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Kultur/Religion

Nursel Köse: Eine Löwin in Deutschland, eine Schwiegermutter in der Türkei

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Was passiert, wenn zwei starke Frauen aufeinanderprallen? Der Film „Ein Fisch namens Liebe“ führt es vor. Wir sprachen mit der deutsch-türkischen Schauspielerin Nursel Köse über ihr Selbstverständnis.

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Wie kann man eine emanzipierte, selbstbewusste Frau zur Verzweiflung bringen? Indem sie einer noch emanzipierteren Frau begegnet, die auch zudem noch ihre Schwiegermutter werden soll. In dem Film „Ein Fisch namens Liebe“ gibt es einen offenen Schlagabtausch zwischen zwei starken Frauen. Die mächtige Fatma aus dem Film wird verkörpert von Nursel Köse. Die Deutsch-Türkin aus Berlin-Istanbul kommt ursprünglich aus Malatya. Nach vielen Alibirollen und dem eigenen Kabarett ist sie mittlerweile eine gemachte Frau im Schauspielbusiness. DTJ sprach mit ihr über ihren Film, ihre Rolle und ihr Selbstverständnis.

Sie spielen im Film „Ein Fisch Namens Liebe“ Fatma, es ist eine komplizierte Rolle. Die Hauptfigur ist die ältere deutsche Braut Vicky. In einer Szene beschreibt Vicky Fatma als „gemeinste, hinterlistigste, intriganteste, durchtriebenste Person, der ich jemals begegnet bin“. Was zum Teufel ist denn diese Fatma für eine Frau?

Fatma ist eine Löwin, die für ihre Familie und Kinder unerbitterlich kämpft. Sie ist stark, traditions- und selbstbewusst. Zu ihren schlechten Eigenschaften gehören ganz eindeutig ihre Sturheit und ihre diversen Aberglauben. Bei uns in Anatolien nennt man solche Leute scherzhaft „sture Esel“… In dem Film treffen zwei starke Frauen zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt aufeinander. In einer ohnehin turbulenten Phase ist das konfliktreiche Aufeinanderprallen der beiden Frauen vorprogrammiert. Ihre Sturheit hindert sie daran, diesen Zustand zu ändern. So ist nunmal das Schicksal. Fatmas Heimatdorf ist sehr traditionell, ihre Wahlheimat Deutschland hingegen modern geprägt. Ihr gelingt es, beides in sich zu vereinen. Also ist sie durch ihre Herkunft traditionell geprägt, aber modernes Denken ist der Einfluss ihrer deutschen Wahlheimat. Dennoch ist es zunächst ein großes Problem für sie, dass ihr einziger Sohn eine nicht-türkische und deutlich ältere Freundin hat, die keine Kinder mehr bekommen wird und ziemlich emanzipiert ist. Schon im ersten Viertel wirft der Film folgende Frage auf: Muss Fatma jetzt erleben, dass Fortschritt Segen und Fluch zugleich sein kann?

Wie alltagstauglich ist das Szenario von „Ein Fisch Namens Liebe“ wirklich?

Der Film kann viel für das Verständnis von Dialog leisten. Solidarität unter Frauen ist enorm wichtig, sich gegenseitig zu stärken, sich zu verstehen. Aber auch das Wissen des Anderen miteinander zu teilen. Dies wird zum Schlüssel für Respekt und Toleranz füreinander.

Wenn Sie sich einer Rolle widmen, entwickeln Sie Gefühle dafür. Wie viel Ihrer Persönlichkeit verbirgt sich hinterher in den Rollen und wie steigen Sie aus der Rolle wieder aus?

Ich bemühe mich, einen Charakter mit einer gewissen Präzision zu spielen, den es so vorher nicht gegeben hat. Mir ist es wichtig, keine Kopie von irgendetwas zu sein. Ich versuche die Rolle sehr menschlich und authentisch zu spielen. Dadurch mache ich mir manchmal auch das Leben schwer. Bis der Charakter in seiner Art und Weise zustande kommt, habe ich starke Wehen und meine Freunde sind von meinen andauernden Fragen genervt. Aber bei jeder Rolle muss eine „Nursel Köse“- Signatur sichtbar, spürbar sein. Wenn ich eine Figur produziere, recherchiere ich nicht, welche ähnlichen Rollen es gibt oder was für Modelle schon einmal auf dem Bildschirm waren. Ich nutze auch keine fertigen Floskeln. Bei meinen Rollen im Kino versuche ich stets eine Person zu produzieren, die eigentlich eine von uns ist. Eine Person, mit der man sich stets identifizieren kann.

Sie leben abwechselnd in zwei Ländern. Wie prägt das Ihr Selbstverständnis?

Ich habe es sehr gern, auf verschiedene Arten zu leben und zu arbeiten. Eintönigkeit gibt es bei mir nie. Es gibt kein Ziel, keine Endstation, die ich erreichen möchte. Ein Zurücklehnen gibt es folgerichtig auch nicht. Die Arbeiten entwickeln sich immer weiter und bleiben in meinem Leben beständig. Die Addition der Stationen meines Lebenslaufs macht aus mir mein „Ich“.

Sie spielen jetzt in der zweiten Staffel der sehr populären türkischen Serie Paramparça eine wichtige Rolle. Als Keriman sind Sie eine nervige und miese Tante, die an zu inniger Liebe zum Geld leidet. Dennoch lieben die Massen in der Türkei Sie. Wie geht das?

Köse: Als ich das Drehbuch das erste Mal in der Hand hielt, war Keriman Schwiegermutter. Sie war noch älter. Erst später wurde sie Schwägerin. Ich habe zuhause sofort Kostüme ausgesucht. Dann habe ich mich geschminkt wie eine alte Frau und selber einige Szenen gespielt. Die Aufnahmen dazu habe ich an meine Agentur und an einige Freunde meines Vertrauens geschickt. Das Feedback war auf Anhieb sehr gut. Man fragte mich: Wie eklig ist denn diese Frau? Da spürte ich das erste Mal: Keriman kann sich von dem Zustand, bloß ein Phantom zu sein, befreien. Das war erleichternd. Auch bei Keriman wollte ich etwas Neuartiges, aber auch Menschliches und Authentisches erzeugen. Böse oder gut spielt da eigentlich keine große Rolle. Es musste natürlich auch meine Signatur tragen. Deshalb habe ich aus Keriman eine Frau gemacht, die eine Zeit lang Gastarbeiterin in Deutschland war und deshalb immer noch einige Begriffe auf Deutsch benutzt. Diese deutschen Begriffe sind zu einem Kult geworden. Wörter wie „Idiot“ sind nun in aller Munde. Das war meine Idee.

Deutschland leistet gegenwärtig viel für ankommende Flüchtlinge. Dabei fallen Menschen auf, die Flüchtlinge an Bahnhöfen applaudierend willkommen heißen. Gab es solche Szenen nicht schon in den 60er Jahren, als türkische Gastarbeiter in Deutschland ankamen? Was sehen Sie in diesen Bildern und was wünschen Sie sich?

Die ersten Türken in Europa setzten quasi die ersten Fußstapfen auf dem Mond. Ungewöhnlich für den Mond und für die, die auf dem fremden Planeten landen. Sich derart unterscheidende Menschengruppen benötigen nunmal eine lange Zeit der Gewöhnung. Deutschland vertrat die Position: Sie kamen nach Deutschland, also sollten sie sich anpassen. Damit hatten sie recht. Die Türken hingegen waren der Meinung: Wir kehren ohnehin zurück, also sollten wir unsere Kultur, unsere Art und unsere Zugehörigkeit bewahren. Auch sie hatten recht. Beide Komponenten führten zu Ghettoisierung und beide Seiten haben Fehler begangen und gemeinsam versäumt richtig zu beginnen. Heute erlebt Europa eine andere Migration. Statt diese aufgenommenen Menschen zu ghettoisieren, sollten sie in der Bevölkerung verteilt und ihre Integration gefördert werden. Sprach- und Integrationskurse sind eine gute Lösung.


Das Interview wurde am 15. Oktober 2015 erstveröffenlicht und erscheint nun im Rahmen unseres Jahresrückblicks erneut. Hier geht es zum Film „Ein Fisch namens Liebe“.