Connect with us

Politik

Präsident vs. Oppositionsführer: Erdoğan zeigt Kılıçdaroğlu an

Spread the love

Schlammschlacht in der Türkei: Die Welle an Klagen wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung macht auch vor Spitzenpolitikern nicht Halt. Nun hat es Oppositionsführer Kılıçdaroğlu erwischt – weil er auf Beleidigungen Erdoğans gekontert hatte.

Published

on

Spread the love

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ist weiter im Klagerausch – an die 2000 Anzeigen wegen Präsidentenbeleidigung hat er bereits einreichen lassen. Nachdem seine Anwälte bei der Staatsanwaltschaft Mainz gegen den Satiriker Jan Böhmermann einen Strafantrag gestellt haben, ist jetzt Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu an der Reihe. Erdoğans Anwälte haben bei der Staatsanwaltschaft Ankara Anzeige gegen den Vorsitzenden der kemalistischen CHP erstattet. Zugleich haben sie ihn auf die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 100.000 Türkischen Lira (ca. 31.000 Euro) verklagt.

Grund: Der laut Verfassung „unparteiische“ Staatspräsident hatte den Oppositionsführer im Parlament beschimpft und ihm die Qualifikation als Politiker abgesprochen. „Dieser Mann ist seines Amtes nicht würdig, er hat keine Ahnung von Politik. Nicht mal zum Lehrling hätte er das Zeug“, polterte Erdoğan in Richtung Kılıçdaroğlu. Daraufhin konterte dieser: „Einen Lehrling hat er mich genannt. Ich bin der Lehrling von Mustafa Kemal (Atatürk) und von Bülent Ecevit. Du hingegen bist der Meister der Diebe. Niemand kann dir das Wasser reichen. Deine ganze Familie klaut, die ganze Familie.“

Damit spielte Kılıçdaroğlu auf die bis heute nicht aufgearbeitete Korruptionsaffäre vom 17. und 25. Dezember 2013 an. Das war Erdoğan zu viel.

Damals geriet auch Erdoğans Familie ins Visier der Ermittlungen. In den Tagen und Wochen nach der Aufdeckung des Skandals waren sogar Telefonmitschnitte im Internet veröffentlicht worden, in denen der damalige Premierminister seinen Sohn Bilal anwies, Geld verschwinden zu lassen. Seitdem klebt der Vorwurf, ein Dieb zu sein, an Erdoğan. Nach Bekanntwerden der Ermittlungen hatte er den Spieß umgedreht und die Ermittler eines Putschversuches beschuldigt und zu Gejagten gemacht.

Die jüngste Schlammschlacht zwischen Kılıçdaroğlu und dem Regierungslager hat aber auch einen anderen Hintergrund. Im März diesen Jahres kam ein Missbrauchsskandal in der AKP-nahen Ensar-Stiftung in Karaman an die Öffentlichkeit. Ein Lehrer soll in den Räumlichkeiten der Stiftung bis zu 45 Kinder sexuell missbraucht haben. Nachdem der Skandal publik wurde, versuchte die AKP ihn klein zu reden, die Stiftung zu schützen und die Aufarbeitung des Skandals im türkischen Parlament zu verhindern.

Die Familienministerin der AKP-Regierung Sema Ramazanoğlu meinte wegen solch eines „einmaligen Ereignisses“ dürfe man nicht die gesamte Stiftung diffamieren. An sich mache sie gute Arbeit. Später stelltr sich heraus, dass die Gebäude der Stiftung, in denen die Schüler untergebracht waren, gar keine Genehmigung besaßen.

Kılıçdaroğlu kritisierte die Ministerin daraufhin mit den Worten des früheren Innenministers Muammer Güler, wonach „sich die Ministerin vor die Stiftung gelegt“ habe, um sie zu schützen. Diese Worte wurden seitens der AKP heftig kritisiert und als sexistische Diffamierung einer ehrbaren muslimischen Frau aufgefasst, die zudem Ministerin ist und Respekt verdient hätte. „Sich vor jemanden legen“ entspricht im Türkischen in etwa der deutschen Redewendung „sich vor jemanden stellen (um ihn zu schützen)“. In die Politik kam die Wendung durch den ehemaligen AKP-Innenministers Muammer Güler, der im Zuge der Korruptionsaffäre vom 13. und 25. Dezember zurücktreten musste.

Vor wen Güler sich damals „gelegt“ hatte? Reza Zarrab, der sich derzeit in New York wegen Geldwäsche, Verletzung internationaler Sanktionen sowie Korruption im Bankenwesen vor der amerikanischen Justiz verantworten muss. Muammer Güler war verdächtigt worden, von Zarrab Korruptionsgelder erhalten zu haben.