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Politik

Der politische Islam: Eine Sackgasse

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Der politische Islam ist das Kind einer Zeit des Umbruchs und Niederganges im Rahmen der so genannten Moderne. Wie auch deren andere Ideologien scheiterte er, wo er auftrat. Dabei war kaum jemals ein Erneuerer des Islam Politiker. (Foto: reuters)

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A supporter of the political and religious party jamaat-e-islami - reuters
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Mit seinem Buch „Der Konkurs des politischen Islam“, das er vor 20 Jahren verfasst hatte, brachte Oliver Roy eine große Diskussion in Gang. Allerdings hatte diese Diskussion nicht viel Einfluss auf die überzeugten Islamisten – im Gegenteil: Der Islamismus verstärkte sich vielmehr und verfolgte weiterhin sein Ziel.

Die Tatsache, dass sich in der Türkei die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) von der Milli-Görüş-Bewegung loslöste und sich zu einer neuen politischen Kraft transformierte, hatte einen relativen Erfolg zur Folge.

Neben diesem Erfolg haben der Arabischen Frühling und folglich die Entwicklungen in Ägypten und Syrien den von Roy vor 20 Jahren angestoßenen, unfertigen Diskurs zu einem gegenwärtig noch relevanteren Thema gemacht.

Über viele Jahrhunderte waren Muslime führend beteiligt an Zivilisationen und starke Akteure im globalen Mächtegleichgewicht. Diese zivilisationsstiftende Rolle der Muslime hatte jedoch in den letzten Jahrhunderten enorm nachgelassen. Als man den Niedergang einsah und versuchte, Maßnahmen zu ergreifen und Reformen im Militär, in der Finanzwelt und in der Verwaltung vorzunehmen, war es bereits zu spät.

Zivilisationsniedergang gebiert totalitäre politische Bewegungen

Es war nicht einfach für die Muslime, einzusehen, dass sie ihre einstige Vormachtstellung eingebüßt hatten. Dies ist wohl ein generelles Problem, wenn man sich lange Zeit auf dem Gipfel der Welt bewegt hat – in Europa verlief und verläuft die Entwicklung nicht viel anders. In der islamischen Welt sind viele Staaten gegründet und wieder aufgelöst worden. Nur diesmal war es eine umfassende, existenzielle Krise, die die gesamte islamische Zivilisation betraf: Es war nicht eine Krise der politischen Ordnung. Nein, es war eine zivilisatorische Sinnkrise mit all ihren Folgen für Individuum und Gesellschaft. So etwas hatte es in der islamischen Geschichte zuvor nicht gegeben. Das Ende des Osmanischen Reiches war nicht bloß der Zusammenbruch eines Staates, sondern das Ende einer Jahrhunderte währenden Zivilisation.

Die Verwirrung und die Verunsicherung waren groß, man musste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsehen, dass der Zusammenbruch offenbar unvermeidlich geworden war. Die fieberhafte Suche nach Lösungen brachte in der ganzen muslimischen Welt Auseinandersetzungen und Kontroversen hervor. Die Ursprünge der Idee des Islamismus entstanden in dieser Zeit. Dabei taten sich insbesondere zwei Intellektuelle hervor: Jamaluddin Afghani und Muhammad Abduh. Sie hatten großen Einfluss auf die Entstehung des Islamismus-Diskurses.

Hingegen sind Persönlichkeiten, welche dem Islamismus fern stehen, eher unbekannt geblieben. Das ändert sich allmählich. So wird zum Beispiel Said Nursi zunehmend, sowohl in der islamischen als auch in der westlichen Welt, zur Kenntnis genommen.

Was ist denn der Islamismus eigentlich?

Wofür steht aber der Islamismus? Vereinfacht formuliert kann folgendes gesagt werden: Für die Islamisten ist die Religion, also der Islam, in erster Linie eine Staatsordnung und ein politisches Regime. Der Islam könne sich demnach nur auf dieser Weise artikulieren und seine Existenz sei davon abhängig, ob er sich als eine politische Ordnung verwirklichen kann oder nicht. Im Zentrum der Religion befindet sich ihrer Meinung nach die Politik. Alle Diskussionen der Islamisten enden letztendlich in einem Diskurs, bei dem es um Politik und Staat geht.

Glaube = Politik?

Sogar das Glaubensbekenntnis, der „Tawhid“, bei dem die Einheit Gottes und seine Allmacht bezeugt werden, wurde von Sayyid Qutb in seinem Werk „Zeichen auf dem Weg“ als ein Auftrag für Rebellion gegen „nichtislamische menschliche Autoritäten“ gedeutet. Mit dieser Interpretation hat er Millionen von Muslimen beeinflusst.

Wenn man Muslime, die unter kommunistischen Diktaturen gelebt haben oder in Königreichen leben, ausklammert, ist der Islamismus in fast allen muslimischen Ländern und insbesondere im Nahen Osten vertreten.

Trotz seiner langen Geschichte, seiner großen Popularität und seinem breiten und nachhaltigen Bemühen gibt es jedoch kein einziges Beispiel dafür, dass der politische Islam in irgendeinem Land erfolgreich gewesen wäre. Bisher endeten alle Versuche, auf der Grundlage des Islamismus Gemeinwesen zu errichten, in einer Katastrophe, wie zuletzt in Ägypten.

Auch wenn manche immer noch den „Islamismus“ als eine unabdingbare Voraussetzung des Islam wahrnehmen, hat sich die Idee eines auf Politik basierenden Islam buchstäblich als desillusionierend erwiesen.

Die Islamische Republik Pakistan zum Beispiel steht in aller Welt am Pranger, weil dort Terror, Fanatismus und Armut dominieren. Und über die Islamische Republik Iran braucht man wohl kein Wort zu verlieren.

Die Probleme kommen nicht von außen

Der größte Schaden des Islamismus liegt darin, dass er den Muslimen die Mündigkeit zu einer Selbstanalyse aus der Hand nimmt. Muslime bewegen sich bei der Ursachensuche für Missstände in falschen Erklärungswelten und haben keinen selbstkritischen Ansatz entwickeln können, weil der Islamismus die eigentliche Erklärung auf die korrupten Regierungen und auf den Westen reduziert, den er als Feindbild stigmatisiert.

Wenn man nicht erkennt, dass die Ursache jeglicher Probleme im Menschen selbst liegt, ist man jedoch auch nicht in der Lage, einen konstruktiven Lösungsansatz zu entwickeln. Deshalb haben die Islamisten nicht nur Probleme nicht lösen können, sondern auch – selbst wenn sie sich dessen nicht bewusst waren und sind – ihre Lösung verhindert.

Die Islamisten haben nicht verstanden, warum die vorislamische Zeit nicht als die „Zeit des Unglaubens“, sondern als „die Zeit der Unwissenheit (Dschāhiliyya)“ in die Geschichte eingegangen ist. Der Gegenpol zum Islam ist Unwissenheit, unmoralisches Verhalten und Mangel an Qualifikation und guten Eigenschaften.

Das, woran es den Muslimen primär mangelt, sind nicht politische Regime, bigotte Machtstrategien oder weltliche Macht. Das, was fehlt, sind aufrichtige Herzen, eine Wissenskultur und ein moralisch korrekter Verhaltenskodex. Solange dieses nicht verstanden wird und die Problemanalyse von der weltlich-politischen Ordnung ausgeht, werden auch keine Lösungen entwickelt werden können.

Die Religionsgeschichte zeigt uns, dass die meisten Propheten mit Staat und Politik nichts zu tun hatten. Wenn man genau in die islamische Geschichte blickt, wird man schnell erkennen, das die wichtigsten muslimischen Persönlichkeiten sich nicht im Staat und Politik engagiert, sondern um die Bildung eines „reifen Individuums/Menschen – Insan-i Kamil” bemüht haben. Imam-i Rabbani oder Rumi waren keine Politiker.

Aus dieser Analyse sollte nicht abgeleitet werden, dass Staat und Politik überhaupt keine Rolle spielen. Es geht aber darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, was das eigentliche Problem ist. Denn jegliche politische Ordnung leitet sich aus der Gesellschaft ab. Die Regierenden sind letztendlich Individuen aus unseren Reihen.