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Politik

Spannungen mit der Türkei: Athen hofft auf Beistand der EU

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Griechenland will wegen der Spannungen mit der Türkei eine Sondersitzung der Außenminister der EU beantragen. Athen könnte sich auf Artikel 42 Absatz 7 der EU berufen und den Beistand der anderen EU-Staaten fordern. Der Konflikt um die „ausschließliche Wirtschaftszone“ bildet dabei keinen Einzelfall.

Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte in Brüssel, ein Sondertreffen der EU-Staaten sei theoretisch möglich, wenn es notwendig sei und alle Mitgliedstaaten zustimmten. Er verwies allerdings zugleich darauf, dass es bereits in rund zwei Wochen ein Treffen der EU-Außenminister in Berlin geben wird. Dabei werde es auch Gelegenheit geben, über den Streit ums Erdgas im östlichen Mittelmeer zu reden, sagte er.

Griechenland beruft sich auf den EU-Verteidigungsartikel 42

Warum sich Athen auf Artikel 42 Absatz 7 berufen will, blieb zunächst unklar. Er regelt nämlich nur, dass andere Mitgliedstaaten „im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet“ alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten müssen. Einen bewaffneten Angriff gab es bislang jedoch nicht. Dies kann allerdings als eine symbolische Warnung Griechenlands in Richtung Türkei verstanden werden. Man habe alle erdenklichen Optionen auf dem Tisch liegen und könne im Notfall die Unterstützung der anderen EU-Staaten in Anspruch nehmen.

Hintergrund der griechischen Initiative sind neue Erdgas-Erkundungen der Türkei. In der Nacht auf Dienstag bewegte sich das türkische Forschungsschiff Oruç Reis in einem Seegebiet, das Griechenland als sogenannte ausschließliche Wirtschaftszone versteht. Aufrufe Griechenlands, die Region zu verlassen, blieben unbeantwortet, wie es am Morgen aus Kreisen des Verteidigungsministeriums in Athen hieß. Die Suche der Türkei in der Region ist aus Sicht Athens illegal. Auch die EU hat die türkischen Aktionen verurteilt und Ankara aufgefordert, sie einzustellen.

Türkei: Oruç Reis setzt Suche bis mindestens nächste Woche fort

Das türkische Schiff soll bis zum 23. August südlich der griechischen Insel Megisti (Kasteloriso) und Rhodos nach Erdgas forschen, wie die zuständige türkische Marinebehörde mitteilte. Nach türkischer Lesart haben Inseln wie Kreta zwar Hoheitsgewässer, aber aufgrund ihrer geografischen Nähe zur Türkei keine ausschließliche Wirtschaftszone.

Ende Juli war nach einer Vermittlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine leichte Entspannung zwischen Athen und Ankara eingetreten. Die beiden Nato-Staaten hatten zugestimmt, einen Dialog zum Thema Energie im östlichen Mittelmeer aufzunehmen.

„Hoheitsgewässer“ und „ausschließliche Wirtschaftszone“: Was ist was?

Im Zuge des Gaskonfliktes zwischen der Türkei und Griechenland fallen immer wieder die Bezeichnungen Hoheitsgewässer und ausschließliche Wirtschaftszone. Welche Relevanz haben sie und was bedeuten sie überhaupt? Zunächst gilt es zu wissen, dass die genaue Definition im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen geregelt ist. 1982 beschlossen, trat es 1994 in Kraft und löste das Vorgängerabkommen ab.

Die Hoheitsgewässer

Die Hoheitsgewässer umfassen jenes Gebiet, dass sich von der Küste und den inneren Gewässern eines Landes bis zu maximal zwölf Meilen (22,2 Kilometer) in das Meer erstreckt. Dieses Gebiet gilt als ein Teil des Territoriums des entsprechenden Staates.

An das Hoheitsgewässer schließt die sogenannte Anschlusszone an. Sie umfasst ebenfalls maximal zwölf Meilen (22,2 Kilometer) und ist jener Streifen, dass sich zwischen den Hoheitsgewässern und der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone erstreckt. In der Anschlusszone kann der Staat Verstöße gegen seine Gesetze, die in seinen Hoheitsgewässern begangen wurden, ahnden. Außerdem darf er die Anschlusszone ebenfalls dazu nutzen, um Kontrollen zur Durchsetzung seiner Einreise- und Zollbestimmungen durchzuführen. Sie ist also nicht mehr Teil des Territoriums, zählt jedoch zu dessen Einflussbereich und kann zur Durchsetzung des nationalen Rechts außerhalb des eigentlichen Territoriums dienen.

Die ausschließliche Wirtschaftszone

Nach der zwölf Meilen umfassenden Zone des Hoheitsgewässers und den zwölf Meilen der Anschlusszone folgt die ausschließliche Wirtschaftszone. Sie beginnt erst, wenn man sich schon einige Kilometer von der Küste (im Höchstfall sind es 44,4 Kilometer) entfernt hat. Hier kann der Staat auf einer Breite von bis zu 200 Meilen (370,4 Kilometer) allein über die natürlichen Ressourcen verfügen. Das können Fischvorkommen und sonstige Meeresbewohner, aber auch Bodenschätze wie eben Gas- oder Ölvorkommen sein. Allerdings darf der Staat sein Gewaltmonopol in der ausschließlichen Wirtschaftszone nur sehr eingeschränkt anwenden. Die allermeisten zwischenstaatlichen Konflikte, die sich auf Gewässer und Meere erstrecken, beziehen sich deswegen auch auf Streitigkeiten über die ausschließliche Wirtschaftszone.

Zur Veranschaulichung des Seerechts hier zwei Beispiele:

1) Ein Schiff mit Migranten ohne Einreiseerlaubnis nähert sich aus der Türkei kommend der griechische Küste. In der ausschließlichen Wirtschaftszone darf Griechenland die Migranten wegen drohenden illegalen Grenzübertritts nicht festnehmen. Erst wenn das Boot in die Anschlusszone eindringt, die den Zwischenbereich zwischen der ausschließlichen Wirtschaftszone und den Hoheitsgewässern bildet, darf die griechische Küstenwache einschreiten. Sie hat hier das Recht, durch Aktivitäten in der Anschlusszone eine Verletzung ihrer Hoheitsgewässer und ihres Territoriums zu verhindern und vorzubeugen.

2) Das türkische Forschungsschiff Oruç Reis dringt in die ausschließliche Wirtschaftszone Griechenlands ein. Ab hier wird es knifflig. Dem UN-Seerechtsübereinkommen zufolge verletzt das türkische Schiff zwar die nationalen Rechte Griechenlands. Es forscht und bohrt nach Gas, was zu den natürlichen Ressourcen gehört. Darüber darf dem UN-Seerechtsübereinkommen zufolge in der ausschließlichen Wirtschaftszone nur Griechenland verfügen. Hier argumentiert die Türkei dagegen. Sie verweist darauf, dass im Falle der Oruç Reis und auch des Schwesterschiffes Yavuz jene griechische Inseln nur sehr wenige Kilometer vom türkischen Festland und umso weiter vom griechischen Festland entfernt sind. Sie hätten nach ihrer Lesart aufgrund ihrer geografischen Nähe zwar Hoheitsgewässer. Allerdings erkennt die Türkei die ausschließliche Wirtschaftszone der griechischen Inseln aufgrund der Nähe zum türkischen Festland nicht an.

Nachwirkungen der osmanischen Niederlage im Ersten Weltkrieg

Dass die unzähligen Inseln unmittelbar vor der türkischen Küste heute griechisch sind, ist auf den Vertrag von Lausanne von 1923 zurückzuführen. Als das Osmanische Reich als eines der großen Verlierer des Ersten Weltkrieges zusammenbrach und Mustafa Kemal Atatürk aus der Asche des Sultanats die Türkische Republik ausrief, waren Zugeständnisse unumgänglich. Die Inseln an Griechenland zu verlieren zählen dazu. Das möchte die Türkei in der Gegenwart am liebsten revidieren. Griechenland pocht jedoch auf seine Rechte. Das Ergebnis: Verhärtete Fronten auf beiden Seiten und ein seit Jahren immer wieder aufflammender Konflikt.

Doch wie realistisch ist ein Krieg? Die Zeitung Frankenpost gab dazu eine passende Prognose ab: „In ihrer Rhetorik stellen sich Türken wie Griechen als Opfer dar, das trotz des angeblich unfairen Verhaltens der jeweiligen Gegenseite die Probleme am Verhandlungstisch lösen will. Darin liegt eine Chance für EU und Nato. Weder die Türkei noch Griechenland wollen einen Krieg: Die wirtschaftlichen und politischen Schäden wären zu groß. Die Gefahr liegt darin, dass Politiker die Stimmung in ihren Ländern so aufpeitschen, dass ein Fehler oder ein Missverständnis wie ein Funke in einem Pulverfass wirken können.“

dtj/dpa

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