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Politik

Erdoğan, Atatürk II.

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Der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen in der Türkei ist in vollem Gange. Die Stationen, die Erdoğan für seinen Wahlkampfauftakt gewählt hat, erinnern an Atatürks Werdegang. Wird der Premierminister zum zweiten Atatürk? (Foto: reuters)

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Normalerweise gehört es zu den Gepflogenheiten des Premierministers, Atatürks Partei, die CHP zu diffamieren, doch dass Erdoğan seinen Wahlkampf in Samsun begann, hat die gewohnte Beziehung zwischen der CHP und AKP auf den Kopf gestellt. Ein ehemaliger Minister nannte Erdoğan den zweiten Atatürk. Den regierungsnahen Medien jedenfalls hat dieser Vergleich sehr gefallen.

Die AKP: Von der Volks- zur Staatspartei

Während die AKP auf dem Weg ist, sich als die „neue Staatspartei“ zu etablieren, ist die CHP hingegen damit beschäftigt, sich mit dem Volk zu versöhnen. Die aufgeschlossenere Haltung der CHP zum Kopftuch, die Kandidatur von İhsanoğlu, der Sohn eines Gelehrten ist, der in den frühen Jahren der Republik einem großen Druck ausgesetzt war und die versöhnliche Haltung gegenüber den Kurden sind nur als einige Beispiele zu nennen.

Die CHP betont inzwischen nicht mehr den Staat sondern die Gesellschaft, nicht mehr blanke Ideologien und Dogmen sondern die Demokratie und ähnelt damit ein Stück weit an die ersten Jahre der aufstrebenden AKP. Wenn nun auch die AKP die Demokratisierung vorantreiben würde, hätte das Land gute Chancen, die 80-jährige Polarisierung des Landes zu überwinden. Doch stattdessen entwickelt sich die AKP zur alten CHP.

„Sich von der Macht umwandeln lassen, die man eigentlich selber umwandeln wollte“

Den Prozess, in dem eine Bewegung, die mit Forderung nach Demokratie ihren Weg beginnt und sich von der Macht umwandeln lässt, die sie eigentlich selber umwandeln wollte, nennt man „Ankaraisierung“. Das heißt, nicht das Individuum und die Gesellschaft, sondern der politische Führer und der Staat stehen im Zentrum. Nicht die freie Meinungsbildung, sondern die offizielle Ideologie ist entscheidend. Es gibt keine unabhängige Justiz, die die Macht überprüft und für Gerechtigkeit sorgt. Ebenso herrscht keine Pressefreiheit. Von Transparenz- und Kontrollorganismen ist nicht viel vorhanden. Die Gewerkschaften sind häufig befangen und die Universitäten entweder still oder ideologisch ausgerichtet. Und die Arbeitswelt beschäftigt sich vielmehr mit Begünstigungen anstatt nach marktfähigen Marken und Erfindungen zu streben.

Als die AKP von den Kopenhagener Kriterien sprach, war sie bemüht, die obigen Probleme zu bekämpfen. Doch seitdem sie von den Ankara-Kriterien spricht, stützt sie das althergebrachte System. Dass sie Druck auf Justiz, Presse und Arbeitswelt ausübt, damit beschäftigt ist, eine breite regierungsabhängige Medienwelt zu schaffen, die Kontrollmechanismen ausgeschaltet hat, obwohl erhebliche Korruptionsvorwürfe existieren und die eigentlich unabhängigen Gouverneure mit den Provinzvorsitzenden der Partei um parteiliche Gunst konkurrieren, bezeugt, dass die Regierung nun selbst die Ungerechtigkeiten verübt, denen viele ihrer heutigen Mitglieder selbst im Zuge des 28. Februars ausgesetzt waren. Dass Erdoğan sich über das Lob aufgeregt hat, dass die EU dem Vorsitzenden des türkischen Verfassungsgerichts ausgesprochen hat, ist ein Ergebnis dieser Kehrtwende.

Wahre Demokratie oder eine neue Form der Vormundschaft?

Das Erbe der türkischen Republik hat zweifelsfrei viele Vorteile, die die Türkei in ein besseres Licht stellen als so manch andere Staaten im Nahen Osten. Diese Vorteile sollten auch geschätzt werden. Doch die Probleme heute sind menschenrechtlicher und demokratischer Natur. Das Ziel sollte nicht eine neue Form der Vormundschaft, sondern eine wahre Demokratie mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit sein. Ansonsten wird sich die jüngere türkische Geschichte wiederholen.

Erdoğan weist heute bestimmte Tendenzen auf, die gewisse Ähnlichkeiten mit den Erfahrungen aus den ersten Jahren der türkischen Republik haben. Das Buch „Atatürks Revolutionsgesetz“ vom bekannten türkischen Journalisten Taha Akyol reflektiert das gestrige Bild der Türkei und durchleuchtet zudem die heutigen Ereignisse. Einige Tage vor Ausrufung der Republik wurde Atatürk von seinem engeren Kreis mit der folgenden Frage konfrontiert: „Werden Sie als künftiger Präsident auch weiterhin die Volkspartei anführen?“ Er antwortete grinsend „Unter uns ja…“.

„Es sollten Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden“

Als Atatürk zum Staatspräsidenten ernannt wurde, wollte er dennoch nicht seine Rechte verlieren, die er zuvor als Vorsitzender des Parlaments innehatte. Zudem forderte er das Recht zur Auflösung des Parlaments. Auch den Parteiaustritt lehnte er ab. Auch wenn damals bekannte Offiziere wie Rauf Bey, Kazım Karabekir und berühmte Autoren wie Hüseyin Cahit und Ahmet Emin ihre Bedenken bekundet hatten, das Land könne in ein diktatorisches System abgleiten, hat sich das System dennoch etabliert und eine Phase des politischen Schweigens begann. Oppositionelle Stimmen wurden zum Schweigen verdammt und Vertreter der freien Istanbuler Presse vor den Unabhängigkeitsgerichten angeklagt.

In einem Interview führt Taha Akyol seine Gedanken wie folgt aus: „Ziel war es, ein Regime ohne Opposition zu schaffen. Atatürk stellte seine eigenen Medien auf…und schließlich nach den Anklagen in den Jahren 1925 und 1926 wurde die Presse des Landes zum Schweigen gebracht. Laizistische Journalisten wie Hüseyin Cahit und A. Emin Yalman wurden mit der Begründung vor Gericht gestellt, sie hätten durch ihre Kritik die Autorität der Regierung untergraben und Aufständischen wie Şeyh Sait den Mut zur Rebellion gegeben.

Im ersten Parlament war der Grundstreit, ob Atatürk alle Befugnisse zustehen sollten oder nicht. Das gesamte politische Leben Atatürks war darauf ausgelegt, seine eigenen Befugnisse auszuweiten. Als im Januar 1921 über die Verfassung debattiert wurde, sagte er, ‚Diejenigen, die die Gewaltenteilung fordern sind durchgedreht und verrückt. Nicht das Parlament sondern die Regierung muss stark sein. Und die Justiz wird von der Regierung abhängig sein.‘

Im Zuge des Izmir-Attentats auf Atatürk wurde ein Abgeordneter vom sogenannten Unabhängigkeitsgericht zu zehn Jahren Haft verurteilt. Als der Abgeordnete erklärte, er würde niemals ein Attentat auf Atatürk verüben, wurde er hingerichtet, weil er die Entscheidung des Gerichts nicht respektiert hätte.“

Natürlich sollten wir nach Samsun, Erzurum oder auch nach Sivas fahren, aber um nicht dieselben Fehler zu wiederholen, sollten Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden.