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Gesellschaft

Selbstkritik als muslimische Tugend

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Erneut stehen die Muslime aufgrund eines üblen Terroranschlags auf der Tagesordnung der Welt – jedoch diesmal nicht am Pranger. Wie werden sich die Ereignisse in Frankreich auf den innerislamischen Diskurs auswirken?

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Zwölf Menschen wurden bei dem Anschlag auf die Redaktionsräumen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris auf grausame Weise ermordet; unter ihnen zwei muslimische Polizisten und der Chefredakteur der Zeitschrift, Stephane Charbonnier. Sie alle waren Menschen.

Am Sonntag bot sich in Paris ein tolles Bild. Politiker und Bürger kamen bei einem Solidaritätsmarsch zusammen. Auch muslimische Bürger waren zahlreich vertreten. Türkische und algerische Fahnen waren zu sehen. Schilder mit der Aufschrift „Je suis Ahmed“ waren ebenso zu sehen wie welche mit „Je suis Charlie“.

Erneut stehen die Muslime aufgrund eines üblen Terroranschlags auf der Tagesordnung der Welt – jedoch diesmal nicht am Pranger. Denn glücklicherweise ist festzustellen, dass die meisten deutschen Medien und Politiker offenbar Lehren aus früheren Vorkommnissen dieser Art gezogen haben und die Geschehnisse in Paris diesmal mit gesundem Menschenverstand betrachten und analysieren. Man muss ihnen dankbar dafür sein, dass sie Vorsicht walten lassen. Wenigstens haben sie nicht sofort alle Muslime pauschal unter Verdacht gestellt und auf diskriminierende Weise über einen Kamm geschert. Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Schließlich kam es in der Vergangenheit schon häufiger vor, dass die hoch emotionale Berichterstattung den gesunden Menschenverstand vorübergehend außer Kraft setzte und plötzlich alle Muslime unter Generalverdacht standen.

Islam, Islamismus, Salafismus – wer blickt da noch durch?

Was ist diesmal anders? Vor allem wird mit Begriffen wie Islam, Islamismus, Islamisierung, Salafismus, islamistischer Terror, Dschihad(ist), Muslim etc. differenzierter und nuancierter umgegangen. Wenn bestimmte Ereignisse, und mögen sie noch so schlimm sein, die Menschen zum Nachdenken bewegen, ist positiv und als Hoffnungsschimmer zu bewerten. Dass insbesondere Politiker, Soziologen und andere Personen, die in der Gesellschaft eine gewisse Verantwortung tragen und deren Wort Gehör findet, in ihren Analysen und Äußerungen Zurückhaltung üben, ist nicht nur angebracht, sondern auch sehr lobenswert.

Aber auch die Muslime selbst müssen sich mit dem Schrecken des Terrors auf theologischer, rechtlicher, moralischer und menschlicher Ebene endlich mehr auseinandersetzen – Stichpunkt Selbstkritik. In Gesellschaften, in denen Menschen aus unterschiedlichen Ethnien und Kulturen leben, bilden eine pluralistische demokratische Kultur und Rechtsfindung prinzipiell ein ideales Fundament, um Gewalt und Terror vorzubeugen. Daran kann es keinen Zweifel geben, und deshalb muss das Bewusstsein für diese Tatsache gestärkt werden.

Haben Muslime die Demokratie als Lebensweise verinnerlicht?

Auf diese Weise konnte in Deutschland bereits das Problem des RAF-Terrorismus unter Kontrolle gebracht werden, und dies ist auch der richtige Weg, um Terrororganisationen wie dem NSU das Handwerk zu legen und Phänomene mit rechtsradikalen Tendenzen wie die Pegida zu entlarven und mit der Zeit in die Unbedeutsamkeit zu verdammen. Zugegeben, die Daseinsberechtigung der Pegida und ihrer Ableger liegt auch in radikalen Gruppierungen, die sich selbst als Muslime bezeichnen. Zudem erscheint es paradox und schizophren, dass manche Muslime in Deutschland und Frankreich die freiheitlich-demokratischen Vorzüge dieser Länder genießen, ohne jemals ihre Stimme gegen antidemokratische und despotische Tendenzen in ihren Herkunftsländern zu erheben. Wollen wir allen Ernstes behaupten, dass Muslime, ganz gleich welcher Herkunft, die Demokratie als Lebensweise verinnerlicht oder zumindest demokratische Umgangsformen angenommen haben? Äußerst schwierig, oder?

Gewiss mussten sich die europäischen Länder ihre Meinungs- und Pressefreiheit mit einem hohen Blutzoll teuer erkaufen. Wo wir uns heute an Demokratie und Freiheit erfreuen, versank das Mittelalter mit seinen kirchlichen Dogmen, despotischen Monarchien und barbarischen Religionskriegen in der Finsternis, und die Traumen der beiden menschenverachtenden Weltkriege wirken bis in die Gegenwart nach. Umso höher sind Werte und Errungenschaften wie Freiheit und Demokratie zu bewerten. Über deren Verständnis und Grenzen lässt sich sicherlich diskutieren. Insbesondere dort, wo religiöse Werte in übertriebenem Maße beleidigt werden. Auf Kritik, Ablehnung und Verurteilung kann man aber auf vielerlei Arten reagieren. Deshalb verstehe ich einfach nicht, warum einigen selbstermächtigten Muslimen nichts anderes einfällt, als Satire mit Terror zu beantworten. Und meines Erachtens liegt genau hier das eigentliche Problem. Statt zu sagen, Demokratie ist die Lösung, und zu überlegen, wie sie sich anderweitig wehren können, greifen sie skrupellos zu Gewalt. Dass sie damit in erster Linie den Islam besudeln und dem Ansehen der Muslime selbst schaden, merken sie überhaupt nicht. Oder wollen sie es überhaupt nicht merken? Was bezwecken sie damit? Mit ihrem Verhalten verstärken und bestätigen sie nur das Bild von Muslimen als gewaltverherrlichende, gefährliche, demokratieferne Gemeinschaft.

Auf globalisierte Gewalt mit einer universellen Haltung antworten

Warum erheben – weltweit – nicht muslimische Gelehrte ihre Stimme in Form von unmissverständlichen Deklarationen gegen solche unmenschlichen Gewalttaten? Aber eigentlich reichen solche Deklarationen allein inzwischen nicht mehr aus. Vielmehr müsste eine Mobilisierung stattfinden, die Menschen in Glaube, Ethik, Recht und Menschlichkeit aufzuklären. Warum ist dies bis heute nicht geschehen? Und warum zeichnet sich eine Entwicklung in diese Richtung auch jetzt noch nicht recht ab? Vergessen wir dabei die Politiker in muslimischen Ländern. Auf sie ist ganz bestimmt kein Verlass. Doch was hält Denker und Gelehrte davon ab, sich Gehör zu verschaffen und nach angemessenen Lösungen zu suchen? Ist es nicht an der Zeit, auf die globalisierte Gewalt mit einer universellen Haltung zu reagieren?

Nur wenn wir in diesem Sinne noch entschiedener authentisch und aufrichtig unsere Stimme für Demokratie, Pluralismus, Freiheit und Recht erheben und unserer Ablehnung jeder Form von Gewalt unmissverständlich Ausdruck verleihen, werden wir diese Prüfung erfolgreich meistern können.