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Gesellschaft

Pressefreiheit in der Türkei: Dichtung und Wahrheit

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Ist Bombenlegen eine „journalistische Aktivität“? Fällt ein bewaffneter Raubüberfall unter „Recherchetätigkeit“? Justizminister Engin wirft dem CPJ vor, aus politischen Gründen die Situation der Presse in der Türkei schlechtzureden.

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Pressefreiheit in der Türkei: Dichtung und Wahrheit
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Der türkische Justizminister Sadullah Ergin wies Vorwürfe zurück, die in einem kürzlich erschienenen Bericht des „Komitees zum Schutz von Journalisten“ (CPJ) erhoben worden waren. Das CPJ behauptete darin, Dutzende von inhaftierten Journalisten in der Türkei würden auf Grund ihrer journalistischen Aktivitäten festgehalten oder wären deshalb verurteilt worden. Ergin forderte das Komitee auf, zu erklären, in welcher Weise die Verbrechen, derentwegen die Betroffenen inhaftiert seien, in einem Zusammenhang mit Journalismus stünden.

Ergin stand vergangene Woche Reportern zu den Vorwürfen Rede und Antwort, die im – vor etwa einem Monat publizierten – Jahresbericht des CPJ für 2012 zur Sprache gekommen waren. Der Minister gab an, einige Journalisten wären in Haft, weil sie wegen schwerer Verbrechen wie bewaffnetem Raubüberfall oder Bombenanschlägen verurteilt worden wären. Damit widersprach er Darstellungen des CPJ, wonach sie wegen ihrer Artikel zu Haftstrafen verurteilt worden wären.

In seinem Report behauptet das CPJ, die Pressefreiheit in der Türkei hätte einen krisenhaften Zustand erreicht. Staatliche Autoritäten würden sich auf breiter Ebene für die strafrechtliche Verfolgung und die Inhaftierung von Journalisten einsetzen. Das Komitee spricht von 76 in Haft befindlichen Journalisten zum Stichtag 1. August. Mindestens 61 dieser Journalisten würden in direktem Zusammenhang mit ihrer Journalisten- und Recherchetätigkeit festgehalten, so das CPJ.

Bombenanschläge und Mitgliedschaft in Terrorgruppen

Ergin bezeichnete den CPJ-Report als „einseitige“ Arbeit, deren alleiniger Zweck es wäre, die Meinung „eines bestimmten Personenkreises innerhalb der Türkei“ zu promoten. „Das CPJ sagt, 76 Journalisten wären inhaftiert. Die Mehrheit dieser 76 Leute befand sich – wegen nichtjournalistischer, krimineller Aktivitäten – bereits 2011 in Haft. Wie können diese Leute dann im Laufe dieses Jahres wegen journalistischer Tätigkeiten inhaftiert worden sein?“, fragte der Minister.

Ohne Namen zu nennen, zählte Ergin einige Verdachtsfälle auf, die zu Inhaftierungen geführt hatten. Ein Inhaftierter stehe unter Verdacht, Mitglied der in der Türkei wegen terroristischer Aktivitäten verbotenen „Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei“ (MLKP) geworden und in die Ermordung eines Polizeibeamten und eines Wachmannes involviert zu sein. Ein anderer sei angeklagt, Bombenanschläge gegen das Büro einer politischen Partei und eine Polizeistation ausgeführt zu haben, ein weiterer soll dem Minister zufolge der Beteiligung an einem bewaffneten Raubüberfall auf eine Bank verdächtig sein.

Ergin mutmaßte, der CPJ-Bericht könnte die Absicht verfolgen, die Herzen der Kritiker eines früheren Berichts zurückzuerobern. „Im CPJ-Bericht des Jahres 2011 wurde behauptet, nur acht Journalisten würden sich in Haft befinden und durch Strafverfolgungsbehörden wegen Aktivitäten verfolgt, die mit ihrer journalistischen Tätigkeit in Zusammenhang stünden. Daraufhin äußerten mehrere Medienformate und zivilgesellschaftliche Gruppen scharfe Kritik am Komitee auf Grund dieses Berichts. Und diesmal hat das CPJ seinen Bericht in einer Weise gestaltet, die auf Wiedergutmachung diesen Gruppen gegenüber abzielt. Der Bericht für 2012 ist ein einseitiger Bericht. Er gründet sich auf Stellungnahmen aus einem ganz bestimmten Umfeld“, fügte er hinzu.

„Medien hatten sich zum Büttel der Armee gemacht“

In einem Kommentar für die „Zaman“ befasst sich der armenisch-türkische Journalist und Hrant-Dink-Nachfolger als Herausgeber der Wochenzeitung „Agos“, Etyen Mahçupyan, mit dem Bericht. Er bemängelt auf der einen Seite, dass Regierungen in der Türkei generell dazu neigten, sich in die Medienlandschaft einzumischen und unklare Gesetze und richterliche Neigung, den Staat beschützen zu wollen, zu ihren Gunsten und zu Lasten der Pressefreiheit auszunutzen.

Gleichzeitig wollten Medienbosse jedoch ihren Gewinn maximieren, betrieben eine ideologische Form des Journalismus und hätten sich in diesem Sinne der Selbstzensur verschrieben. Die Medien in der Türkei hätten sich über Jahre hinweg selbst korrumpiert als aktive politische Figuren, die damit prahlten, Regierungen geschaffen und entmachtet zu haben. Sie hätten sich zum Büttel der Armee gemacht und freiwillig deren politische Agenda betrieben. Mit Kritik an dieser Rolle könnten sie nun nicht umgehen.

Eine Steuerprüfung bei der Doğan-Gruppe wäre kein Anschlag auf die Pressefreiheit. Wenn Journalisten gleichzeitig PKK-Mitglieder sind, geschehe ihre Strafverfolgung nicht, weil sie Journalisten wären. Und man sollte endlich auch die Fortschritte bei der Pressefreiheit anerkennen, welche die Türkei gemacht hätte. Immerhin gehöre die regierende AKP zu den von Journalisten am öftesten und am schärfsten kritisierten Kräften des Landes – und kein Journalist wäre je dafür inhaftiert worden, betonte Mahçupyan.