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Wirtschaft

„Schlimmer als Corona“: Wie sich die Brände auf den Tourismus in der Türkei auswirken

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Die Bilder der Brände in Mittelmeerländern gehen um die Welt. Mitten in der Urlaubssaison ist das Gift für die ohnehin angeschlagene Branche in der Türkei, klagen Menschen vor Ort. Die Regierung verbreitet derweil Optimismus.

Die Rezeptionistin eines Hotels im westtürkischen Marmaris steht mit verschränkten Armen in der Lobby und blickt in den schwarz verkohlten Wald gegenüber. In der bei Touristen beliebten Region Marmaris haben die Brände große Waldstücke in Schwarz-Weiß-Landschaften verwandelt. „Das ist schlimmer als Corona. Die ganze schöne Natur ist weg“, sagt sie. Nun brächen die Buchungen ein. Etliche Touristen sagen ihren Urlaub mitten in der für den Sektor so wichtigen Saison ab. „Dabei hätte dieses Jahr jetzt doch Erholung bringen sollen.“

Brennende Wälder und Dörfer, evakuierte Hotels und anhaltende Hitzewarnungen – die Nachrichten von den Bränden in bei Urlaubern beliebten Ländern und Regionen haben etwa in der Türkei dramatische Auswirkungen auf den ohnehin durch die Pandemie gebeutelten Tourismus. Der Verband der Hoteliers und Betreiber in der südlichen Ägäis, Getob, hat einen Aufruf gestartet und Menschen gebeten, ihren Urlaub in den betroffenen Gebieten zu verbringen, um diesen wieder auf die Beine zu helfen.

Minister und Reiseverband widersprechen

Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes und machte laut Statistik 2019 vor der Coronakrise elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Im vergangenen Jahr ist er jedoch um 70 Prozent eingebrochen. Die Regierung sieht unterdessen kaum Probleme für den Sektor durch die Brände. Zu Beginn der Feuer habe es Absagen gegeben, mittlerweile nähmen die Buchungen aber wieder zu, sagte kürzlich der Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy. Für bestimmte Regionen mag das stimmen, in der Region Antalya etwa haben die Brände nie akut Touristenhochburgen bedroht.

Die deutsche Reisebranche sieht die Sommersaison durch die verheerenden Brände in Teilen Griechenlands, der Türkei und Italiens derzeit nicht gefährdet. Insbesondere für die Menschen, die in den Gebieten lebten, seien die Brände eine einzige Katastrophe, erklärte der Reiseverband DRV am Montag auf Anfrage. „Urlaubshotels der deutschen Reiseveranstalter, insbesondere an den Küsten, sind – wenn überhaupt – aber nur marginal betroffen.“

Die Branche verzeichnet den Angaben zufolge zwar wachsenden Informationsbedarf bei Urlaubern, die jetzt nach Griechenland oder in die Türkei reisen wollen. Sie erkundigten sich bei den Veranstaltern, ob ihre Urlaubsregion oder ihr Hotel von den Bränden betroffen sind. „Den Wunsch nach Stornierung oder Umbuchung gibt es allerdings kaum“, erklärte der DRV, der Veranstalter und Reisebüros vertritt. Die Veranstalter beobachteten die Situation vor Ort sehr genau, um im Fall der Fälle schnell zu reagieren.

Touristen stehen Schlange, um in Sicherheit gebracht zu werden

Im Urlaubsort Turunç können die Menschen davon nur träumen. Das Küstendorf liegt 20 Kilometer von Marmaris entfernt in einer kleinen Bucht, umschlossen von Bergen. Einzig eine kurvige schmale Straße führt in den Ort. Acht Tage lang habe es hier in den umliegenden Wäldern gebrannt, sagt ein Restaurantbesitzer. Am Strand hätten Touristen Schlange gestanden, um in Sicherheit gebracht zu werden.

Bewohner des Ortes erzählen, sie hätten tagelang gegen die Flammen an den steilen Hängen gekämpft, um den Brand fernzuhalten. Hilfe von Löschtanks und Flugzeugen sei erst nach Tagen gekommen. Der Ort ist unbeschadet davon gekommen, die Feuer sind gelöscht. Aber die Touristen sind fort.

Boote bleiben leer

Ausflugsboote, die normalerweise um diese Jahreszeit im Zehn-Minuten-Takt Touristen zu nahegelegenen Buchten oder nach Marmaris bringen, schaukeln still am Steg. „Ich habe 80 Prozent Absagen für den Rest der Saison“, sagt der Bootsmann Salih Şengül. „Wir haben keine Hoffnung, dass das dieses Jahr noch etwas wird.“ Auch er habe tagelang nicht geschlafen, nächtelang die Flammen bekämpft, um den Ort zu retten. „Hätten wir die offizielle Anweisung zur Evakuierung befolgt, läge Turunç jetzt in Schutt und Asche.“

Von den Liegen am Strand von Turunç sind nur einige wenige besetzt. Auf einer sitzt Pınar Özcan aus Niedersachsen. Die 29-Jährige kommt seit mehr als 20 Jahren nach Marmaris und hat Familie in der Region. So leer wie derzeit hat sie die Gegend im Sommer noch nicht gesehen. Sie kam, als die Brände noch in vollem Gange waren. Die Option, abzureisen, habe sie aber nicht in Erwägung gezogen. Die Orte, an denen sie unterkam, seien zu keiner Zeit akut gefährdet gewesen.

Situation in Griechenland und Italien

Auch in Griechenland und Italien wüten die Brände. Touristische Regionen sind in Griechenland jedoch kaum betroffen. Auf der Insel Euböa wurden mehrere Campingplätze frühzeitig evakuiert, Brände auf den Inseln Kreta und Rhodos schnell unter Kontrolle gebracht. In Italien sind besonders der Süden des Mittelmeerlandes und die großen Inseln Sizilien und Sardinien betroffen, wo die Flammen auch in Touristengebieten lodern.

An der Ostküste Siziliens zerstörte ein Feuer einen Strand-Badebetrieb in der Nähe der Stadt Catania. An der Adriaküste evakuierten die Behörden zuletzt Hotels, Campingplätze und Häuser bei Bränden in Campomarino Lido, in der kleinen Region Molise. Große Schäden für Hotels gebe es bisher nicht, erklärte eine Sprecherin des italienischen Hotellerieverbandes Federalberghi zu Wochenbeginn.

Die Rezeptionistin im vor allem wegen der grünen Landschaft beliebten Marmaris ist sich derweil sicher: „Covid wird irgendwann enden, aber es wird Jahrzehnte dauern, bis unsere Wälder wieder stehen.“

dpa/dtj

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