Connect with us

Politik

„So einfach ist es nicht“

Spread the love

Noch bevor die Innenministerkonferenz überhaupt eine Entscheidung über einen neuerlichen Antrag auf das Verbot der neonationalsozialistischen Partei gefällt hat, werden Bedenken über dessen mögliches Scheitern laut. (Foto: dpa)

Published

on

„So einfach ist es nicht"
Spread the love

Anfang Dezember will die Innenministerkonferenz über einen neuen Anlauf für ein Verbotsverfahren gegen die neonationalsozialistische NPD entscheiden. Nachdem im November 2011 aufgedeckt worden war, dass – nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen – ein aus rassistischen Motiven agierendes Terrortrio hinter zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Banküberfällen aus den Jahren 1998 bis 2011 stecken soll, wurde seitens mehrerer Länderinnenminister ein neuerlicher Antrag zum Verbot der größten und am längsten existierenden rechtsextremistischen Partei in Deutschland gefordert.

Im Jahre 2003 war ein erster Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, weil sich das Höchstgericht nach zahlreichen Enthüllungen über Konfidententätigkeiten führender Parteifunktionäre für Verfassungsschutzämter außer Stande sah, in ein ordnungsgemäßes Verfahren einzutreten. Es konnte nach Auffassung der Mehrheit im Richtersenat nicht ausgeschlossen werden, dass das Erscheinungsbild der Partei so stark durch V-Leute der Inlandsgeheimdienste geprägt worden wäre, dass eine entscheidungsrelevante Sachverhaltsfeststellung nicht mehr möglich erscheinen würde.

Hürden diesmal noch höher

Wie die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet, seien nun die Ergebnisse der Auswertung einer – diesmal angeblich nicht auf der Tätigkeit von V-Leuten beruhenden – geheimen Materialsammlung an die Medien durchgesickert. Deren Quintessenz laute, dass die zu erwartenden Hürden für ein neuerliches Verbotsverfahren diesmal noch höher angesiedelt wären als zum Zeitpunkt des ersten Versuchs.

Insbesondere wurde auch das Risiko erörtert, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ein Verbot der rechtsextremistischen Partei aufheben könnte. Immerhin könnte das Verbot den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit verletzen, da es in Europa wesentlich größere rechtsextremistische Parteien gäbe, die nicht verboten wären.

Vor allem enthalte das ausgewertete Material keine ausreichenden Beweise für direkte Verbindungen zwischen der NPD und dem terroristischen NSU, die als geeignet erscheinen würden, um die Mordserie zur Grundlage eines Verbots jener Partei zu erheben, deren ideologische Überzeugungen sich mit jenen des Terrortrios decken und dieses inspiriert haben sollen.

Zwar dürfte der bevorstehende NSU-Prozess – die Bundesanwaltschaft nennt den 13. November als Zieltermin für die Einbringung einer Anklage gegen die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe – unter anderem auch die Rolle des ebenfalls in Untersuchungshaft sitzenden mutmaßlichen thüringischen NSU-Helfers Ralf Wohlleben zur Sprache bringen, der immerhin auch Parteifunktionär der NPD auf Landesebene war. Es erscheint jedoch als unwahrscheinlich, dass diese Verbindung für sich alleine für ein Parteiverbot ausreichen könnte.

Gewaltapologetische Argumentationsmuster

Gleiches gilt hinsichtlich der Sympathiebekundungen einzelner Mitglieder, Funktionäre und Sympathisanten der NPD, die sich wohlwollend über die Terroristen geäußert hatten. So warf beispielsweise ein früherer SPD-Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt, der 2011 für die NPD zur Landtagswahl kandidiert hatte, auf seinem Blog die Frage auf, ob die Verbrechen der NSU-Terroristen nicht als „verfassungsgemäße Widerständler“ im Sinne des Artikels 20 GG einzuordnen wären. Der Rechtsextremist hielt dies für denkbar, da „die bewusst herbeigeführte Überfremdung und Einwanderung Deutschlands“ möglicherweise dazu geführt hätte, dass die mutmaßlichen Täter „in ihrer Not kein anderes Mittel mehr gewusst“ hätten als den Mord – übrigens eine Argumentation, die sich später in ähnlicher Form auch die bekannte „Islamkritikerin“ Ayaan Hirsi Ali zu Eigen gemachte hatte, als sie mit Blick auf die Breivik-Morde über angebliche „Anwälte des Schweigens“ und „Zensur“ sinnierte, die dem Täter keine andere Wahl als die Gewalt gelassen haben könnten.

Derzeit sieht es so aus, als würden 14 Bundesländer einen neuerlichen Verbotsantrag gegen die NPD unterstützen. Hessen und Niedersachsen sind dagegen, Bundesinnenminister Friedrich will eine solche Option nur mittragen, wenn sichergestellt ist, dass kein Material von V-Leuten verwendet wird.

Auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Beobachter rechtsextremistischer Bestrebungen in Deutschland befürworten einen neuerlichen Verbotsantrag nicht bedingungslos.

Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft

Aussteiger Andreas Molau gab gegenüber dem NDR zu bedenken, dass die Aufwertung der Partei durch Verschaffung einer Märtyrerposition die rechtsextreme Szene stärke. Außerdem wäre ein Einsatz von V-Leuten gar nicht relevant für ein solches Verfahren, da die wesentlichen Anhaltspunkte für die verfassungsfeindliche Gesinnung der Partei offen auf dem Tisch liegen würden.

Patrick Gensing von der „Publikative“ wiederum sieht in der Debatte ein Alibi, um vom institutionellen Rassismus abzulenken: „Das Problem wird exotisiert, abgeschoben auf die bösen Neonazis, die unsere Gesellschaft, unsere Netzwerke, unsere Kindergärten, Schulen oder Vereine unterwandern wollten. Doch so einfach ist es nicht. Die Neonazis fliegen nicht aus dem Weltall ein, sondern sie kommen aus unserer Mitte.“

In der Tat liegt der Eindruck nahe, ein NPD-Verbot wäre primär ein Akt aktionistischer Symbolpolitik, dessen Risiken die potenziellen Vorteile überwiegen. Mit ihrem ungefilterten Neonationalsozialismus und ihren dogmatischen Aussagen ist die Partei eher ein Anachronismus. Obwohl die NPD immer noch in zwei Landtagen vertreten ist, befindet sie sich auf dem absteigenden Ast.

NPD ist Auslaufmodell

Umfragen zufolge würden derzeit selbst in ihrer Hochburg Sachsen nur noch 2% der Wahlberechtigten den Neonazis ihre Stimme geben. Die Partei, die bei jeder Gelegenheit gegen die BRD als „Besatzerstaat“ hetzt, lebt zu einem großen Teil von staatlichen Geldern und ist hoch verschuldet, ihre Vorstände sind zum Teil bis in die Spitzen hinein mit Zuträgern des Verfassungsschutzes besetzt.

Auch wird es für die Partei immer schwieriger, ideologische Nischen zu besetzen. Die Tatsache, dass jener Diskurs, den die NPD lange Zeit als Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchte, mittlerweile von Ex-Bundesbankern und Bezirksbürgermeistern aus der SPD oder täglich von zahlreichen Kommentatoren und Talkshowgästen in scheinbar nicht einmal mehr anrüchiger Weise gegenüber einem Millionenpublikum gepflegt wird, macht es der Partei faktisch unmöglich, noch eine Schippe draufzulegen.

Doch nicht nur die wiederentdeckte Liebe der „gesellschaftlichen Mitte“ zum kollektivistischen, ethnisierenden und religiösen Umdeutung von strukturellen, sozialen oder einfach nur ethisch-moralischen Problemen lässt die NPD selbst für unbelehrbare Alt- und Neonazis immer mehr als überflüssig erscheinen.

Auch innerhalb der extremen Rechten selbst haben sich – von „Autonomen Nationalisten“, „Freien Kameradschaften“, den „Identitären“ oder Parteien wie „Die Freiheit“ oder „Pro NRW“ neue Aktions- und Plattformen gebildet, die der altbackenen und erstarrten Funktionärspartei den Rang ablaufen und perspektivisch möglicherweise sogar noch ein wesentlich höheres Gefahrenpotenzial schaffen könnten als voraussichtlich durch ein symbolisches Parteiverbotsverfahren ausgeschaltet werden würde.

Christian Rogler