Gesellschaft
Şöyle Böyle – eine Liebesgeschichte in Berlin
Jana Wilkens stellt uns ihre neue Liebe vor: die türkische Sprache. Mit viel Gefühl und Eloquenz bringt Sie uns die „dunklen Vokale und warmen Laute“ bei.
Dies ist eine sehr persönliche Geschichte, genau genommen eine Liebesgeschichte und sie begann mit zwei einfachen Wörtern: şöyle böyle. Denn dies ist die Geschichte meiner Liebe zur türkischen Sprache. Şöyle Böyle – das ist pure Lautmalerei, auch ohne die Bedeutung der Wörter zu kennen, ist direkt zu hören, wie es dem/der Sprecher_in geht. Şöyle böyle war wie das Kribbeln der ersten Verliebtheit und führte dazu, dass ich den lang gehegten Wunsch Türkisch zu lernen auch tatsächlich in die Tat umsetzte.
Das war natürlich nicht der einzige Grund, warum ich mich im letzten Jahr zu einem Türkischkurs an der VHS anmeldete. Aber die Sprache hat es mir angetan: Wie oft hatte ich staunend zugehört, während meine Freunde Türkisch sprachen und ihnen die ü’s und ö’s nur so aus den Mündern rollten. Das wollte ich auch können, also auf zum Sprachunterricht! Bereits in der ersten Stunde erklärt uns die Türkischlehrerin, das Türkische kenne kein „sein“ und „haben“. Mir ging bei diesen Worten das Herz auf. Man mag mir einen Hang zum Idealismus vorwerfen, aber ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es keine Rolle spielt, welchen Status eine Person hat, welchen Beruf sie ausübt, welches Geschlecht oder welche Staatsangehörigkeit sie hat und welche Besitztümer sie vorweisen kann. Natürlich wird all dies dennoch auch auf Türkisch gesagt. Aber ich erfreue mich trotzdem daran, dass dem „sein“ und „haben“ zumindest linguistisch nicht so eine große Bedeutung zukommt. Und noch eine weitere schöne Überraschung erfahren wir in der ersten Stunde: die türkische Sprache kenne auch keine Artikel und kein Geschlecht. So viele Buchstaben, die in der deutschen Sprache immer wieder zu Auseinandersetzungen oder Unsicherheiten führen – gendern wir mit dem großen Binnen-I oder doch lieber mit dem gender gap? – , gibt es somit in der türkischen Sprache einfach nicht. Aber abgesehen davon: Wir Sprachschüler_innen sind natürlich einfach dankbar für jede Vokabel, die nicht zusätzlich gelernt werden muss.
Dunkle Vokale und warme Laute
Nach dem ersten Flirt und der anfänglichen Neugierde begann die wirkliche Liebe zwischen mir und dem Türkischen dann aber mit „memnun oldum“. Allein der Klang – die ganzen dunklen Vokale und warmen Laute – ich konnte nicht aufhören, jedem dem ich begegnete meine Freude über ein vermeintliches Kennenlernen in diesen wunderschönen Klangfarben auszudrücken. Doch wie es nun einmal zu einer richtige Liebe gehört, wird es irgendwann ernst. Und so kamen mit dem besseren Kennenlernen auch die ersten Probleme: Gefühlt endlose Wortverkettung, deren Bedeutungsentschlüsselung zunächst einem Rätselraten gleichkommt. Diese Beziehung kennt die gleichen Probleme, wie so manch andere Partnerschaften in meinem Leben zuvor – manchmal wird mir die Bedeutung der Aussagen und Buchstabenaneinanderreihungen einfach nicht klar. Auch wenn es diesmal doch etwas anders ist. Die Logik, die der türkischen Sprache zu Grunde liegt, ist theoretisch wirklich gut nachzuvollziehen. Aber immer wieder stolpere ich über Suffixe – will mir diese Endung jetzt sagen, dass jemand irgendwohin geht oder daher kommt? Und wie viele Personen sind dabei? Suffixe schwirren wie wild gewordene Schmetterlinge in meinen Kopf herum und vernebeln meine Gedanken. Diese neue Liebe ist auch mit viel Arbeit verbunden.
Ich bin natürlich nicht die Einzige, die in diese Liebesgeschichte verstrickt ist. Türkisch zu lernen hat in Deutschland einen regelrechten Boom ausgelöst. In den letzten vier Jahren hat sich die Zahl der Türkischstudierenden in Berlin quasi verdoppelt. Interessant daran ist aber eher die Frage, wieso das erst jetzt der Fall ist. Jetzt, wo türkische Werke die Weltliteratur erobern, wo in der europäischen Krise der türkische Wirtschaftsboom noch mehr an Bedeutung gewinnt und Istanbul als die neue, pulsierende Weltstadt gefeiert wird, scheint auch die türkische Sprache in Deutschland auf eine Welle der Begeisterung zu stoßen. Dabei brauchen wir nur durch die Straßen zu laufen, um neugierig auf Türkisch zu werden. Über drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln haben ihre Heimat in Deutschland. Was ist eine schönere Anerkennung für die Bereicherung, die unsere Gesellschaft dadurch erfährt, als auch das ein oder andere Wort Türkisch zu lernen? Ich finde durch das Erlernen einer Sprache, lässt sich eine andere Kultur wunderbar entdecken. Sprache ist dabei für mich ein Schlüssel zum Verständnis, und das nicht nur auf sprachlicher Ebene; viel besser können wir dadurch verschiedenen Erfahrungen und Hintergründe nachvollziehen. Auch hilft das Erlernen jedweder Sprache, die Herausforderungen anzuerkennen, vor denen unsere Mitbürger_innen stehen, wenn sie Deutsch lernen.
Vielfältige Lebensläufe
Es ist schön im Berliner VHS Kurs zu merken, dass die türkische Sprache schon längst Bestandteil der Lebenswelten der Studierenden ist. Vielfältig sind die Lebensläufe meiner Mitstudierenden und ihre Motive, die Sprache zu erlernen. Da ist Martin, der schon Anfang 60 ist und vor ein paar Jahren seine Liebe zur Türkei entdeckt hat und dort hinziehen möchte. Da ist Erol, der zwar fast perfekt Türkisch spricht, aber die Schriftsprache in den letzten Jahren fast verlernt hat und dies nun auffrischen möchte. Da sind Josi und Michelle, die an Berliner Schulen unterrichten und gerne die „Geheimsprache“ einiger ihrer Schüler_innen erlernen möchten. Da ist Neil aus England, der in Berlin lebt und beruflich viele Kontakte in die Türkei hat. Und dann sind da natürlich die Türkeiurlauber_innen und die Verliebten, die die Sprache erlernen möchten, um sich mit den Verwandten des Partners besser zu verständigen. Und dann sind da auch noch die Neugierigen und Sprachverliebten, so wie ich, die die bunten Einflüsse des Türkischen in unserer Gesellschaft noch besser verstehen und würdigen möchten.
So freue ich mich heute noch mehr als früher durch die Straßen von Berlin zu streifen und die gesamte Buntheit und Vielfalt der Stadt aufzunehmen. Mit meiner neuen Liebe an der Hand kann ich diese Bereicherung noch besser entdecken. So kribbelt es immer wieder vor Begeisterung in meinem Bauch, wenn ich neu gelernte Vokabeln im Straßenbild entdecke oder im Vorübergehen einige türkische Wortfetzen verstehe. Ich hoffe, diese Liebe währt ewiglich.
Jana Wilkens studierte Kulturwissenschaften und European Studies in Paderborn und Frankfurt (Oder). Sie arbeitet beim Projekt Juniorwahl, einem Projekt zur politischen Bildung für Jugendliche und ist seit ca. 2 Jahren Mitglied im Verein Typisch Deutsch e.V. Jana Wilkens lebt seit fast sechs Jahren in Berlin und freut sich im Moment vor allem auf ihren nächsten Türkeiaufenthalt im Herbst.