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Politik

Plakataktion der „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ schürt Vorurteile

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Die Plakate erinnern an Vermisstenanzeigen und sollen auf die Gefahren einer „islamistischen Radikalisierung“ junger Menschen aufmerksam machen. Eine unglückliche Aktion, meint Yasin Bas.

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Plakataktion der „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ schürt Vorurteile
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Mit einer 300.000 EURO teuren Werbekampagne möchte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor allem Eltern, Verwandte, Freunde und Lehrer von jungen Leuten, bei denen sich Radikalisierungsanzeichen bemerkbar machen, bewegen, sich an eine Beratungsstelle beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu wenden.

Die Plakate sollen ab Ende September in deutschen Großstädten zu sehen sein. Außerdem sei eine Anzeigenkampagne in türkischen Zeitungen geplant. In den sozialen Netzwerken wie Facebook sollen die Werbebotschaften ebenso veröffentlicht werden.

Bereits jetzt sind die Anzeigen auf der Internetseite der „Initiative Sicherheitspartnerschaft“ (ISP) auffindbar. Dargestellt sind dort vier Personen. Unter allem steht folgende Botschaft: „Wir vermissen sie, denn wir erkennen sie nicht mehr. Sie zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler. Wir haben Angst, sie ganz zu verlieren – an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen.“ Darauf folgt die Telefonnummer der Beratungsstelle Radikalisierung beim BAMF.

Diese Werbekampagne stößt vor allem beim Koalitionspartner der CDU, bei der FDP auf Kritik. „Hier werden Steuermittel vergeudet und Ressentiments geschürt, weil der Islam in die Nähe des Terrorismus gebracht wird“, sagt der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, dem „Hamburger Abendblatt“ und der „Tageszeitung (taz)“. Für Tören bestärken solche Aktionen Vorurteile in der Gesellschaft gegen den Islam und die Muslime.

Im Juni 2011 lud Bundesinnenminister Friedrich neben einigen Landesinnenministern Vertreter deutscher Sicherheitsbehörden und muslimischer Religionsgemeinschaften zum „Präventionsgipfel“ in das Bundesministerium des Innern (BMI) nach Berlin ein. Dieser Präventionsgipfel war die Auftaktveranstaltung der „Initiative Sicherheitspartnerschaft ‚Gemeinsam gegen Extremismus – Gemeinsam für Sicherheit’“. Anlass für das Zusammentreffen waren „die Fälle islamistischer Radikalisierung von Jugendlichen und Heranwachsenden in Deutschland“, hieß es in einer am 26.Juni 2011 herausgegebenen Pressemitteilung des BMI.

Die Tageszeitung „Die Welt“ berichtete jedoch schon im März 2011 unter Berufung auf Quellen aus dem BMI, dass Innenminister Friedrich solch eine Veranstaltung plane. Zu den Teilnehmern der ISP zählen staatliche Organisationen wie das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), aber auch das in Nürnberg ansässige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Auf muslimischer Seite präsentiert die Initiative die Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), den Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF), den Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD) sowie die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) als ihre Kooperationspartner.

Die ISP ist eine „Partnerschaft zwischen muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und Sicherheitsbehörden“. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, so entnimmt man der Internetseite, „gemeinsam Radikalisierung, Gewalt und Islamismus zu bekämpfen“. Doch mit welcher tatsächlichen Zielsetzung und Notwendigkeit wurde diese Initiative ins Leben gerufen?

Auf der Internetseite der „Initiative Sicherheitspartnerschaft“, erklärt das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Intention und Ziele der Sicherheitspartner. Anlass für die Gründung der ISP sei demnach die Tatsache, dass vom „islamistischen Terrorismus“ für Deutschland nach wie vor eine Gefahr ausgehe. „Mit den tödlichen Schüssen auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen hat sich am 2. März 2011 erstmals ein ‚islamistisch’ motivierter Anschlag mit terroristischem Hintergrund auf deutschem Boden ereignet.“ Dieser schreckliche Vorfall zeige, dass die Gefahr nicht nur von „islamistischen Organisationen“ wie Al Qaida ausgehe, sondern dass auch „im Verborgenen radikalisierende Einzeltäter Anschläge vorbereiten und ausführen“ könnten. Aus diesem Grund sei die Teilnahme der muslimischen Bürgerinnen und Bürger entscheidend für eine „erfolgreiche Bekämpfung von Radikalisierungen und Extremismus in Deutschland“. Gerade die Muslime seien in der Lage, „im Privaten, in der Familie, in Vereinen, bei Predigten und beim Diskurs über das eigene Verständnis des Islam radikale Ansichten schon im Frühstadium“ wahrzunehmen und „mit den Betroffenen in eine Auseinandersetzung und Diskussion“ zu treten. Für Nicht-Muslime dagegen, sei dies „mangels Kenntnis oftmals nicht möglich“. Weiter heißt es: „Die Clearingstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat die Arbeit an diesem Punkt bereits aufgenommen (Stand: 01.02.2012).“ Ein Teil der „Partner“ habe also bereits mit der Arbeit begonnen. So habe das BAMF arabisch und türkisch sprechendes Personal für diese äußerst sensible Tätigkeit bereitgestellt.

In der ISP müsste es aber auch um die eigene Sicherheit der Muslime gehen. Nach den Mordanschlägen in Norwegen, die der Täter Anders Behring Breivik selbst als anti-islamische Tat bezeichnet hat, den Lynchmorden von rechtsextremistischen Terroristen in Deutschland auf Muslime und die noch nicht vollständig aufgeklärte Rolle der Sicherheitsbehörden in diesem Fall (bewusste Aktenvernichtung, Geheimnisverrat, Mitgliedschaft in rassistischen Organisationen wie dem Ku-Klux-Klan) und den islamfeindlichen Verbrechen, die inzwischen fast die gleiche Stufe antisemitischer Delikte erfasst haben (laut BKA wurden zwischen 2006 bis 2011 pro Jahr 24 politisch motivierte Anschläge auf Moscheen und 25 vergleichbare antisemitische Delikte verübt), sind die Muslime selbst in höchstem Maße bedroht und müssen sich neben der gesamtgesellschaftlichen auch um ihre eigene Sicherheit sorgen. Allein 2011 wurden nach Erkenntnissen der Linkspartei mindestens 13 weitere Anschläge auf Moscheen nicht in die Statistik aufgenommen. Es gibt belastende Hinweise, dass islamfeindliche Angriffe vonseiten mancher Behörden heruntergespielt und unterbewertet werden. Die Existenz von Mordlisten mit muslimischen Persönlichkeiten vermittelt darüber hinaus ebenso kein Gefühl der Sicherheit. Moscheemitglieder, Imame sowie Vertreter und Verantwortliche der muslimischen Religionsgemeinschaften müssen um ihr Leben fürchten. Unter diesen Umständen kann eine unverhältnismäßige Fokussierung auf „islamistische Radikalisierung von Jugendlichen und Heranwachsenden“ als eigenartig verstanden werden. Die Fachleute, deren Aufgabe es ist, für alle (!) Menschen in unserem Land Sicherheit zu gewährleisten, müssten nochmals erörtern, von welchen Kreisen die eigentliche Radikalisierungs- und Extremismusgefahr ausgehen.

Auch die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts in der Sommerpause lässt einige Zweifel nach sich ziehen. So wurde nicht nur eine gesellschaftliche Debatte über die Art und Weise der Arbeit unserer Verfassungsschützer umgangen, sondern auch eine mögliche Kritik an der Erstellung des Verfassungsschutzberichts selbst. In dem Bericht tauchen für 2011 keine Todesopfer rechtsextremer Gewalt auf. Doch nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung wurde am 27. März 2011 der Vietnamese Duy-Doan Pham in Neuss (Nordrhein-Westfalen) von zwei Rechtsextremen zu Tode geprügelt. Dem folgte am 27. Mai 2011 der Mord an dem wohnungslosen André K. im sächsischen Oschatz. Dass die Behörden- und Ministerialleitung nach diesen Ereignissen immer noch den „islamistischen Terrorismus“ als größte Bedrohung in den Vordergrund rückt, ist nur schwer nachvollziehbar. Zweifellos gibt es eine Gefahr vor Radikalen, die die Religion für ihre extremistischen und heimtückischen Ansichten und Ziele missbrauchen. Diese Verbrecher müssen auch gewiss zur Rechenschaft gezogen werden. Doch je mehr der Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland sichtbar werden, desto mehr wird merkwürdigerweise die Gefahr vor einem „Islamismus“ beschworen. Ferner werden immer mehr Sicherheitsinitiativen, sowohl im Bund als auch in den Ländern ins Leben gerufen, die sich politisch ausnutzten lassen. Es ist zu hoffen, dass diese Strategie keine Investition für kommende Landtags- und Bundestagswahlkämpfe ist. Auch der letztes Jahr ausgearbeitete und erst vor wenigen Wochen bekannt gewordene Indikatorenkatalog (Merkmalskatalog) für „radikale Islamisten“ aus dem „Handlungskonzept zur Antiradikalisierung und Prävention im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus in Niedersachsen“, trägt wenig zu einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Partnern bei.

Überdies bestürzt die Aussage des scheidenden Verfassungsschutzpräsidenten Fromm über die NSU, dass es nicht auszuschließen sei, „dass Einzelne diese Taten sich zum Vorbild nehmen und ähnlich agieren könnten“, nicht nur die gesamte Gesellschaft, sondern vor allem die Muslime, besonders vor dem Hintergrund, dass rassistische Terroristen derzeit im Untergrund agieren und im Besitz gefährlicher Waffen sind. Welche Maßnahmen wollen die Verantwortlichen für die Sicherheit der Menschen und in erster Linie der Muslime ergreifen? Dazu gibt es keine Äußerung. Wie wäre es vielleicht mit einem „Präventionsgipfel“ oder einer „Initiative Sicherheitspartnerschaft ‚Gemeinsam gegen Extremismus – Gemeinsam für Sicherheit’“?

Eine Partnerschaft besteht erfahrungsgemäß auf gemeinsamer Augenhöhe und wenn beide Seiten über den gleichen Informationsstand verfügen. Partnerschaft bedeutet, dass man über die Ziele des Partners stets in Kenntnis ist. Ohne dieselben Voraussetzungen oder Ressourcen kann nur schwer von einer Partnerschaft gesprochen werden. Bei einer Partnerschaft wird der Partner in der Regel ernst genommen, er wird weder mit Misstrauen betrachtet, noch beobachtet, noch getäuscht.

Wie ist es zu bewerten, dass eine Religionsgemeinschaft sich mit Sicherheitsbehörden an einen Tisch setzt? Findet diese widersinnige Praxis auch mit anderen Religionsvertretern der Kirchen und Synagogen statt? Diese Verfahrensweise mit islamischen Religionsgemeinschaften entspricht nicht dem allgemeinen Verständnis eines Rechtsstaats, sondern erinnert stark an antidemokratische und totalitäre Regime, die in Religionsgemeinschaften oder Kirchen ihre Erfüllungsgehilfen such(t)en.

Die Partner von Religionsgemeinschaften in einem Rechtsstaat sind bekannt: Es sind nicht Sicherheitsbehörden oder Nachrichtendienste, sondern Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel. Es sind jüdische Rabbiner, buddhistische Mönche, christliche Pfarrer und Pastoren, muslimische Imame oder Geistliche anderer Glaubensgemeinschaften. Die muslimischen Religionsgemeinschaften müssen sich ihren eigenen Aufgaben widmen. Diese sind vorrangig Seelsorge, religiöse Betreuung und Unterweisung in den Gemeinden, die Mitorganisation des islamischen Religionsunterrichts und weitere Dienste mit religiösem Bezug. Dies sind Themen, in denen die islamischen Religionsgemeinschaften etwas bewegen können.

Die vorrangige Aufgabe dieser Gemeinden ist nicht die Gewährleistung von Sicherheit oder das Melden von vermeintlichen „Radikalen“, die bestimmte „Radikalisierungsmerkmale“ wie „sichtbare äußere Veränderungen“ (Kleidung, Verhalten, Aussehen), Teilnahme an Kampfsportarten oder die Beschäftigung mit dem Tod, aufweisen. Dies wiederum ist die Pflicht der Sicherheitsbehörden. Falls die Behörden unbedingt mit Muslimen zusammenarbeiten möchten, können sie muslimisches Personal einstellen und ihre Stuben für andere Kulturen und Religionen öffnen. Dies wäre ein kleiner Schritt für den in den letzten Tagen so oft beschworenen Mentalitätswandel bei den Behörden. Eine moderne Personalpolitik, die Verschiedenheit als Chance erkennt, würde den Behörden alles andere als schaden. Interkulturelle Öffnung und interreligiöse und -kulturelle Kompetenz müssten auch und gerade bei bestimmten Behörden ausgebaut werden. Dies würde Vertrauen schaffen.

Außerdem würde es bestimmten Missverständnissen und dilettantischen Formulierungen vorbeugen. Allein das Motto der ISP: „Gemeinsam mit Muslimen für Sicherheit“ ist unglücklich gewählt. Wieder werden Muslime und Sicherheit oder Sicherheit und Muslime im gleichen Atemzug genannt. Möglicherweise könnten die Verantwortlichen ihre Texte und Formulierungsentwürfe kultursensiblen Fachleuten vorlegen, bevor sie sie an die muslimischen Vertreter schicken oder sie der Öffentlichkeit präsentieren. Mit dieser Arbeitsmentalität wird man Muslime schwer als Partner gewinnen. Mit solchen Formulierungen werden Muslime, vornehmlich muslimische Kinder in Schulen und Sportvereinen, täglich mit Sicherheitsfragen und Bedrohungsszenarien in Zusammenhang gebracht. Schon im Kindesalter werden die Menschen unterschiedlicher Religionen in „wir“ und „ihr“ differenziert. Dieses zugespitzte Klima vergiftet das gemeinsame Leben in unserem Land. Dem müssen wir alle gemeinsam entgegen treten.