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Gesellschaft

Islamkritik, Islamfeindlichkeit, Rassismus – wo sind die Grenzen?

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Die Ergebnisse diverser „Mitte-Studien“, die einen Rückgang des traditionellen Rechtsextremismus diagnostizieren, sind keine Gründe zur Entwarnung. Der Fremdenhass der „Mitte“ ist lediglich bezüglich seiner Objekte wählerischer geworden. (Foto: rtr)

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Seit 2002 untersucht die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Elmar Brähler und Privatdozent Dr. Oliver Decker an der Universität Leipzig die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen innerhalb der Bevölkerung in Deutschland. Die auch unter der Bezeichnung „Mitte-Studien“ bekannt gewordenen, repräsentativen Untersuchungen werden im  Zwei-Jahres-Rhythmus – mittlerweile zum siebten Mal – durchgeführt. Die Ergebnisse der jüngsten „Mitte-Studie“ wurden Anfang Juni von der Uni Leipzig unter dem Titel „Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“ der Öffentlichkeit bekannt gegeben.

Die Ergebnisse dieser wichtigen sozialwissenschaftlichen/sozialpsychologischen Studie hätten mindestens eine breite gesellschaftliche Debatte nötig gehabt. Aber in der Regel blieb es bei randnotizhaften Berichten. Teile der auflagenstarken Zeitungen vermochten sogar erfreuliche Resultate in der diesjährigen Untersuchung zu erblicken. Dass jedoch der Hass auf Asylsuchende, Sinti, Roma und Muslime auf einem Höchststand angelangt ist und kein guter Vorbote für die Zukunft des friedlichen Zusammenlebens darstellt, wurde von vielen bewusst oder unbewusst übergangen.

Auch der Inlandsgeheimdienst weist auf die Gefahr von rechts hin

Darüber hinaus gibt der kürzlich veröffentlichte Verfassungsschutzbericht Anlass zur Sorge. Denn die Zahl der rassistischen Gewalttaten ist zum dritten Mal in Folge gestiegen, obwohl die Gesamtzahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten einen leichten Rückgang verzeichnete. 2013 zählten die Behörden insgesamt 473 fremdenfeindliche Gewalttaten. Dies bedeutet einen Anstieg um 20 Prozent im Vergleich zu 2012. Das ist der höchste Stand seit 2006. Damals wurden 484 rassistische Gewalttaten gezählt.

Überraschend hohe Abwertung von Asylsuchenden, Sinti, Roma und Muslimen

„Es gibt 2014 eine gute Nachricht: Wie die Ausländerfeindlichkeit, so nimmt auch die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen insgesamt ab“, stellte Oliver Decker fest, relativierte jedoch sogleich: „Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Bestimmte Gruppen von Migrantinnen und Migranten werden umso deutlicher diskriminiert.“ Im Jahr 2014 geben sich 20% der Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen, doch erfahren Asylsuchende, Muslime und Musliminnen sowie Sinti und Roma eine weit überdurchschnittliche Stigmatisierung. Die Abwertung von Asylbewerber/innen ist mit 84,7% der Befragten in den neuen und 73,5% der Befragten in den alten Bundesländern sehr groß. Aber auch Sinti und Roma ziehen bei mehr als der Hälfte der Deutschen Ressentiments auf sich, und Muslime lehnen fast die Hälfte der Deutschen ab.

„Die Empfänglichkeit für die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist weiterhin vorhanden“, sagt Oliver Decker. „Wir sehen hier eine autoritäre Dynamik: Nicht Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen werden abgelehnt, viele Deutsche denken nun: Die bringen uns was. Aber jene, die die Fantasie auslösen, sie seien grundlegend anders oder hätten ein gutes Leben ohne Arbeit, die ziehen die Wut auf sich. Wir nennen das den sekundären Autoritarismus. Das hat auch etwas mit der Stellung der Wirtschaft in Deutschland zu tun: Sie ist zu so etwas wie einer unhinterfragbaren Autorität geworden. Wenn sie stark ist, freuen sich die Menschen. Aber trotzdem müssen sie sich ihr unterordnen und das produziert Aggressionen, die sich dann gegen Abweichende oder Schwächere richten.“

„Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“

Schon 2012 gab es deutliche Merkmale für islamkritische und islamfeindliche Einstellungen in Teilen der deutschen Bevölkerung. Der Titel der Studie von damals: „Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“. Die Ergebnisse: Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Befragten stimmten explizit „islamfeindlichen Aussagen“ zu. Fast 61 Prozent, also mehr als die Hälfte der Befragten, bejahten „islamkritische Aussagen“. Islamkritik ist zwar nicht mit Rassismus und Islamfeindlichkeit gleichzusetzen – ein wesentlicher Unterschied ist jedoch kaum auszumachen. In der „Mitte-Studie“ von 2012, die damals in Kooperation mit der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) durchgeführt wurde, wurde aber deutlich, dass 70 Prozent aller Befragten mit islamkritischer Sichtweise zusätzlich auch Ressentiments gegenüber dem Islam pflegten.

Die Grenzen zwischen Islamkritik, Islamfeindlichkeit und Rassismus waren folglich fließend. Auch damals wurde deutlich, dass Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit nicht ein Problem von Menschen in bestimmten Landesteilen (beispielsweise im Osten) oder von politisch-ideologisch festgelegten Personen war, sondern dass diese menschenverachtenden, menschenfeindlichen Denkstrukturen in die „Mitte“ der deutschen Bevölkerung eingedrungen waren. Daher kann festgestellt werden, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, das in allen Schichten vorherrscht und weder politische, noch ideologische, noch geographische Grenzen kennt.

„Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“

Auch zwei Jahre zuvor, im Jahr 2010, wurden die Ergebnisse der „Mitte-Studie“ („Die Mitte in der Krise“) von den Forschern nicht zu Unrecht als „Alarmsignal“ gedeutet. Die Studienleiter wiesen bereits damals darauf hin, dass rechtsextreme und antidemokratische Einstellungen überraschend stark in der „Mitte“ der deutschen Gesellschaft ausgeprägt seien. Aus der Studie ging hervor, dass knapp 60 Prozent der Deutschen den Muslimen verbieten wollten, ihre Religion voll auszuüben und jeder zehnte Deutsche sich einen „Führer“ wünschte, der Deutschland mit einer „starker Hand“ regiert. Auch wenn im Jahr 2014 die rechtsextremistischen Einstellungen leicht zurückgegangen sind, ist es erschreckend, dass an den Ergebnissen dieser Langzeitstudie im Hinblick auf die Menschenfeindlichkeit immer noch eine Kontinuität und Nachhaltigkeit erkennbar ist.

Abnahme des Rechtsextremismus aufgrund wirtschaftlicher Stabilität

In der aktuellen „Mitte-Studie“ (2014) zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland wurde in allen Bevölkerungsgruppen Elemente einer solchen nachgewiesen. Wie schon in den vorangegangenen Erhebungen gibt es insbesondere bei der Ausländerfeindlichkeit die größte Zustimmung: 20% der Deutschen sind noch immer ausländerfeindlich. Die zweithöchsten Zustimmungswerte erreichen mit 13,6% chauvinistische Aussagen, 5% der Deutschen sind antisemitisch eingestellt. Die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen sank allerdings 2014 im Vergleich zu den bisherigen „Mitte-Studien“. Der Anteil derjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild besitzen, ist in ganz Deutschland zurückgegangen – von 9,7% im Jahr 2002 auf 5,6% im Jahr 2014. Diesen Rückgang führt der Diplompsychologe Oliver Decker auf das Wirtschaftswachstum und die Exportsteigerung Deutschlands zurück.

Bildung immer noch wichtigster Schutz vor rechtsextremer Einstellung

In der Studie kam auch heraus, dass Befragte mit Abitur eine geringere rechtsextremistische Einstellung aufwiesen als Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen. Die Autoren sagen, dass der Effekt der Bildung signifikant sei: „Beispielsweise sind 6,8% der Menschen mit Abitur, aber 20,8% ohne Abitur ausländerfeindlich eingestellt.“

Rechtsextrem Eingestellte finden sich unter den Wählern aller Parteien

Die diesjährigen Ergebnisse verdeutlichen stets aufs Neue, dass rechtsextreme Positionen bei der Wählerschaft aller Parteien, auch in der SPD und CDU, vorhanden sind. Der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess, der seit 2008 an den „Mitte-Studien“ mitarbeitet, weist insbesondere auf Folgendes hin: „Es fällt allerdings auf, dass die stärkste Anziehungskraft bei den Wählern mit einer ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellung neben den rechtsextremen Parteien die AfD hat“.

Weiterhin deutliche Ost-West-Differenzen

Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit sind in Ostdeutschland noch immer häufiger zu beobachten als in Westdeutschland. Die Studienautoren erklären dies mit der in den Sozialwissenschaften und der Vorurteilsforschung bekannten „Kontakthypothese“. Diese besagt vereinfacht gesagt, dass Kontakte dazu führen, Vorurteile abzubauen. Unkenntnis führt demnach zu Ängsten und Vorurteilen.

Zwischen Fiktion und Wirklichkeit: „Die Mitte als Garant der Demokratie“

Wie verhält sich die „Mitte“ in Bezug auf Demokratie oder Extremismus? Diese Frage beschäftigt schon seit knapp hundert Jahren die Forschung. Zudem häuft sich seit einiger Zeit die an dem Begriff der „Mitte“. Möglicherweise aus diesem Grund beleuchten die Autoren zu Beginn der aktuellen „Mitte-Studie“ dieses Thema. Sie schreiben, dass „die extrem rechten (monarchistisch-konservativen) und die extrem linken (sozialistischen) Positionen“ schon immer im Extremismus verortet wurden.  Doch erst der US-amerikanische Soziologe Seymour  Lipset habe im Faschismus einen „Extremismus der Mitte“ ausgemacht. Der deutsche Soziologe Jürgen Falter habe in den 80ern für Deutschland und die Wählerschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) diesen Befund bestätigt. Auch die Studien von Theodor W. Adorno zum autoritären Charakter seien zu dem Schluss gekommen, dass die Bedrohung der demokratischen Gesellschaft von der Mitte der Bevölkerung ausgehe. Denn faschistisches Gedankengut und autoritäre Einstellung wären schon damals über die gesamte Breite der Gesellschaft hinweg nachgewiesen worden. Dieser Befund provoziere bis heute, zeige er doch, dass die Idee von der gesellschaftlichen Mitte als Garant der Demokratie und des sozialen Ausgleichs eine Fiktion sei.

Die „Mitte“ trägt die Hauptverantwortung für den gesellschaftlichen Frieden

Den Kritikern des „Mitte“-Begriffs sind derlei Informationen möglicherweise neu. Zudem ist es nicht verkehrt zu sagen, dass die soziale- und gesellschaftliche Stabilität unseres Landes vor allem auf den Schultern der „Mitte“ lagert. Unser Zusammenhalt muss mit allen Mitteln verteidigt werden. Es geht um die gemeinsame Zukunft in Deutschland. Deutschlands Muslime und Nicht-Muslime haben hierbei eine große Verantwortung zu stemmen. Unser Land, unser Grundgesetz und die „Mitte“ darf nicht den Radikalen und Extremen überlassen werden.

Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.