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Gesellschaft

Prüfung auf Herz und Nieren

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Die aktuellen Organspendenskandale verunsichern die Deutschen; die ohnehin geringe Bereitschaft zur Organspende könnte weiter abnehmen. (Foto: dpa)

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Prüfung auf Herz und Nieren
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„Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden“, dieser Ansicht war der ehemalige US- Präsident John F. Kennedy. Ein gut überlegtes Ja oder Nein auf einem Organspendeausweis würde eine solche Form des Anpackens darstellen. Der Regelfall bleibt jedoch zumindest in Deutschland bislang das Reden.

Die kleine Patientin Hanna (14) benötigt wegen eines chronischen Nierenleidens eine neue Niere. Bereits seit drei Jahren wartet sie darauf. Eine Lebendspende kommt aus familiärer Sicht nicht in Frage. Deswegen hofft sie auf ein neues Leben, auch wenn das bedeutet, dass ein anderer Mensch zuvor gestorben sein muss. Hanna ist erfunden, doch könnte sie eine jener 12.000 Menschen in der Bundesrepublik sein, die laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) auf ein Spenderorgan warten. Die aktuellen Organspendenskandale lassen die Hoffnungen der Wartenden schwinden, da seit deren Aufdeckung noch mehr Bürger als ohnehin schon vor einer potenziellen Organspende zurückschrecken. Einer aktuellen Umfrage zufolge würden 21% der Befragten auf Grund der aktuellen Ereignisse ihre Organe nicht mehr spenden wollen.

Korruption und Willkür erschüttern Vertrauen

Der Skandal in Göttingen, wo Daten von Patienten manipuliert wurden und diese dadurch bevorzugt eine Spenderleber erhielten, ist schockierend. Der verantwortliche Chirurg steht unter Verdacht, für sein Handeln Bestechungsgelder angenommen zu haben. Nach diesem Vorfall stellt man sich zu Recht die Frage, inwieweit und unter welchen Umständen man überhaupt noch bereit wäre, Organe zu spenden. Die Menschen in der Bundesrepublik spenden ihre Organe hauptsächlich aus Mitgefühl oder um dem Tod einen Sinn zu geben. Diese Gründe werden Stück für Stück erschüttert, wenn Ärzte in der Transplantationsmedizin Daten manipulieren, um daraus Profit zu schlagen. Diese Art von Manipulationen wird auch durch undurchsichtiges Geschäftsgebaren und verschleierte Verantwortlichkeiten innerhalb der zugehörigen nationalen und internationalen Organspende-Organisationen ermöglicht.

Eine gesetzliche Regelung für Organtransplantationen gibt es in Deutschland bereits seit 1997. Das Transplantationsgesetz (TPG) schafft die allgemeinen gesetzlichen Grundlagen für die Organvermittlung. Die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer legt nach § 16 leg.cit. die Richtlinien für die Organtransplantationen für alle vermittlungspflichtigen Organe (Lunge, Herz, Niere, Dünndarm, Pankreas, Leber) fest. Die Umsetzung dieser Richtlinien übernimmt die Eurotransplant International Foundation (ET). Weltweit ist das die einzige multinationale Organaustausch-Organisation. Sie ist für die Organvermittlung in den Niederlanden sowie in Belgien, Luxemburg, Deutschland, Österreich, Slowenien und Kroatien zuständig.

Deutschland als „Organ-Nettoempfänger“

Für die Koordinierung der Organspenden in Deutschland ist seit 2000 die DSO zuständig. Hierfür wurde die Bundesrepublik in sieben Organspenderegionen gegliedert. Diese Einteilung soll dazu dienen, die einzelnen Koordinatoren der DSO in der Nähe der Transplantationszentren zu positionieren. Zum einen hätten sie dadurch kürzere Einsatzzeiten und zum anderen würde eine engere Kooperation mit den Krankenhäusern in der jeweiligen Region ermöglicht. Deutschland gehört zu jenen Ländern, die mehr Organe erhalten als sie ihreseits in den europäischen Pool spenden.

Das liegt vor allem daran, dass beispielsweise in Österreich die Widerspruchregelung gilt. Alle österreichischen Bürger sind potenzielle Organspender, solange sie sich nicht explizit zu Lebzeiten gegen eine Spende ausgesprochen haben. In Deutschland hingegen herrscht die entgegengesetzte Regelung. Das hat zur Folge, dass aus Deutschland im Verhältnis sehr wenige Organe kommen. Deswegen hat der Deutsche Bundestag in diesem Sommer eine Reform zur Organspende verabschiedet. Die darin geregelte Zustimmungslösung sieht vor, dass alle Krankenversicherten ab 16 Jahren in regelmäßigen Abständen von den Krankenkassen befragt werde, ob er/sie bereit wäre, seine/ihre Organe nach dem Tod zu spenden. Der Vorsitzende der SPD, Frank Walter- Steinmeier, der selbst eine seiner Nieren für seine Frau gespendet hatte, sprach von einer „Entscheidung, die in das Leben gehört und nicht über den Tod hinausgeschoben werden kann.“

An die Wartenden denken!

In diesem Organspendesystem müssen die Kontrollen besser ausgerichtet werden, um zukünftige Skandale vermeiden zu können. Notfalls sollte die Politik eine öffentliche Behörde schaffen, um die Ex- und Transplantation von Organen zu überwachen. Darüber hinaus sollten engmaschige Kontrollen in Krankenhäusern stattfinden, um sicherstellen zu können, dass Patientendaten nicht manipuliert werden.

Trotz der negativen Erfahrungen in jüngster Vergangenheit ist es wichtig, die Augen nicht zu verschließen, wenn es um die 12.000 auf Spenderorgane wartenden Patienten geht. Einen Organspendeausweis zu besitzen, bedeutet auch keine im Voraus erteilte Blankoermächtigung zur Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen.

Während jeweils in Deutschland und Österreich zwei Menschen mit massiven Hirnschädigungen auf der Intensivstation liegen und nur noch durch Beatmungsmaschinen künstlich am Leben erhalten werden, muss die Familie aus Deutschland entscheiden, ob sie die Organe des Angehörigen spenden will. Die Patientin aus Österreich hatte sich zu Lebzeiten nicht gegen eine Organspende ausgesprochen. Die Angehörigen aus Deutschland haben sich aufgrund der aktuellen Ereignisse gegen eine Spende entschieden, da sie kein Vertrauen in das System mehr haben. Der Patient aus Deutschland verstirbt samt seinen Organen, während der österreichische Patient ohne seine Organe aus dem Leben scheidet. Jemand aus Deutschland, der in diesem Moment die erlösende Nachricht bekommt, erhält endlich nach drei Jahren eine Niere. Dabei handelt es sich nicht um die kleine Hanna.
Reyhan Kalaycı