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Geschichte

Srebrenica: Wenn man nur einen Tag im Jahr lebt

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Das ostbosnische Srebrenica steht weltweit für den jüngsten Völkermord in Europa. Doch auch nach 20 Jahren herrscht neben Trauer nur Hoffnungslosigkeit. Niemand kehrt zurück, alle wollen nur weg.

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Das Zentrum des ostbosnischen Städtchens Srebrenica wirkt fast wie ausgestorben. Die einzige Metzgerei ist nach dem Tod des Inhabers verwaist. Auf dem Bauernmarkt sind nur zwei Verkaufsstände besetzt. „Srebrenica lebt wegen der Toten nur einen Tag im Jahr“, schreibt die größte bosnische Zeitung „Dnevni avaz“ in dieser Woche resigniert. Am 11. Juli ist es 22 Jahre her, dass serbische Verbände hier rund 8000 muslimische Jungen und Männer ermordeten. Ein Völkermord.

Vor dem Krieg (1992-1995) lebten in dem Ort 12 000 Menschen, drei Viertel von ihnen muslimische Bosniaken. Heute sind es nach offizieller Zählung weniger als die Hälfte. Nicht mehr als 4000 Menschen sind ständig hier, schätzen die Einheimischen. „Dnevni avaz“ spricht sogar nur von 1000. Die Mehrheit sind Serben. Das Kräfteverhältnis hat sich also von den Opfern zu den Tätern verschoben. Orthodoxe Serben und Muslime leben strikt getrennt voneinander, berichten beide Seiten.

„Die Kinder lernen schon in der Schule zwei ganz verschiedene Geschichtsversionen“, klagt Sehida Abdurahmanovic. Die 60-Jährige hat im Krieg ihre halbe Verwandtschaft verloren und schloss sich dem mächtigen „Verband der Srebrenica-Mütter“ an. „Die Jungen werden schon früh zum Kirchen- und Moscheebesuch angehalten“, berichtet sie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte vor zwei Jahren auf der letzten Station ihrer Balkan-Tour Srebrenica und kam mit dem Verband zusammen. Dieser richtete auch einen Brief an Merkel, in dem er sie um Hilfe bat. „Wir als Rückkehrerinnen in Heime, aus denen wir mit schrecklichen Verbrechen vertrieben wurden, sind täglich Provokationen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt“, zitiert die Neue Osnabrücker Zeitung aus dem Brief, der ihr vorliegt.

Die „Srebrenica-Mütter“ bitten die Bundeskanzlerin in ihrem Schreiben zudem um ein internationales Programm zum Wiederaufbau der Wirtschaft in Srebrenica und um Unterstützung von Anstrengungen zur Suche nach Vermissten und zur Bestrafung von Tätern.

Religion und Ideologie als Werkzeuge der nationalen und politischen Auseinandersetzung

Religion und Ideologie dienen auch heute noch als Werkzeuge der nationalen und politischen Auseinandersetzung. Die serbisch-orthodoxe Kirche und zwei Moscheen liegen in Sichtweite. In Sichtweite liegt auch ein Kirchlein, das Serben zurzeit unmittelbar neben der Srebrenica-Gedenkstätte in Potocari vor den Toren der Stadt errichten. Der Stifter der kitschig-bunten Kirche sieht den Bau als klares Bekenntnis für die Sache der Serben gegen die Bosniaken. Die empfinden das Gebäude als pure Provokation, weil nahe der Gedenkstätte auch mehrere Massengräber liegen.

Die Stadt blutet langsam aus, weil über ihre natürlichen Ressourcen andere entscheiden. Das traditionsreiche Heilbad, einst dank vieler Kurgäste die wichtigste Einnahmequelle, ist zerstört. 80 Millionen Liter bestes Mineralwasser versickern jährlich ungenutzt im Boden. Die Nutzung der üppigen Wälder ist nach undurchsichtigen Verfahren zwielichtigen Einzelpersonen übertragen worden. Von den Konzessionsgebühren sieht die geschundene Stadt nichts.

Aber es gibt auch Lichtblicke. Die österreichische Organisation „Bauern helfen Bauern“ hat in Srebrenica und dem Nachbarort Bratunac 436 Holzhäuser aufgebaut. Vor fünf Jahren hat sie hier auch eine Musikschule für mehr als 200 Kinder eröffnet. „Es ist ein Traum. Das ist der einzige Platz, wo sich Serben und Bosniaken treffen“, schwärmt die ehemalige österreichische Politikerin und Vorsitzende des Projekts, Doraja Eberle.

„Wir können nicht jeden Tag nur die Knochen der Opfer zählen“

Demgegenüber malt Avdo Purkovic, Besitzer der einzigen kleinen Pension Srebrenicas, ein tiefschwarzes Zukunftsszenario. „Alles steht hier still und die wenigen Rückkehrer hauen ein zweites Mal ab“, klagt der heute 32-Jährige. Ein Grund: „Alles kreist hier nur um die negativen Kriegsgeschichten“. „Wir können nicht jeden Tag nur die Knochen der Opfer zählen“, sagt der Jungunternehmer.

Schuld sind seiner Ansicht nach die zerstrittenen heimischen Politiker, die „das Volk als Geiseln missbrauchen“. Und die internationalen Politiker sowie Hilfsorganisationen. „Wo ist das viele Geld geblieben? Bei den einfachen Bürgern ist von Hunderten und Aberhunderten Millionen praktisch nichts angekommen“, behauptet er. Der damals 20. Jahrestag des Genozids hätte daher „eine Kehrtwende“ bringen müssen. Doch er erwartete, dass Srebrenica nach diesem international beachteten Tag wieder in Vergessenheit geraten wird. Und wappnet sich dagegen mit Plänen für die Schließung seiner Pension und den Umzug in die Stadt Tuzla.

Damit Srebrenica nicht in Vergessenheit gerät, haben tausende Menschen den Opfern des Völkermordes die letzten Ehre erwiesen. Sie nahmenin Sarajevo mit Gebeten und Blumen Abschied von den vor 20 Jahren von serbischen Verbänden Ermordeten

(dpa/dtj)