Politik
Staatspartei AKP, Terrororganisation PKK und der (neue) tiefe Staat
Der Terror der PKK kommt der türkischen Regierung zugute, die eigentlichen Interessen der friedlichen kurdischen Bewegung werden zerschlagen. Von dubiosen Verbindungen der Militärs und kurdischen Terroristen – eine Spurensuche.
„Wir waren eine der mächtigsten Armeen der Welt. Jedoch dachten wir, dass wir unsere Stärke erst dann wahren können, wenn wir eine Bedrohung aufrecht erhalten. Deswegen hatten wir davor Angst, dass diese Bedrohung verschwinden würde. Wir haben gesetzeswidrige Sachen gemacht.“
Dieses Zitat stammt vom Ex-Militär Atilla Kıyat, der vor einigen Jahren selbstkritisch die undurchsichtigen Verflechtungen der Terrororganisation PKK, ihre tiefen Verbindungen und die Rolle der türkischen Armee reflektierte.
Aussagen des kurdischen Politikers Kemal Burkay (79), der lange Jahre im Exil lebte, ergänzen diese Erklärung. Er sagte in einem Interview, er und weitere Intellektuelle hätten in den 1970er Jahren einen demokratischen Kampf für kurdische Interessen geführt. Dieser an sich friedliche Kampf sei mit Gewalt der terroristischen PKK untermauert worden. Er überliefert die kaltblütige Aussage des PKK-Gründers Abdullah Öcalan: „Als wir die PKK gründeten, hat der Staat uns drei Jahre lang Brot, Waffen und Geld gegeben. Als Gegenleistung verlangten sie von uns, dass wir kurdische Organisationen bekämpfen. Wir haben drei Jahre lang alles gemacht, was der Staat von uns wollte.“
Beide Aussagen zusammengenommen führen zum tatsächlichen Grund des Terrors, der das Land seit 40 Jahren lähmt.
„Nieder mit der kurdischen Politik, hoch lebe die PKK“
Der türkische Staat hat es nie zugelassen, dass die Kurden ihre Rechte auf politischem Wege legal einfordern. Die Bemühungen von Kemal Burkay und seinen Mitstreitern in den 1970er Jahren wurden unterdrückt. Die Kurden wurden gezwungen, in die Berge zu gehen. In den darauffolgenden Jahren entstanden pro-kurdische Parteien wie die Halkın Emek Partisi (HEP), Özgürlük ve Demokrasi Partisi (ÖZDEP), Demokrasi Partisi (DEP), Halkın Demokrasi Partisi (HADEP) und Demokratik Halk Partisi (DEHAP). Ihre Vorsitzenden und Abgeordneten wurden entweder ermordet oder verhaftet, die Parteien vom Verfassungsgericht verboten. Diejenigen, die in der Türkei an der Macht sind, wissen genau: Das Existenzrecht der PKK würde entfallen, könnten die Kurden auf zivilem und politischem Weg ihre Rechte einfordern. Deswegen hat man den Kurden diesen Weg versperrt.
2008 wurde die Partei für Frieden und Demokratie (BDP) gegründet, die sich der Demokratischen Partei der Völker (HDP) anschloss. Der HDP gelang es bei den Wahlen vom 7. Juni 2015, die 10 Prozent-Hürde zu überspringen und mit 80 Abgeordneten ins Parlament einzuziehen. Sie wurde noch vor der nationalistischen MHP drittstärkste Fraktion in der Großen Nationalversammlung. Das war aus Sicht der Kurden ein enormer Erfolg. Zum ersten Mal waren sie legal im Parlament vertreten. Welch ein Schlag ins Gesicht der Mächtigen, die sich der Herrschaft über das politische System so sicher waren. Nicht nur Erdoğan und seine AKP, auch die Führung der PKK in den Kandil-Bergen war von dem Erfolg der HDP nicht gerade begeistert.
Jahrzehntelang war es die Aufgabe der PKK gewesen, die Vormundschaft des türkischen Militärs zu sichern. Ihr ist es zu verdanken, dass die Militärs ihren Einfluss auf die Politik legitimieren konnten. Weil die Militärs für die „unzertrennliche Einheit des Staates und der Nation“ kämpften, konnten sie im Nationalen Sicherheitsrat den Ton angeben. Nachdem aber die Vormundschaft der Militärs durch die Ergenekon-Prozesse beendet wurde, gingen die Fäden, mit denen der Staat die PKK lenkte, in die Hände der Zivilisten über. Die Feststellung von Kemal Burkay, dass über 1000 Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes in der kurdischen Untergrundorganisation KCK aktiv sind, ist richtig. Mit der Schwächung der Militärvormundschaft hat sich lediglich der Auftraggeber, für den die PKK als Subunternehmen tätig ist, geändert. Und der neue Patron war in einer schwierigen Situation.
Die PKK und ihre Rolle bei den Wahlen
Die AKP hat bei den Wahlen im Juni 2015 schmerzliche Wahlverluste verkraften müssen. Sie verlor 69 Abgeordnete und damit auch die absolute Mehrheit. Erdoğan ließ sich fünf Tage lang nicht in der Öffentlichkeit blicken.
Und die PKK kehrte auf die Bühne zurück, um den politischen Erfolg der Kurden zunichte zu machen. Sie begann einen blutigen und sinnlosen Terrorkrieg, der den Kurden nicht im Geringsten nützte. Dutzende Bombenanschläge mit hunderten Opfern waren ein Geschenk des Himmels für die AKP. In einer Atmosphäre der Angst wandten sich die Wähler wieder der AKP zu.
Erdoğan rächt sich in diesen Tagen an der HDP. Mit Selahattin Demirtaş, der mit der Parole „Wir werden dich nicht zum Präsidenten (eines Präsidialsystems, Anm. d. Red.) machen“ seine Wahlkampagne geführt hat, sitzen viele HDP-Abgeordnete im Gefängnis. Die Attentate werden von der PKK verübt, den Preis dafür bezahlt aber die HDP. Das Volk greift die Parteibüros mit Steinen an und setzt sie in Brand. Erdoğan, der eigentlich für den gesellschaftlichen Frieden verantwortlich ist, ruft mit keinem einzigen Wort zu Besonnenheit auf. Er ist damit beschäftigt, im nordtürkischen Trabzon, eine Hochburg nationalistischer Wähler, ein neues Fußballstadion einzuweihen. Das Ziel der AKP ist nicht nur, mit der MHP zusammenzuarbeiten, sondern auch, die Basis der Partei an sich zu binden.
Nach den Wahlen drohte Erdoğan den Wählern: „Gebt uns 400 Abgeordnete und die Sache wird gut“. Der Ministerpräsident folgte ihm: „Falls das Präsidialsystem nicht kommen sollte, wird die Türkei gespalten.“ Der Erfüllungsgehilfe dieser Drohkulisse war die PKK.
Der neue tiefe Staat
Der Abgeordnete Şamil Tayyar ist einer von wenigen AKP-Politikern, der sich mit den Strukturen und dem Wirken des (alten) tiefen Staates beschäftigt hat. Als Kritiker hat er mehrere Bücher dazu geschrieben. Nun fordert aber Tayyar einen neuen tiefen Staat: „Der tiefe Staat ist nichts schlechtes“, sagte er nach dem Terroranschlag von Istanbul, bei dem 45 Menschen ums Leben kamen. „Die Türkei befindet sich in einer komplizierten geografischen Lage. Solche Länder brauchen auf jeden Fall einen tiefen Staat. Das ist ein Zeichen dafür, dass Menschen in ihren Ländern in der Lage sind, aus den Trümmern einen neuen Staat zu gründen. In der Vergangenheit hat die bürokratische Oligarchie den tiefen Staat in Besitz genommen und als Instrument ihrer eigenen Interessen missbraucht. Jetzt sagen wir: In der Türkei wird ein neuer tiefer Saat aufgebaut, er wird seine Befehle jedoch vom Volk bekommen.“ In der AKP-Rhetorik ist das Volk gleich die Partei und die Partei gleich Erdoğan.