Connect with us

Kultur/Religion

„Auf einmal gab es keinen türkischen Tee mehr“

Spread the love

In den letzten vier Wochen drehte sich bei vielen Muslimen der Alltag um den Ramadan. Auch in der DTJ-Redaktion war er ein Thema, nicht nur in der Berichterstattung. (Foto: Seren Başoğul)

Published

on

Spread the love

Wo Türken oder Deutschtürken zusammenarbeiten, ist der türkische Tee nicht weit weg. Ob in einem schlanken türkischen Glas, bei dem man sich schnell beim Greifen die Finger verbrennen kann, oder in einem größeren Glas mit Griff, der Tee ist ein unverzichtbares Element des Arbeitsalltages. Eine Ausnahme bildet die Fastenzeit. Die DTJ-Redaktion besteht aus einem kleinen Team von Deutschtürken und Deutschen. Mit Beginn des Fastenmonats ist Johanna Kindermann zum Team gestoßen. Das erste, was ihr auffiel, war, dass es keinen Tee gab.

Fast einen Monat lang hat sie beobachtet, wie sich das Fasten auf den Arbeitsalltag auswirkt. Sie richtete ihre Fragen rund um den Ramadan an DTJ-Redakteur Mustafa Görkem, für den es bislang sein „anstrengendster“ Fastenmonat war.

Wie würdest du den Ramadan jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat?

Ramadan ist eine Zeit der Herausforderungen, vor allem im Sommer. Dieses Jahr erleben wir einen sehr schweren und harten Ramadan, ich persönlich auch. Rückblickend habe ich nicht alles, was ich mir vorgenommen hatte, umsetzen können. Viele sehen im Ramadan-Fasten nur den Verzicht auf Essen und Trinken. Aber es geht darüber hinaus, es ist wirklich eine Zeit der Selbstdisziplinierung. Der Ramadan macht einem bewusst, welchen Begierden man ausgesetzt ist. Man legt sich zwar für die materiellen Bedürfnisse Ketten an, empfindet jedoch eine innere Befreiung. Der Schwerpunkt verlagert sich vom Körper hin zum Geist.

Das klingt ziemlich anstrengend. Warum tut man sich so etwas an?

Es gibt so etwas wie eine Wechselwirkung zwischen körperlicher Belastung und seelischer Leichtigkeit. Natürlich faste ich aus Überzeugung. Ich bin Muslim, das Fasten ist einer der fünf Grundpfeiler des Islam. Je mehr man sich aber mit dem Fasten beschäftigt, merkt man, dass es um einen selbst geht, seine Gewohnheiten und Abhängigkeiten, die im Ramadan auf den Kopf gestellt werden. In den ersten Tagen sagt man sich morgens, „Warum soll ich aufstehen, es gibt ja kein Frühstück“. Da wird einem bewusst, wie stark sich der Alltag ums Essen dreht. Der Ramadan gibt einem die Gelegenheit, eben diese Gewohnheiten und Abhängigkeiten zu hinterfragen. Schon nach wenigen Tagen merke ich, wie gut mir das Fasten bekommt. Man versteht, wie wertvoll das tägliche Brot ist und denkt oft an Menschen, die sich das nicht leisten können. Wenn man einmal in den Genuss des Ramadans gekommen ist, zieht man das gerne durch.

Kann man auch nur ein bisschen Ramadan machen? Zum Beispiel über den Tag nichts essen, dafür aber etwas trinken? Oder kann man auch nur für eine Woche mitmachen?

Ramadan wird ja erst ab der Pubertät Pflicht. Kinder, die damit anfangen, fasten oft erst nur am Wochenende oder nur bis nachmittags. Aber wer schon richtig fastet, muss es auch durchziehen. Es gibt Ausnahmen, etwa wenn man auf der Reise oder krank ist. Aber man kann nicht sagen „Morgen gehe ich ins Schwimmbad, da faste ich nicht“. Das Fasten ist ein ganzheitliches Konzept, bei dem einen Monat lang Gebet, Selbstdisziplin, soziales Engagement und Mitgefühl geübt werden. Natürlich entscheidet jeder selbst, wie intensiv er an der Ramadan-Schule teilnimmt. Um aber für sich persönlich die höchste Wirkung zu erzielen, muss man sich an die Regeln halten. Heute so, morgen so, ist da nicht drin. Wenn man merkt, man schafft es nicht, weil man krank ist, nicht klar kommt oder Kopfschmerzen hat, dann kann man in Absprache mit einem Arzt das Fasten vorzeitig beenden.

Aber gibt es nicht auch viele Muslime, die zu stolz sind, das Fasten abzubrechen?

Stolz würde ich das nicht nennen. Jedoch haben viele den Ehrgeiz, trotz Hunger und Durst durchzuhalten. Jeder der fastet, weiß, wovon ich spreche. Es ist etwas wie eine Mutprobe. Man überschreitet manche Grenzen und macht dabei eine neue Erfahrung. Diese Erfahrung lässt dich reifen. Das Fasten soll nicht dazu führen, dass man nicht mehr mit seinem Alltag klar kommt. In den ersten Tagen hat man zwar Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen, wenn sich der Körper jedoch auf das neue Essverhalten eingestellt hat, macht es kaum einen Unterschied mehr.

Ich verstehe, dass ihr nichts esst, aber ihr dürft ja auch nichts trinken. Es ist bekannt, dass nichts oder nicht viel trinken nicht gesund ist und sogar gefährlich werden kann.

Das Trinken ist ja ein körperliches Bedürfnis und das Fasten ist dazu gedacht, dass man sich von diesem befreit. Selbstverständlich ist es so, dass man normalerweise mindestens ein bis zwei Liter am Tag trinken sollte. Der Ramadan stellt den Menschen eben vor diese Herausforderung. Natürlich bekommt man auch einmal Durst über den Tag, aber wenn man abends eine Dattel gegessen und ein Glas Wasser getrunken hat, dann vergeht einem der Durst. Für einen Nichtfastenden ist es vielleicht schwer zu verstehen, aber der radikale Verzicht auf Zeit ist gerade das Besondere am Ramadan. Und bis jetzt ist niemand an dem Ramadan-Fasten gestorben.

Hast du mal vergessen, dass Ramadan ist und hast aus Versehen etwas gegessen oder getrunken?

Dieses Jahr ist mir das einmal passiert. Das war gegen Sonnenaufgang, ich durfte bis halb vier essen und trinken. Da ich in der Zeit davor wach war, vergaß ich, einen Blick auf die Uhr zu werfen und nahm um viertel vor vier einen Schluck Wasser zu mir. Ich habe sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Früher ist mir das öfter passiert, jetzt nicht mehr so häufig. Aber wenn du es vergisst und was getrunken oder gegessen hast, dann ist das nicht schlimm. Man muss den Fastentag dann nicht nachholen, das zählt einfach als… (überlegt)

Als Stolpern?

Ja, genau. Man sagt sich einfach „Moment, stopp“ und dann fastet man weiter.

Und man sollte sich auch keine Schuldgefühle haben?

Wieso denn auch? Der Mensch ist eben vergesslich. Und die Absicht hat im Islam einen höheren Stellenwert als die Handlung.

Wie war es im Vorfeld? Hast du dich auf den Ramadan gefreut oder empfindest du ihn doch als anstrengend und bist jetzt froh, dass er wieder vorbei ist?

Im Vorfeld beschäftigt man sich natürlich mit dem Ramadan. Es ist Sommer, die Tage sind lang und wenn das Wetter auch noch heiß ist, überlegt man schon, wie man das durchstehen soll. Es war mein bislang anstrengendster Ramadan. Aber auf den Ramadan-Monat freut man sich grundsätzlich. Die Ramadan-Zeit selbst ist ein Wechselbad der Gefühle. Es gibt eine Phase, in der das Fasten zur Normalität wird. Das ist etwa in der Mitte der Fastenzeit. Zum Schluss hin merkt man langsam, dass man zwar gefastet, aber vieles, das man sich vorgenommen hat, ausblieb. Was ich auf jeden Fall merke, ist, dass der Körper es einem dankt, ihn einen Monat lang verschont zu haben. Denn auch unser Körper braucht auch eine Auszeit. In den letzten Fastentagen blickt man etwas stolz auf seinen Erfolg, durchgehalten zu haben, zurück. Die Feiertage stehen einem bevor und danach kann man wieder ganz normal essen und trinken. Es gibt dann keinen Unterschied mehr zwischen den Fastenden und Nichtfastenden.

Findest du es falsch, wenn ein Muslim nicht fasten würde?

Das Fasten ist ein verbindliches religiöses Gebot. Wie jeder einzelne Gläubige mit diesem Gebot umgeht, ist eine Angelegenheit zwischen ihm und Gott. Im Islam gibt es keinen Klerus und als Außenstehender sollte man sich davor hüten, über die Religiosität anderer zu urteilen.

Jeden Abend gibt es im Ramadan ein Fastenbrechen, wenn in der Familie oder mit Freunden und Verwandten gegessen wird. Nach dem Ramadan gibt es auch noch ein großes Fest, das jetzt bald ansteht. Was hat es damit auf sich?

Der Fastenmonat endet mit dem Ramadanfest, das drei Tage andauert und im Volksmund auch als Zuckerfest bezeichnet wird, weil man bei Besuchen immer etwas Süßes, wie z.B. Baklava, serviert bekommt. Die Kinder sammeln Bonbons und bekommen natürlich reichlich Taschengeld und Geschenke. Ein Tag vorher herrscht in vielen Familien reger Betrieb. Hausputz und Großeinkauf sind angesagt. Am ersten Tag des Festes geht man in die Moschee, anschließend frühstückt man gemeinsam mit der Familie und dann beginnen die Besuche von Nachbarn und Verwandten. Da ich aber alleine hier in Berlin lebe und meine Familie in NRW ist, wird es ein etwas einsameres Fest für mich.

Es wird an den Festtagen viel gegessen, oder?

Ich glaube, im Allgemeinen fehlt bei vielen, die fasten, das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung. Die Fastenpflicht ist zwar eine religiöse Schulung, es sind aber wenige, die ein bewusstes Ernährungsverhalten entwickeln. Bei dem Propheten, der ein Vorbild für alle Muslime ist, sieht das anders aus. Ich wünsche mir schon, dass über die Fastenzeit hinaus Menschen darauf achten sollten, was und wieviel sie essen. An den Festtagen jedoch ist der Körper noch so sehr auf die Fastenzeit eingestellt, dass es gar nicht mal möglich ist, so viel zu essen, wie man will.

Das DTJ-Team wünscht allen Muslimen gesegnete Festtage und allen Menschen auf der Welt, insbesondere in Krisengebieten, Frieden und Gerechtigkeit.