraten in rechte Organisationen ab. Haben sich diese Vorwürfe auf diesem Wege bestätigt? Was ist bei den Piraten in NRW los?

Paul: Nein, im Gegenteil. Die Vorwürfe bestätigen sich gerade nicht. Wir hatten das Problem, dass rechtsextreme Parolen herumschreiende Leute besonders laut gewesen sind. Es waren aber nicht so viele. Jetzt haben wir den Fall, dass tatsächlich ein „Selbstreinigungsprozess“ gegriffen hat. Die wandern jetzt freiwillig ab, schaden uns aber, indem sie bei Demonstrationen mit Piratenfahnen auflaufen. Das freut uns überhaupt nicht. Mein Kollege von der Fraktion, Lukas Lamla, ist heute (am vergangenen Freitag) in Neuss auf einer Demo, weil dort die Pro-NRW-Menschen demonstrieren. Lamla ist auf der Gegendemo, die höchstwahrscheinlich sehr viel größer sein wird. Ich habe, was die menschliche Ausrichtung der Piratenpartei angeht, überhaupt keine Befürchtungen. Es scheint sich jetzt das zu bewahrheiten, was die ganze Zeit schon angekündigt worden war. Es gibt eine Art „Reinigungsprozess“: Die Leute verschwinden entweder freiwillig oder sie werden rausgedrängelt.

Gibt es also innerhalb der Partei Anstrengungen, diese Leute aus der Partei zu entfernen?

Es gibt einen klaren Beschluss. Der ist vom Bundesparteitag in Neumünster ausgegangen. Er besagt, dass wir Menschen, die sich gegen die Religionsfreiheit, die Freiheit sexueller Orientierung oder die multikulturelle Gesellschaft aussprechen, nicht in der Partei haben wollen. Wir tolerieren kein Gedankengut, das sich gegen jedweden Anspruch von Freiheit richtet. Das ist ganz klar!

Warum werden denn immer noch sehr wenige Kandidaten für die Bundestagswahl mit Migrationshintergrund aus NRW aufgestellt?

Ich denke, das hat mit der Struktur und der thematischen Ausrichtung der Mitglieder zu tun. Es gibt einige Prominente, auch Menschen mit Migrationshintergrund in der Piratenpartei, wie zum Beispiel Ali Kaya aus Köln. Aber dass sie nicht auf der Landesliste gelandet sind, dem würde ich keine besondere Bedeutung beimessen.

Die Piraten in NRW haben einen Antrag für eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Optionsmodells (Staatsangehörigkeit) im Landtag gestellt. Warum ist das Thema für die Piraten so wichtig?

Das hat direkt mit dem Thema der Freiheit zu tun. Die Zugehörigkeit zu einer Nation ist keine rein sachliche Entscheidung, sondern ist auch immer von einem Gefühl und einem kulturellen Hintergrund begleitet. Wir sind der Meinung, dass man nicht Persönlichkeitsspaltung betreiben darf, indem man Leute zu einer Entscheidung zwingt. Im Gegenteil: Ich glaube sogar, dass sehr viele Menschen, die gerade aus der Türkei zu uns gekommen sind, tatsächlich zwei Identitäten haben und das sollen sie dann auch durch die Zugehörigkeit zu zwei Staaten dokumentieren können. Das ist für uns eine ganz klare Sache. Das hat etwas mit der Freiheit zu tun, dass ich mir selber eine oder mehrere Identitäten geben kann.

Es gibt aber auch Parteien, die sich dagegen stellen. Wie bewerten Sie das?

Das hat etwas mit in einigen Teilen der Gesellschaft verwurzeltem Konservatismus zu tun, der der Meinung ist, dass man sich entscheiden müsse. Aber gerade aus zwei Elementen kann etwas Neues entstehen. Von daher sind wir ganz klar gegen diese Richtung und wir lehnen diese Form von konservativem Denken strikt ab.

Für wie realistisch halten Sie die Abschaffung des Optionsmodells? Wie lange werden türkische Staatsangehörige, die auch gleichzeitig die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen möchten, noch auf diesen Anspruch warten?

Ich denke, dass in Deutschland die Abschaffung der Optionspflicht mehrheitsfähig ist. Deswegen gibt es auch unsere Bundesratsinitiative, die durchaus Sympathie bei den Regierungsfraktionen und auch bei der FDP hat. Bei der Union sieht es etwas anders aus, aber ich glaube schon, dass es dafür eine Mehrheit gibt. Man kann in der heutigen globalisierten Welt Leute nicht mehr zwingen, sich für ein kulturelles Lebensmodell – zudem, wenn es ohnehin nur auf dem Papier existiert – entscheiden zu müssen.

Herr Paul, mit dem 1.1.2014 endet die Ausnahmeregelung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien. Von diesem Datum an haben wir dann die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es gibt Sorgen vor unkontrollierter Zuwanderung und die daraus entstehenden Probleme. Bereitet Ihnen dies auch Sorgen?

Es gibt sicher eine Befürchtung, die meiner Meinung nach aus Angst heraus zustande kommt, überhaupt Arbeit bekommen zu können, wenn dann noch ausländische Arbeitnehmer mit einem in Konkurrenz treten können. Das ist aber nicht ein Problem der Arbeitnehmerfreizügigkeit generell, sondern ein Problem der Arbeitsmarktpolitik, die betrieben wird. Da muss man den Menschen zu verstehen geben, dass in unserer heutigen Welt vor allem Bürger aus Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht anders behandelt werden können. Das geht gar nicht. Entweder wir sind ein Europa oder wir sind es nicht. Das ist das, was für mich persönlich und auch für die Partei auf dem Prüfstand steht. Von daher kann man diesen Menschen, die diese Ängste haben, nur begegnen, indem man mit ihnen verständnisvoll kommuniziert und versucht, sie zu überzeugen.

Also verstehen Sie die Sorgen dieser Menschen auch teilweise?

Ich kann verstehen, wie diese Sorgen zustande kommen. Ich halte es aber im heutigen Europa nicht für gerechtfertigt, eine Unterscheidung in der Arbeitnehmerberechtigung vorzunehmen.

2012 war quasi das Jahr der Kaperfahrt für die Piraten. Welche Erwartungen haben Sie in diesem Jahr, insbesondere bei den Bundestagswahlen?

Die Vorhersagen sind nicht so toll. Ich versuche es positiv auszudrücken: Es bleibt spannend. Auch die Frage, ob es die Piraten letztlich in den Bundestag schaffen. Für mich und auch für viele Menschen hier im Landesverband NRW und der Fraktion hängt das wesentlich davon ab, ob die Piraten es schaffen, in den nächsten Monaten bis zur Bundestagswahl sich wieder auf ihre thematischen Inhalte zu konzentrieren und auch vielleicht eine allgemeine, griffige Formel, eine Überschrift zu finden, unter der man das Piratenprogramm zusammenfassen kann. Ich denke da an eine sozial verträgliche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. Ich denke an den sehr wichtigen Begriff der Nachhaltigkeit, wenn man an die Umwelt denkt. Nachhaltigkeit hat für uns Piraten drei Säulen: Eine wirtschaftliche, eine ökologische und eine soziale Säule. Soziale Nachhaltigkeit ist zum Beispiel etwas, was gerade in Südwest- und Südosteuropa kaputt geht. Wir haben in Spanien 56% Jugendarbeitslosigkeit, ein unhaltbarer Zustand. Die Piraten streben grundsätzlich an, dass das Zusammenleben auf der Basis einer ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit aufgebaut wird. Wenn wir es schaffen, das deutlich zu machen, sollte ein Einzug in den Bundestag möglich sein.