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Politik

Sind Ali Babacan und seine neue Partei „DEVA“ für die Türkei?

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Der Begriff für „Therapie“ oder „Heilmittel“ lautet auf Türkisch „Deva“. So nennt sich eine neue Partei, deren potentielle Stärke bislang noch gar nicht statistisch zu erfassen ist. Doch der Vorsitzende wird als der einzige sich in Freiheit befindende Politiker in der Türkei betrachtet, der überhaupt eine Chance hätte, dem türkischen Staatspräsidenten die Stirn zu bieten. Warum?

Akkurat, sympathisch und entschlossen. Diese Eigenschaften fallen einem auf Anhieb ein, wenn man die jüngsten Auftritte von Ali Babacan analysiert. Der einstige „Erfolgsminister“ der AKP ist ein viel lächelnder, jedoch seriöser Mann, der sich offensiv gegen die Regierungskoalition aus AKP und MHP positioniert. Nicht zuletzt durch seine neuen Parteigenossen, die ihn bei jeder Gelegenheit öffentlich in den Himmel loben. Die Strategie des Personenkults soll am Charisma von Recep Tayyip Erdoğan kratzen. Dabei ist Babacan eigentlich einer, der sich eher in den Dienst seiner Partei stellt. Doch die politische Konjunktur der Türkei erfordert einen neuen starken Mann.

Der EU-Minister und Retter der türkischen Lira

Seine großen Schritte in Richtung Europäische Union als ehemaliger Außenminister der AKP, die enormen Fortschritte der türkischen Wirtschaft in seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister und das internationale Echo, welches bis heute äußerst positiv klingt, sind wichtige Punkte, die stark für Babacan sprechen. Übrigens auch im Rennen um die Pole Position in der Opposition. Denn die Alternative heißt aktuell Kemal Kılıçdaroğlu, der chronisch erfolglose Anführer der CHP, dessen Standing in den eigenen Reihen auf wackeligen Beinen steht. Neben ihm will auch der ehemalige Ministerpräsident der AKP Ahmet Davutoğlu seinen alten Parteifreund vom Thron stoßen. So, wie Erdoğan ihn selbst einst ins Abseits verbannte. Doch anders als bei Babacan lastet der Syrien-Konflikt auf dessen Schultern. Davutoğlu wird als der Außenminister betrachtet, der für die Eskalation der Auseinandersetzung mit Baschar al-Assad, dem Machthaber in Syrien, verantwortlich ist.

DEVA: Balsam für die Wunden?

In seinen Äußerungen zur aktuellen Lage der Türkei zeichnet Ali Babacan hingegen das Bild einer „kranken“ Republik. Krank in der Wirtschaft, da die Lage der Türkischen Lira Bände spricht und das internationale Invest nicht mehr ins Land fließt. Zudem stellt das Wirrwarr im Finanzministerium eine bloße Peinlichkeit dar. Auch ist die Türkei laut Babacan krank im Sinne der Pressefreiheit, wo doch noch immer dutzende Journalisten, darunter auch Namen wie Ahmet Altan (70), verhaftet sind. Krank in der Menschenrechtslage, da noch immer hunderte Frauen mit ihren Kindern inhaftiert sind.

Urteile des Europäischen Gerichtshofs werden missachtet

Inhaftiert sind auch weltweit anerkannte Personen wie Osman Kavala oder der ehemalige Anführer der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtaş. In beiden Fällen hat sowohl das türkische Verfassungsgericht sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Anklagen der Staatsanwaltschaft fallen lassen. Doch das aktuelle Regime erkennt beide Urteile nicht an. Auch deswegen ist die einst so beitrittsfreudige Türkei so weit von der Europäischen Union entfernt wie seit Jahren nicht mehr. Babacan stellt sich als der Therapeut dieser Probleme hin. Insofern ist der Name seiner Partei nicht bloß eine nette PR-Erfindung, sondern eine politische Kampfansage. Sie gilt dem „kranken Mann am Bosporus“, Recep Tayyip Erdoğan, der jüngst wieder Kurs in Richtung EU nahm. Wie glaubwürdig er darin ist, steht auf einem anderen Blatt.

Chancen von DEVA und Babacan

Auch der türkische Präsident war einst ein ganz anderer Mann. Der „Westen“ sah in ihm einen großen Hoffnungsträger für den gesamten Nahen Osten. Jedenfalls spielte Erdoğan auch lange genug diese Rolle. Doch heute ist er eine tickende Bombe für die Europäische Union. Mit seinen Drohgebärden in Bezug auf die Kriegsfliehenden aus Syrien, dem Irak und Afghanistan und den Provokationen an der Grenze zu Griechenland hat der türkische Präsident ein weiteres Mal verdeutlicht, dass er für die EU nur noch als kalkulierbarer Pragmatiker von Nutzen sein kann. Doch seine Interessen und Bündnis-Optionen wanken zu stark. Wenn er sich provoziert fühlt, wendet er sich schnell zum russischen Machthaber Wladimir Putin.

Babacan hat sich vergleichsweise schnell von Erdoğan „distanziert“

Babacan hat die letzten Veränderungen seines ehemaligen Vorsitzenden, zumindest nach eigenen Angaben, nicht mehr mitgetragen. Seit 2015 nahm Babacan keine aktive Position mehr in AKP-Kabinetten ein. Er kritisierte schrittweise das Abdriften seiner Partei hin zu einer autokratischen Linie. Auch den Einfluss externer Personen in der Partei bemängelte Babacan offen. 2019 trat er dann aus der AKP aus, die er einst mitgegründet hatte. Heute schätzen die Menschen an Babacan dessen Erfolge in wirtschaftlichen Fragen. Das sagte er neulich selbst. „Wenn die heutige Regierung von den Erfolgen der Vergangenheit spricht, waren das jene Zeiten, in denen ich am Steuer saß“, so der Vorsitzende der DEVA-Partei. Das Löschen der Nullen in der Landeswährung wird auch ihm zugeschrieben. Insofern könnte es eine echte Chance für die „DEVA“ und Ali Babacan in der Türkei geben. Sie hängt auch davon ab, welche Koalitionen diese neue Partei eingehen würde. Dazu gab es bisweilen weder Andeutungen noch konkrete Aussagen.

„Passen Sie auf, mit wem Sie sich verbünden“

Babacan mischt sich medienwirksam unter die Bevölkerung und spricht mit ihr. Er zeigt sich als Kümmerer und Versteher. „Wir haben nichts zu befürchten, doch die anderen haben große Angst“, so Babacan über die Ausgangslage des Erdoğan-Regimes. Die türkische Bevölkerung hat aber traditionell einen starken Hang zum Nationalismus. So muss DEVA ihre Bündnisse noch gut durchdenken. Denn die HDP wird in weiten Teilen der Bevölkerung kategorisch abgelehnt und als legalistischer Arm der Terrororganisation PKK bewertet. Eine offene Verbündung mit der HDP wäre also eventuell ein zu großes Handicap, wenn nicht sogar eine Totgeburt seiner Partei.

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