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Politik

Solidaritätsinitiative: Türkische Medien erhalten Zugang zum NSU-Prozess

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Türkische Medien werden den Prozess-Auftakt jetzt doch verfolgen können. Drei Journalisten von „Zaman“, „Sabah“ und „Hürriyet“ profitierten von einer Solidaritätsinitiative der Bayerischen Landtagspresse. (Foto: dpa)

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Solidaritätsinitiative: Türkische Medien erhalten Zugang zum NSU-Prozess
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Das Gericht bleibt zwar weiter seiner umstrittenen Linie treu, doch eine Solidaritätsinitiative der Bayerischen Landtagspresse verschafft türkischen Berichterstattern doch noch einen fast nicht mehr für möglich gehaltenen Zugang zum NSU-Prozess.

Die vergangene Woche gestartete Initiative brachte ein für die türkischen Medien positives Ergebnis. Akkreditierte und auf den vorderen Nachrückerplätzen positionierte Journalisten erklärten sich bereit, freiwillig auf ihre Plätze zu verzichten. Diese sollen nun von den türkischen Zeitungen „Zaman“, „Sabah“ und „Hürriyet“ eingenommen werden. Die Regelung gilt allerdings nur für den Prozessauftakt am 17. April. 

„Sabah“ hatte in dieser Woche eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das OLG München hatte daraufhin Pannen beim Vergabeverfahren zugegeben.

Zeitungen veröffentlichen NSU-Prozessberichte auch auf Türkisch

Die Münchner „Abendzeitung“ („AZ“) und die Berliner „tageszeitung“ („taz“) werden ihre Berichte über den NSU-Prozess auch in türkischer Sprache veröffentlichen. Die wichtigsten Reportagen, Interviews und Kommentare sollen übersetzt und im Netz publiziert werden, teilten die Blätter am Freitag mit.

Die Münchner Boulevardzeitung kooperiere dazu mit der liberalen türkischen Tageszeitung „Sabah“. Deren Korrespondent übernehme mit seinem Redaktionsteam die Übersetzung. Teile der Berichterstattung werden auch in der Printausgabe der türkischen Zeitung erscheinen. In der gedruckten Ausgabe der „AZ“ soll es vorerst nur am Samstag Berichte über den Prozess auf Türkisch geben.

„Grund für die Aktion ist, dass das Münchner Oberlandesgericht nach wie vor keine weiteren Presse-Akkreditierungen für den weltweit beachteten Prozess vergibt, so dass ausländische Medien weitgehend ausgeschlossen sind“, erläuterte die „AZ“.

Auch die „taz“ will ihre Texte so schnell wie möglich ins Türkische übertragen lassen und ins Netz stellen. Die Redaktion sprach von einem „unwürdigen Streit“ um die Zulassung. „Nach wie vor ist unklar, ob türkischsprachige Medien verlässlich von diesem wichtigen Prozess berichten können – und das, obwohl acht der zehn Mordopfer des NSU türkische Wurzeln hatten.“

Vom nächsten Mittwoch an müssen sich die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer verantworten. Dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) werden zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie an einer Polizistin zur Last gelegt. 

Medienrecht-Professor hält Klage von „Sabah“ zu kurz gegriffen

Prof. Dr. Ernst Fricke, Experte für Medienrecht an der Katholischen Universität Eichstätt – Ingolstadt, mit dem DTJ vor kurzem ein Interview zur umstrittenen Platzvergabe im NSU-Prozess führte, ist nach wie vor der Ansicht, dass man bei richtiger Argumentation mit Aussicht auf Erfolg im einstweiligen Rechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht türkische Zeitungen zu einer nachträglichen Beteiligung am Prozess verhelfen kann. Rechtsanwalt Höcker habe seinen Antrag beim Bundesverfassungsgericht darauf gestützt, dass eine Ungleichbehandlung der Redaktion einer türkischen Zeitung in Deutschland mit den deutschen Redaktionen vorliegt. „Das Argument ist zu kurz gegriffen. Nachdem Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention den Anspruch auf ein öffentliches Gerichtsverfahren normiert, ausländische Zeitungen und Redaktionen die Usancen der Akkreditierung bei Prozessen gar nicht kennen können, hätte hier für diese ausländischen Medien ein besonderer „Topf“ zur Verfügung gestellt werden müssen“, argumentiert Fricke in seiner Stellungnahme für DTJ.

Außerdem sei der E-Mailverkehr so geführt worden, dass sich schon daraus eine Benachteiligung der türkischen Medien ergebe. Aufgrund der „Vorkenntnisse“ sei beispielsweise der „taz“-Redakteur Wolf Schmidt, der schon mehrere Journalistenpreise gewonnen habe, der Erste auf der Akkreditierungsliste. Er habe seinen Antrag auf Zulassung zum Verfahren schriftlich vorbereitet und bereits zwei Minuten nach Zugang der Ausschreibung durch das OLG München per E-Mail geantwortet.

Türkische Medien könnten dieses „Insiderwissen“ zu der Vorgehensweise der Pressestelle des Oberlandesgerichts München gar nicht kennen. Sie sind insoweit durch die Umsetzung der vom Gericht vorgegebenen Akkreditierungsmethode („Windhund-Prinzip“) benachteiligt worden.

„Einen weiteren Fehler des Verfahrens sehe ich darin, dass die Ausschreibung auch die Zulassung nach der Reihenfolge die Zulassung von freien Journalisten ermöglicht hat, die im Bereich der Gerichtsberichterstattung „zumindest unbeschriebene Blätter“ sind. Eine Internetrecherche hat ergeben, dass einer der zugelassenen freien Journalisten namensmäßig auch eine Fahrschule haben soll“, erklärt Fricke weiter.

Verteidigung könnte Vergabeverfahren für eine Revision nutzen

Zudem habe sowohl die Verteidigung, als auch die Nebenklägervertretung das Gericht im Rahmen einer Anfrage um Herausgabe aller Unterlagen im Rahmen der Akkreditierung gebeten. Daraus werde deutlich, dass das fehlerhafte, weil ungleichbehandelnde Akkreditierungsverfahren, sicherlich benutzt wird, um eine Revision zu begründen. „Das Prinzip der „Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens“ impliziert eine gerechte und fehlerfreie Herstellung dieser Öffentlichkeit, insbesondere auch unter Beteiligung türkischer Medien und ihrer Vertreter.“

Laut Fricke ist es also gar nicht unwahrscheinlich, dass sowohl die Nebenkläger als auch die Verteidiger die Möglichkeit nutzen werden, die Fehlerhaftigkeit im Revisionsverfahren zu rügen und/oder schon am Anfang der mündlichen Verhandlung Ablehnungsanträge zu stellen, weil der Senat auch in der Folgezeit nichts unternommen hat, um nachträglich eine „Reparatur“ des ursprünglichen Akkreditierungsverfahrens vorzunehmen.

Daher empfiehlt der Jurist den benachteiligten Medien, ein eigenes Rechtsschutzverfahren beim Verfassungsgericht anzustreben. Das von Herrn Rechtsanwalt Höcker betriebene Verfahren erscheine ihm aus den oben dargestellten Aspekten nicht erfolgsträchtig zu sein. Die Kanzlei Höcker sei hochspezialisiert auf privates Medienrecht (Persönlichkeitsrechtsverletzungen). Im vorliegenden Fall handele es sich aber um öffentliches Medienrecht. (dtj/dpa)