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Gesellschaft

Preise sinken: Ein Schleuser packt aus

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Noch wollen Tausende Afghanen raus aus dem Land, in dem die Taliban erstarken. Aber angesichts der Bilder aus Griechenland nimmt die Nachdenklichkeit zu. Gespräche mit einem Schleuser, Flüchtlingen und solchen, die es mal werden wollten.

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Der Weg zu dem Schleuser führt über eine Reiseagentur im Keller des größten Einkaufszentrums von Kabul. Dutzende solcher Agenturen sind hier, farbenfrohe Poster im Fenster. Allerdings verkaufen sie schon lange nicht mehr nur Urlaube oder Tickets nach Mekka. Sie sind zur Front einer riesigen Schattenindustrie geworden. Jene, die vor wachsender Gewalt und Armut nach Europa fliehen und nie mehr zurückkehren wollen, kommen hierher und fragen nach Schleusern. Ein Treffen ist schnell arrangiert.

Nur eine Stunde dauert es, da fährt draußen der Schleuser im Toyota Corolla vor. Mitte 30 ist er, gut gekleidet in weißem Schalwar-Kamis, der traditionellen Hemd-Hose-Kombination, und schwarzem Wintermantel. „Steig ein“, sagt er vom Rücksitz. Vorne sitzen ein Fahrer und ein Assistent. Dessen Telefon klingelt im Zweiminutentakt.

Sein Job sei es, die Flüchtlinge von Afghanistan in die Türkei zu bringen, erzählt der Schleuser. Danach würden sie an Männer übergeben, „die die Wege nach Europa kennen, vor allem nach Deutschland“. Dass das keine leichte Reise ins gute Leben ist, hat sich herumgesprochen in Afghanistan. Jeden Tag berichten Medien von denen, die im Meer ertrinken oder an Grenzen festsitzen. „Aber bisher läuft’s noch gut“, sagt der Schleuser. „Ich habe nach wie vor um die 30 Kunden jede Woche.“ Er organisiert „legale“ Reisen und „illegale“. Laut Hürriyet haben die Schleuser die Preise gesenkt, da die Nachfrage angesichts der Bilder im Westen zurückgehe und die EU mit der Türkei einen Deal ausgehandelt habe.

„Aber wir kennen Leute in den Botschaften“

Was er legal nennt, sind Reisen mit Visa für die ersten Stationen Richtung Europa: Iran und Türkei. Auf normalem Wege sind die kaum noch zu bekommen. „Aber wir kennen Leute in den Botschaften“, sagt der Schleuser. Ein türkisches Visum kostet demnach mittlerweile 6500 Dollar – im September waren es noch 4500. Eines für den Iran kostet 600 Dollar. Die Reise ohne Visa ist für 3000 Dollar zu haben.

Ja, viele Grenzen seien zu, sagt der Schleuser – „aber doch nicht für Schmuggler“. Er sagt das auch den Kunden, die ihn nach den Grenzschließungen entlang der Balkanroute fragen. Eine Geldfrage, antwortet der Schleuser dann. Die, die in Griechenland steckengeblieben sind, hätten halt nicht genug, um Grenzpolizisten zu schmieren. 400, 500 Euro pro Kopf nähmen die für eine nächtliche Passage ins nächste Land.

Während viele noch den Versicherungen der Schleuser glauben, ändern manche doch schon Pläne und Reiserouten. Eine vierköpfige Familie aus Ghasni ist kürzlich nach Pakistan gegangen, statt sich nach Europa aufzumachen. Sie sind Hasara und gehören als solche zur schiitischen Minderheit im Land. Nachdem die (sunnitischen) Taliban in den vergangenen Monaten mehrmals Hasara entführt oder getötet hatten, wächst die Furcht, dass es auch in Afghanistan bald gezielte Gewalt von Sunniten gegen Schiiten geben könnte. Die Familie hat jetzt in Quetta bei den UN den Flüchtlingsstatus beantragt.

Es ist ein verzweifelter Schritt. In Pakistan leben bereits mehr als 2,5 Millionen Afghanen, und die Regierung will so viele wie möglich bis Jahresende wieder zurückschicken.

Eine siebenköpfige Familie aus Kabul wiederum plant ihre Flucht ins Ausland nun über Indien nach Indonesien, wo auch sie dann bei den UN Flüchtlingsstatus beantragen wollen. Ein Visum nach Indien sei leicht zu kriegen, sagen sie. Und für Indonesien? Sie scheinen nicht sicher. Vielleicht ginge es ja auch über Malaysia.

Andere, die geplant hatten, sich dem großen Treck anzuschließen, vertagen ihre Pläne erst einmal. Ehsanullah, 19, aus Kabul, sagt, dass er im vergangenen Jahr zweimal versucht habe, zu fliehen. Sein Bruder ist seit acht Jahren in Deutschland, erzählt er. Angesichts der Landgewinne der Taliban wollte die Familie einen weiteren Sohn im Ausland haben, der nötigenfalls Geld schicken und Rettung organisieren kann. Aber er sei schon im Iran aufgegriffen worden.

„Dieses Jahr wollte ich es noch mal versuchen, aber da hat die Familie Nein gesagt“, sagt Ehsanullah. Der Bruder habe gewarnt, dass sich die Situation in Deutschland für Afghanen ändere. „Und wir hören von Tausenden Afghanen, die auf dem Weg gestrandet sind.“ Ehsanullah will sich nun auf sein Studium konzentrieren. „Vielleicht kann ich ja mit einem Stipendium aus diesem Land rauskommen.“ (dpa/dtj)