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Politik

Scheitert das Projekt EU am Nationalismus seiner Mitglieder?

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Flüchtlingskrise, „Brexit“-Debatte, Niederlande-Referendum, Griechenland: In der EU stehen die Zeichen auf Sturm. Schafft die Union noch die Wende?

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Europäische Union
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Die Mienen von EU-Mitarbeitern sind müde, oft auch angespannt. Die einst so stolze Europäische Union ist mit einer Krise nach der anderen konfrontiert, ohne dass auch nur eine richtig gelöst werden kann.

Im vergangenen Jahr konnte der Austritt Griechenlands aus der Eurozone gerade noch abgewendet werden, doch das strategisch wichtige Land im Südosten des Kontinents bleibt hoch verschuldet und fragil. Neue Turbulenzen bei der Rettung vor der Staatspleite stehen bevor.

Nicht zuletzt, weil die Regierung in Athen auch noch mit den Folgen der Flüchtlingskrise zu kämpfen hat. Griechenland ist zuletzt eines der wichtigsten Transitländer für Migranten aller Art gewesen. Nachdem die Balkanroute geschlossen wurde, sitzen dort jetzt Zehntausende Flüchtlinge fest.

Die Flüchtlingskrise ist mittlerweile das beherrschende Thema bei den Brüsseler Gipfel-Treffen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren europäischen Partnern. Mit der Türkei gibt nun eine Vereinbarung, wonach illegal eingereiste Flüchtlinge zurückgeschickt werden können. Im Gegenzug nimmt die EU auf legalem Weg Syrer aus der Türkei auf.

Immer neue Krisenherde

Die Krise ist aber auch nicht gelöst, Experten fordern, dass nun auch für die zentrale Mittelmeerroute zwischen dem politisch instabilen Libyen und Italien eine europäische Antwort gefunden werden müsse. Allein im vergangenen Jahr kamen darüber mehr als 150 000 Migranten.

Doch nicht nur in Griechenland oder Italien – auch in anderen EU-Ländern gärt es kräftig. Das Entsetzen war in dieser Woche groß, als die Niederländer bei einer Volksabstimmung mehrheitlich gegen das Partnerschaftsabkommen der EU mit der Ukraine stimmten.

Gescheiterte Referenden sind in der EU nichts Neues. Im vergangenen Jahrzehnt fiel der Entwurf zur neuen EU-Verfassung in den Niederlanden und in Frankreich durch. Die Union musste sich etwas Neues einfallen lassen und vereinbarte den Vertrag von Lissabon. Der heutige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker war damals Premier in Luxemburg. Er gewann 2005 das Verfassungsreferendum im Großherzogtum, vielleicht auch deshalb, weil er sein politisches Schicksal mit der Zustimmung zur Verfassung verknüpft hatte.

Manch einer in Brüssel wünscht sich so eine klare Ansage auch vom konservativen britischen Premier David Cameron. Der Herr von Downing Street 10 lässt seine Landsleute am 23. Juni über den Verbleib in der EU abstimmen. Die Stimmung ist in Europas jetzt schon gereizt, es werden Szenarien entworfen, falls sich die Neinsager tatsächlich durchsetzen sollten. Eines von ihnen sieht vor, den Austritt für Großbritannien so schmerzhaft wie möglich zu machen. Um ein Zeichen an all diejenigen Populisten zu senden, die in anderen Ländern ebenfalls einen EU-Austritt fordern.

Und wer trägt die Schuld an all den Krisen? Hätten sie nicht vielleicht verhindert werden können? In Brüssel wird gebetsmühlenartig darauf verwiesen, dass für zahlreiche Probleme zum Teil schon seit vielen Jahren europäische Lösungsvorschlage oder sogar Beschlüsse auf dem Tisch liegen. Sie werden allerdings nicht umgesetzt.

Nur ein Beispiel ist das Thema „mangelnde Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden“, das seit den Anschlägen in Paris und Brüssel wieder heiß diskutiert wird. «„Es gibt einen Ratsbeschluss von 2005, der vorsieht, dass die Mitgliedstaaten in Fragen der Organisierten Kriminalität und der Terrorbekämpfung ihre Informationen in vollem Umfang an Europol geben müssen“, sagt CDU-Europapolitiker Elmar Brok resigniert. „Aber sie machen es nicht.“

Jeder ist sich selbst der Nächste

Wer dann nach dem Warum fragt, gelangt schnell zu nationalstaatlichen Interessen und zum Thema Solidarität. Es sei klar, dass die Mitgliedsländer keine Solidargemeinschaft bildeten, konstatieren die Politikwissenschaftler Annegret Bendiek und Jürgen Neyer in einem Beitrag der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie verweisen auch darauf, dass die deutsche Regierung in der Vergangenheit wenig zu einer Änderung dieses Zustands beigetragen hat.

Dass vor allem Deutschland sich für europäische Solidarität stark mache, sei recht neu. Sie erinnern: „Als 2013 Tausende nordafrikanische Flüchtlinge die italienische Insel Lampedusa erreichten, stieß Italien mit seiner Forderung nach Solidarität noch auf taube Ohren in Berlin.“

Wozu diese Art von Politik führen kann, weiß Europapolitiker Elmar Brok zu berichten. „Das regt die Bürger auf“, sagt er. Auf der Straße bekomme er Sätze zu hören wie: „Hört mit dem ganzen Scheiß auf. Ihr lügt uns unentwegt an, Eure Trauerbekundungen und Menschenketten macht Ihr und sagt, es wird anders. Und es wird nichts anders.“

Über die konkreten Folgen des Referendums in den Niederlanden wagt derzeit kaum ein Spitzenpolitiker offen zu spekulieren. Vor der Abstimmung hatte sich EU-Kommissionspräsident Juncker noch optimistisch geäußert. Er denke nicht, dass die Niederländer mit Nein stimmen würden, sagte er in einem Interview. „Weil das würde die Tür zu einer großen kontinentalen Krise öffnen.“ (dpa/dtj)