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Politik

Umfragen: Präsidialsystem bleibt unter Türken umstritten, Korruption ein Thema

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Obwohl die Korruptionsvorwürfe rund um das Netzwerk Reza Zarrabs juristisch vorerst vom Tisch sind, könnten sie politisch noch Bedeutung entfalten. Über mögliche Auswirkungen auf die Parlamentswahlen gibt es widersprüchliche Umfrageergebnisse.

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Erdogan und das Kabinett im Präsidentenpalast.
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Mit der Weigerung der parlamentarischen Untersuchungskommission, eine Ministeranklage der früheren türkischen Minister Zafer Çağlayan (Wirtschaft), Muammer Güler (Inneres), Erdoğan Bayraktar (Umwelt und Stadtplanung) and Egemen Bağış (EU) zuzulassen, ist die letzte Chance auf eine juristische Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe ungenutzt geblieben, die am 17. Dezember 2013 bekannt geworden waren und bis ins private Umfeld höchster Regierungskreise reichten. Die Minister hatten am 25. Dezember des gleichen Jahres ihren Rücktritt erklärt.

Die Kommission hatte mit den Stimmen der aus der regierenden Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP) kommenden Mehrheit der Ausschussmitglieder eine Anklage vor dem Staatsgerichtshof verhindert. Die Kommissionsmehrheit hatte sich der Einschätzung der Justiz angeschlossen, die den Großteil der Verfahren in der Korruptionsaffäre eingestellt hatte, weil die belastenden Beweismittel gegen die Angeklagten auf illegale Weise gewonnen worden wären.

Der zu Beginn der Ermittlungen verantwortliche und später des Amtes enthobene Staatsanwalt Celal Kara bestreitet diese Darstellungen. Es habe keine gerichtlich genehmigte Telefonüberwachung gegen Verdächtige gegeben, die parlamentarische Immunität genossen hätten, es seien lediglich deren Stimmen mit aufgenommen worden, sobald diese mit einem der Verdächtigen telefoniert hätten, etwa der frühere Minister Muammer Güler mit seinem Sohn Barış, gegen den sich der Beschluss gerichtet habe.

Die Untersuchung habe sich zudem nicht gegen die Minister gerichtet, sondern gegen die mutmaßlichen kriminellen Machenschaften des Kreises um den iranischen Geschäftsmann Reza Zarrab.

Erdoğan soll von allem gewusst haben

Kara betonte der Tageszeitung Cumhuriyet gegenüber, der damalige Premierminister und nunmehrige Präsident Recep Tayyip Erdoğan wäre die graue Eminenz gewesen, die über alles informiert gewesen wäre und seinen Segen zu allen korrupten Transaktionen gegeben hätte, die zwischen Zarrab und den Ministern stattgefunden hätten.

Im Zusammenhang mit der Untersuchung waren insgesamt 53 Personen festgenommen worden, als am 17. Dezember 2013 Büros, Geschäftsräumlichkeiten und Privathäuser durchsucht wurden, darunter die Räumlichkeiten der Söhne von drei Ministern, hoher Beamter uns bedeutender Geschäftsleute. Sie alle sollen in das Netzwerk des Reza Zarrab involviert gewesen sein, das 87 Mrd. Euro gewaschen haben soll, um die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft gegen den Iran zu umgehen. Auch soll Bağış seinen Einfluss spielen haben lassen, um gegen die Zahlung einer siebenstelligen Geldsumme Reza Zarrab und seinen Verwandten eine beschleunigte Einbürgerung zu verschaffen.

Die Regierung betrachtete die Ermittlungen von Beginn an als Komplott von Anhängern des in den USA lebenden Islampredigers Fethullah Gülen, die innerhalb des Staatsapparates eine „Parallelstruktur“ gebildet hätten und auf diesem Wege die Regierung zu Fall bringen wollten.

Der oberste Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) suspendierte Staatsanwalt Kara am 30. Dezember. Seit dieser Zeit gibt dieser immer wieder über Interviews Einblick in die Hintergründe der Ermittlungen.

Korruptionsvorwürfe und der Wahlkampf

In der Zeit vor den Kommunalwahlen im März des Jahres 2014 tauchten zahlreiche Tonbandmitschnitte von Telefongesprächen auch in sozialen Netzwerken auf – was zur temporären Abschaltung von Twitter und YouTube in der Türkei führte.

Die Korruptionsermittlungen könnten jedoch im Wahlkampf zu den für Juni 2015 angesetzten Parlamentswahlen noch einmal eine Rolle spielen.

Mittlerweile wurden zwei Umfragen veröffentlicht, die sich mit der aktuellen Stimmung im Lande befassten und die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führten. Eine Untersuchung des Gezici Research Institutes, durchgeführt vom 17.-18. Januar dieses Jahres unter 3600 Teilnehmern über 18 Jahren in 32 Provinzen der Türkei, wies ein Abbröckeln des Rückhaltes für die regierende AKP aus, würden am Sonntag Parlamentswahlen stattfinden. Ihr Anteil wäre seit der letzten Umfrage im Oktober 2014 um 1,5% auf nur noch 39,8 gefallen.

Die oppositionelle Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei; CHP) hingegen käme auf 29,6% (+2,2). Die Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der Nationalen Bewegung; MHP) würde nur noch auf 17,3% kommen (-2,4). Die prokurdische Halkların Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker; HDP) läge demnach bei 7,3% (-0,8), die islamische Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei) bei 2,7%, die zur Idealistenbewegung zählende Büyük Birlik Partisi (Partei der Großen Einheit) bei 2%, die neu gegründete ultrasäkularistische Anadolu Partisi (Anatolienpartei) der abtrünnigen CHP-Abgeordneten Emine Ülker Tarhan würde 0,4% der Stimmen erhalten.

MHP mit höchstem Potenzial unter Wählern anderer Parteien

54% der Wähler, die nicht mehr die AKP wählen wollten, hätten in diesem Zusammenhang die Korruption als Hauptgrund für ihren Vertrauensverlust angegeben. 13% hätten sich von der AKP abgewandt, weil diese gegen die Hizmet-Bewegung vorginge.

Während 60% der Wähler, die bei den letzten Wahlen nicht die MHP gewählt hatten, sich entweder bereits entschieden hätten, diese nun zu wählen, oder sich dies vorstellen könnten, hätte die CHP ein Potenzial von 48% unter den bisherigen Wählern anderer Parteien, die AKP lediglich eines von 29,2%. Darüber hinaus würden 59,2% der Türken ein Präsidialsystem ablehnen, nur 24,9% wären dafür.

Zu völlig anderen Zahlen kam hingegen eine Umfrage des in Ankara beheimateten Objective Research Center (ORC), die in der regierungsnahen Sabah abgedruckt war. Demnach würden 48,6% der Wähler für die AKP stimmen, wären am nächsten Sonntag Parlamentswahlen, die CHP käme auf 23,3 und die MHP auf 13,5%. Weitere 8,2% würden für die HDP stimmen.

Des Weiteren würden, so die Zahlen, 71% der Befragten das Vorgehen der Regierung gegen die Gülen-Bewegung unterstützen, während es 20,6% ablehnen würden. Und 56% würden in einem Referendum für ein Präsidialsystem stimmen (32,3% dagegen). Darüber hinaus wäre es 65% egal, sollte der EU-Beitrittsprozess der Türkei zu keinem positiven Ende kommen. ORC habe demnach vom 15.-19. Januar 1720 Personen in 32 Provinzen des Landes befragt.

Im Vorfeld der Wahlen des Vorjahres lagen die Umfrageergebnisse, die regierungsnahe Medien veröffentlichten, regelmäßig über dem tatsächlichen Ergebnis für die AKP. Allerdings lagen die Ergebnisse der Regierungspartei auch meist höher als in den Umfragen, die von regierungskritischen Blättern präsentiert wurden.