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Kolumnen

Prag und seine Sorgen um den Islam

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Die tschechische Hauptstadt Prag ist eine der wichtigsten Städte Europas, wenn es um Kultur, Geschichte und alternative Bewegungen geht. Kürzlich wurden Dr. Sophia Pandia von der religionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Long Beach in Kalifornien und ich von der tschechischen Dialog-Plattform Mozaiky eingeladen, um über die Stellung der Frau im Islam und in den muslimischen Ländern zu diskutieren. Eine Stadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg von sozialistischen und agnostizistischen Ideologien geprägt wurde, will nun mehr über den Islam wissen, nicht zuletzt aufgrund der etwa zehntausend Muslime, die seit nunmehr 30 Jahren dort leben. Vor kurzem erst erregte eine Schule im Norden Tschechiens Aufsehen, weil sie eine Schülerin mit Kopftuch verweisen wollte. Nur durch die Solidarität ihrer Mitschüler konnte das verhindert werden.

Wo liegt die Logik, einerseits den Musliminnen Unwissen, Rückständigkeit und mangelnde Emanzipation vorzuwerfen, ihnen aber andererseits den Zugang zu Bildung zu versperren? So debattierten wir drei Stunden lang mit Pavel Hošek, dem Präsidenten der religionswissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität Prag, über die Stellung der Frau in der Geschichte und der Gegenwart der Muslime. Die Stimmung war hoch anregend, die Teilnehmer stellten zahlreiche Fragen. Was aber das Hauptthema angeht, war es vermutlich nicht Frauenrechte im Islam. Denn die tschechischen Abgeordneten wollen derzeit gerne wissen, ob diese 10.000 Muslime – das ist ungefähr ein Tausendstel der Einwohnerzahl Tschechiens – eine neue öffentliche Ordnung, in ihren Begriffen eine sogenannte Scharia-Ordnung, einfordern werden oder nicht.

Die konkrete Antwort findet sich eigentlich in Deutschland, so formulierte ich jedenfalls es. 2,5 Prozent der Deutschen sind Muslime – also im Verhältnis 200 mal so viele wie in Tschechien – und 90% von ihnen sind in die Gesellschaft integriert – wenn nicht gar assimiliert. Selbst in den USA hat man diesen Prozentsatz nicht erreichen können.

Meiner Auffassung nach ist die Scharia-Debatte in Tschechien vielmehr künstlich als real, die anscheinend darauf abzielt, die Wähler in den ländlichen Gebieten für eine bestimmte Partei zu gewinnen.

„Angst um die Heimat“, „Angst um das christliche Europa“ oder „Angst um die europäischen Werte“ wiederum kann ich angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen sehr wohl nachvollziehen. Was Tschechien angeht, kann man aber weder von einem Sturm noch von irgendeiner Form der Masseneinwanderung sprechen. Die Flüchtlingswelle, von der die Rede ist, umfasst nicht einmal ein paar Hundert Menschen, die man eher als „Touristen“ bezeichnen kann, weil sie eigentlich nach Deutschland wollen. Trotz 200 Mal mehr so viel Muslimen diskutiert Deutschland diese Themen mit deutlich mehr Nüchternheit – trotz Leuten wie Gauland oder Petry.

Der Aufstieg der AfD und die Demonstrationen von Pegida zeigen aber: Die Sorgen der Tschechen sind nachvollziehbar, denn dort, wo es die wenigsten Muslime gibt, ist die sogenannte Angst am größten.

Für solche Fälle gibt es im Türkischen eine zutreffende Redewendung: „In einem Glaswasser eine Sintflut aufbrechen lassen“.