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Kolumnen

Satire in Deutschland: Humor gehört nicht zu den Stärken der Deutschen

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Die Deutschen haben viele Stärken, besonderer Humor oder das Talent zum Komiker gehören nicht dazu. Umso erstaunlicher ist der Zuwachs an Satiresendungen im deutschen Fernsehen während der letzten Jahre. Aber Masse hat nicht unbedingt Klasse zur Folge. Da kann man noch immer sehr viel von England oder den USA lernen. Die für meine Begriffe talentierteste deutsche Komikerin, Anke Engelke, hat bezeichnenderweise ihre Jugend in Nordamerika verbracht. Das, was sie dort erlebte und aufsog, hat sie auf eine intelligente Weise nach Deutschland befördert. Aber eine Helene Fischer wird sie, was ihre Popularität angeht, deswegen noch lange nicht.

Für große Teile des deutschen Unterhaltungs- und Showgeschäft gilt, dass es ein nationales Geschäft ist. In den USA, Großbritannien oder Frankreich ist Günther Jauch unbekannt. Das gilt auch für unsere Nachbarländer, die haben wie wir ihre nationalen Kultfiguren. Was dem in die Schlagzeilen geratenen Komiker Jan Böhmermann und manchem seiner Kollegen aber offenbar entgangen ist, ist, dass sich die Welt in den letzten Jahren dramatisch verändert hat. Eine Karikatur, ein loser Spruch können dramatische Folgen haben. Sie haben das Zeug dazu, Regierungszentralen zu beschäftigen, bilaterale Krisen heraufzubeschwören, hektische Aktivitäten in Botschaften auszulösen. Diese Veränderung ist eine Folge der Globalisierung. Was Informationen und Nachrichten angeht, ist der Globus mittlerweile ein Dorf.

Die technischen Möglichkeiten und Entwicklungen fallen jedoch mit dem Erregungszustand der Welt zusammen, der vor allem im Verhältnis von Europäern und Muslimen eingetreten ist. Man kann lange über die Verantwortung für diesen Umstand streiten, sicher scheint mir, dass nun auf vielen Gebieten Besonnenheit bei den Akteuren gefragt ist. Es geht dabei nicht so sehr um juristische Paragraphen, um Meinungs- und Pressefreiheit, sondern darum, zwischen vielen Gruppen, die unsere Gesellschaft ausmachen, Vertrauen zu schaffen. Ein Mindestmaß an Übereinstimmung in einer Handvoll von wichtigen Fragen ist die Grundvoraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft funktioniert. Anders gesagt: Der Säbel ist für den Komiker selten geeignet, er ist am besten, wenn er mit dem Florett ficht.

Die neue deutsch-türkische Interdependenz hat auch Folgen für die Fernsehunterhaltung

Sich besonnen zu verhalten, sich im Ton zu mäßigen, heißt nicht, auf Kritik oder Satire in einer gesteigerten Form zu verzichten. Aber es bedeutet schon, zu realisieren, dass man nicht mehr in einer Gesellschaft lebt, wie sie unsere Eltern und Großeltern kannten. Damals lachte die gesamte Familie am Fernseher, lachte auch das ganze Lokal, wenn man zu einer Sendung mangels eigenem Gerät dort verweilte. Die Welt draußen wirkte komisch, man wusste wenig über sie, der französische Präsident hatte eine lange Nase, der amerikanische Präsident lachte immer, sie war im Übrigen auch weit weg. Wer kannte die Türkei? Und nun das Land mit vielen Neuankömmlingen, Neubürgern, die sich zum Teil erst finden müssen. Wenn man heute die Insassen eines Berliner Busses als repräsentativ für die Bundesrepublik erklären würde, müsste man vielen von ihnen erläutern, wer gerade im Fernsehen zu sehen ist, was sein Hintergrund ist und warum viele im Bus über ihn lachen, andere aber überhaupt nicht.

Die offiziellen und inoffiziellen Reaktionen auf die Spottverse von Böhmermann zeigen, dass auch die Satire in einem neuen Umfeld angelangt ist, dass sie politische Folgen haben kann. Der Auslöser der Affäre, der seitdem abgetaucht ist, unter Polizeischutz steht, hat dies offensichtlich nicht bedacht, er dachte nicht im Entferntesten an eine solche Möglichkeit wie auch die Redakteure der Sendung im faschingsseligen Mainz, weit weg vom nervösen Getriebe in Berlin oder in Istanbul.

Die neue deutsch-türkische Interdependenz hat somit auch Folgen für die Fernsehunterhaltung. Sie kann nicht so tun, als wenn wir immer noch „unter uns“ sind, als wenn Mainz singen und lachen kann, weil die Satiresendungen eine Art Jahresausgleich für den eisernen Griff der deutschen Parteien auf die politische Berichterstattung darstellen. Und schließlich geht es auch um Würde. Viele Deutsch-Türken, egal ob sie AKP-Anhänger sind oder Kritiker der neuen Verhältnisse in der Heimat von Eltern und Großeltern, müssen sich in diesen Tagen verletzt fühlen. Auch dieses hat jemand, dem der Erfolg zu Kopf gestiegen war, dem im Sender nicht einmal der Intendant zu widersprechen wagte, nicht bedacht.