Connect with us

Kolumnen

Sarkotington

Spread the love

Man kann mit einiger Berechtigung das Jahr 2001, das Jahr des Wahlsiegs von der regierenden AK Partei als Zäsur in der jüngeren türkischen Geschichte bezeichnen. Nicht im Sinne von Abkehr des Wegs der Modernisierung.

Published

on

Spread the love

Auch nicht im Sinne von Abkehr vom Streben der Türkei in Richtung Europa. Erst unter der AK Partei begann der Prozess der Annäherung an die Europäische Union an Fahrt zu gewinnen. Das Jahr 2001 ist insoweit eine Zäsur, als die Türkei mit ihrer undemokratischen und autoritären Vergangenheit bricht.

Zum ersten Mal in der modernen Geschichte der Türkei fügt sich eine demokratisch gewählte Regierung nicht den militärischen, antidemokratischen Kräften, sondern macht sie sich gefügig. Nicht die Militärs bestimmen über die Demokratie, sondern die Demokratie über die Militärs. Genauso wie auch Europa es immer gefordert hat. Zum ersten Mal gibt es in der kurdischen Frage echte Fortschritte. Die Zeit der Verleugnung ist vorbei. Demokratische Standards setzen sich durch. Genauso wie auch Europa immer gefordert hat.

Zum ersten Mal stellt sich die Türkei auch ihrer problematischen Geschichte mit den Aufständen der Kurden und deren Niederschlagung, wie es beispielsweise beim Aufstand in Dersim im Jahr 1938 geschah. Damals haben ca. 30.000 Menschen ihr Leben verloren. Dieses Thema kam unter der Regierungszeit der regierenden Partei der AKP ans Tageslicht. Der Ministerpräsident Erdoğan hat sich dafür auch im Namen des Staates entschuldigt. Auch berichten nichtmuslimische Minderheiten über Verbesserungen ihrer Situation. Auch dies dürfte im Sinne europäischer Befindlichkeiten sein.

Nun platzt in diese Entwicklungslinie Sarkozys Gesetz über die Leugnung von Völkermorden. Sofern das Gesetz bestehen bleibt, wird es in einem Kernland der europäischen Union bei Strafe verboten sein, eine andere als vom Staat verordneten Meinung zu vertreten. Genauer, man darf nicht mehr sagen, die tragischen Ereignisse von 1915 auf dem Gebiet der Türkei sind nicht als Völkermord zu bezeichnen.

Nun fragt man sich, warum hat Fankreich bzw. Sarkozy diesen Schritt getan? Was bezweckt er damit? Möchte er damit die Türkei zwingen, ihre Geschichte im Sinne von Frankreich aufzuarbeiten? Das dürfte kaum der Fall sein. Zum einen lässt sich kaum ein Land von ausen aufzwingen, wie er seine Geschichte aufarbeiten soll. Eine solche Vorgehensweise dürfte höchst kontraproduktiv sein, falls es überhaupt so etwas beabsichtigt sein sollte. Ausserdem wäre Sarkozy besser beraten, sich zuvörderst mit der eigenen Gesichte zu befassen, beispielsweise mit der Rolle Frankreichs in Raunda oder in Algerien.

Oder wolte Sarkozy mit diesem Schritt zum Entspannungs- und Versöhnungsprozess innerhalb der Türkei sowie zwischen der Türkei und Armenien beitragen. Auch dies dürfte kaum der Fall sein. Bleiben dann wahltaktische Gründe. In Frankreich leben um die 500.000 Armenier. Allein die Stimmen der Armenier dürften als Argument für eine solche Vorgehensweise als Erklärung kaum ausreichen. Es ist wohl doch so, dass mit einem solchen Schritt – vielleicht auch aus christlichen Solidaritätsgefühlen – antitürkich, antimuslimisch eingestellte Kreise sich ansprechen lassen.

Also Wahlkampf auf dem Rücken der Türkei? Das Leid der Armenier als Wahlkampfmunition? Falls die Rechnung von Sarkozy aufgehen sollte und er die Wahlen gewinnen sollte, wäre es nicht das erste Mal, dass in Europa mit antitürkischen Kampagnen sich Wahlen gewinnen lassen. Schon 1880 zog der liberale englische Politiker William Gladstone mit der Parole vom ‘schrecklichen Türken’ in den Wahlkampf und löste seinen konservativen Gegenspieler Benjamin Disraeli ab. Damals ging es um die Empörung über die Brutalität, mit der das Osnamische Reich Aufstände auf dem Balkan niederschlug. Wie Michael Thumann schreibt (Der Islam-Irrtum), führte Gladstone damals ein Prinzip in die europäische Politik ein, das später viele Nachahmer gefunden hat.

Schreitet also Sarkozy auf dem Weg, den Gladstone vorgezeichnet hat. Oder folgt der auf das Ziel, das Huntington vorhergesagt hat? Mag sein. Dies dürfte jedoch kaum der Weg sein, das das Europäische Projekt so gross und attraktiv gemacht hat. Hätten denn die Europäer mit einer solchen Geisteshaltung nach dem blutigen Zweiten Weltkrieg ihre Gegensätze überwinden und auf eine gemeinsame Zukunft hin zusammenarbeiten können?