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Politik

Freude in Jerewan, Planlosigkeit in Ankara

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In Jerewan wird die Armenier-Resolution des Bundestages mit Freude aufgenommen, aus Ankara wiederum kommen die erwarteten Statements. Welche Folgen die Resolution für die deutsch-türkischen Beziehungen haben wird, ist noch offen.

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In Jerewan, der Hauptstadt der Südkaukasusrepublik Armenien, wurde die Völkermord-Resolution des Bundestags mit Freude aufgenommen und als wertvoller Beitrag in der internationalen Debatte begrüßt. Wie Ankara reagieren wird, steht noch nicht fest.

Mit dem Völkermord-Beschluss des Bundestags ist Armenien seinem Ziel, dass die Massaker von 1915 von der internationalen Gemeinschaft als Völkermord anerkannt werden, einen weiteren Schritt näher gekommen. „Während Deutschland und Österreich als frühere Verbündete des Osmanischen Reiches ihren Teil der Verantwortung anerkennen, leugnen die türkischen Behörden den unwiderlegbaren Fakt des Völkermordes beharrlich. Die internationale Gemeinschaft wartet seit 101 Jahren darauf, dass sich die Türkei ihrer eigenen Geschichte stellt“, sagte Außenminister Edward Nalbandian am Donnerstag in der armenischen Hauptstadt. Der armenische Wirtschaftsminister Artsvik Minasyan begrüßte die Entscheidung ebenfalls und forderte Deutschland auf, jetzt weitere Schritte folgen zu lassen: „Ich bin den Bundestagsabgeordneten, die diese Resolution verabschiedet haben, sehr dankbar. Aber wir erwarten auch, dass jetzt weitere Maßnahmen getroffen werden. Ich denke, dass jetzt weitere Schritte hin zur Herstellung historischer Gerechtigkeit unternommen werden müssen.“

In Ankara hingegen herrscht Plan- und Ratlosigkeit. Obwohl seit Wochen bekannt ist, dass das deutsche Parlament die Resolution verabschieden und die Ereignisse von 1915 als Völkermord werten wird, hat die türkische Regierung lediglich ihren Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu „zu Beratungen“ nach Ankara einbestellt. Ob Erdoğan, der sich auf einer Afrika-Reise befindet, seine im Vorfeld ausgesprochenen Drohungen wahr machen wird, ist ungewiss. Anfang der Woche sagte er, dass Deutschland „mit politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen“ rechnen müsse. In Kenia, wo er sich heute aufhält, antwortete er auf die Frage eines Journalisten: „Ich habe mit dem Ministerpräsidenten ein Telefongespräch geführt. Unsere gemeinsame Ansicht ist es, den Berlin-Botschafter in die Türkei zu rufen, um uns zu beraten. Es ist eine Entscheidung, die die türkisch-deutschen Beziehungen ernsthaft belasten wird.“

Welche Schritte genau Ankara jedoch gegen Deutschland einleiten will, ließ Erdoğan offen. Auch Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu meldete sich über Twitter zu Wort. Er kritisierte den Völkermord-Beschluss des Bundestages und warf Deutschland Geschichtsverzerrung vor: „Verantwortungslos mit haltlosen Parlamentsbeschlüssen die Geschichte andere Länder zu diffamieren, ist nicht der Weg, die dunkle Seite seiner eigenen Geschichte abzuschließen“, giftete der Chefdiplomat. Dass der deutsche Botschafter ins türkische Außenministerium einberufen wird, war absehbar und ist eingetroffen.

Aus den türkischen Oppositionsparteien CHP und MHP sind unterdessen Äußerungen zu hören, die im Wesentlichen dem Regierungsstandpunkt entsprechen. Die einzige Partei im türkischen Parlament, die sich für eine Anerkennung der Ereignisse als Völkermord einsetzt, ist die prokurdische HDP. Von ihren – derzeit innenpolitisch unter schwerem Druck stehenden – Spitzenpolitikern kamen bisher noch keine Statements. Letzten Oktober hatte die Co-Vorsitzende der Partei Figen Yüksekdağ erklärt, die HDP wolle sich für eine Anerkennung der Ereignisse als Völkermord einsetzen und dafür, dass die Türkei sich für diesen und an weiteren ethnischen Minderheiten begangene Völkermorde entschuldigt.

Der Bundestag bezeichnet in seiner Resolution die Zwangsdeportation und Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs erstmals als Völkermord. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches lehnt dies strikt ab. Der Antrag wurde beinahe einstimmig angenommen, es gab lediglich eine Enthaltung und eine Gegenstimme. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier blieben der Abstimmung fern.

Schätzungen zufolge wurden bei der Verfolgung der Armenier 1915 und 1916 zwischen 800 000 und 1,5 Millionen Menschen getötet. Die Führung in Ankara bedauert die Ereignisse, geht aber von deutlich weniger Toten aus und streitet die Völkermord-Vorwürfe ab. Ankara bezeichnete die Resolution als „null und nichtig“ für die Türkei .