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Politik

Stolz, Stabilität, Straßen: Warum die Menschen bislang die AKP gewählt haben

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Der Erfolg und Aufstieg der AKP ist unweigerlich mit dem Namen Erdoğan verbunden. Jetzt steht er erstmals bei einer Wahl nicht mehr der Partei vor. Welche Argumente zählen Wähler auf, die bislang für die AKP gestimmt haben?

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AKP Anhänger bei einem Meeting.
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Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat die Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP) einen wahren Siegeszug hingelegt. Seit 2002 regiert sie alleine, aus jeder Wahl – sowohl Parlaments- als auch Kommunalwahl – ging sie als stärkste Kraft hervor. Ihr Erfolg wird maßgeblich ihrem Mitgründer Recep Tayyip Erdoğan zugeschrieben. Erdoğan führte die AKP, bis er im vergangenen August zum ersten vom Volk gewählten Präsidenten wurde.

Nominell ist Erdoğan seitdem parteilos, er ist aber weiterhin der starke Mann im Hintergrund. An das Gebot der Überparteilichkeit, die ihm die Verfassung vorschreibt, hält er sich nicht, genauso wenig wie an seinen Eid zur Neutralität. Seit Wochen greift er aktiv in den Wahlkampf ein und wirbt – mal direkt, mal indirekt – für seine frühere Partei und kritisiert die Opposition mit harschen Worten.

Hier eine Chronologie der Wahlen, an der die AKP teilnahm:

2002: Die AKP wird mit 34,3 Prozent aus dem Stand heraus stärkste Kraft bei der Parlamentswahl. Alle weiteren Parteien bis auf eine scheitern an der Zehnprozenthürde. Die CHP kommt auf 19,4 Prozent. Abdullah Gül wird Ministerpräsident.

2003: Erdoğan löst Gül als Ministerpräsident ab. Zuvor wurde ihm wegen religiöser Aufwiegelung verboten, ein Regierungsamt zu bekleiden.

2004: Die AKP gewinnt auch in den Provinzen an Einfluss. Bei den Kommunalwahlen kommt sie auf 41,8 Prozent der Stimmen.

2007: Nachdem im Parlament nicht die notwendige Mehrheit für einen neuen Staatspräsidenten zustande kommt, finden vorgezogene Neuwahlen statt. Die AKP gewinnt mit 46,6 Prozent. Neben der CHP kehrt auch die MHP zurück ins Parlament.

2007: Eine von der AKP initiierte Volksabstimmung wird mit 68,9 Prozent angenommen. Die Wähler stimmen unter anderem dem Vorschlag zu, den Präsidenten ab 2014 direkt zu wählen.

2009: Vor dem Hintergrund der globalen Wirtschaftskrise büßt auch die AKP an Popularität ein. Sie kommt bei Kommunalwahlen aber immer noch auf 38,9 Prozent.

2010: Einem weiteren von der AKP auf den Weg gebrachten Referendum stimmen 57,9 Prozent der Wähler zu. Die beschlossenen Reformen schwächen unter anderem das Militär.

2011: Mit 49,8 Prozent kommt die AKP auf ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Parlamentswahl.

2014: Die Kommunalwahlen sind die erste Abstimmung seit den landesweiten Gezi-Protesten. Vor den Wahlen werden außerdem schwere Korruptionsvorwürfe gegen die AKP laut. Dennoch gewinnt die Partei 42,8 Prozent der Stimmen.

2014: Bei der ersten direkten Präsidentenwahl in der Türkei gewinnt Erdoğan bereits in der ersten Runde mit 51,8 Prozent der Stimmen.

AKP-Anhänger erklären ihre Wahl 

Allen Umfragen zufolge wird die AKP auch bei den Parlamentswahlen am Sonntag wieder stärkste Kraft, auch wenn sie mit Stimmenverlusten rechnen muss. Warum war die Partei bislang so erfolgreich? AKP-Anhänger in Istanbul sagen, weshalb sie die Partei wählen. Neun Gründe in Zitaten:

1. WIRTSCHAFT: „Ich bin 59 Jahre alt, und das ist die beste wirtschaftliche Lage, in der die Türkei je war. Arbeitnehmerrechte sind jetzt auch besser“, sagt Yahya Ipek, der im boomenden Baugewerbe arbeitet.

2. SOZIALLEISTUNGEN: „Sogar wenn jemand Analphabet ist, wenn er AKP-Anhänger ist, wird er etwas zu essen haben. Die Dinge sind jetzt leichter, weil jeder krankenversichert ist“, sagt ein 33 Jahre alter Arbeiter namens Can.

3. STABILITÄT: „Stabilität ist das wichtigste für mich, das beinhaltet wirtschaftliche Stabilität. Deswegen gebe ich der AKP meine volle Unterstützung“, sagt Kinyas, ein 54-jähriger Fahrer.

4. INFRASTRUKTUR und ENTWICKLUNG: „Sie bauen Brücken und die U-Bahn. Diese Sachen machen mein Leben so viel besser und einfacher. Jetzt holen sie jeden Tag den Müll vor meinem Haus ab. Die Krankenhäuser sind besser geworden“, sagt Osman, ein Händler.

5. STOLZ: „Erdoğan hat uns in der Türkei viel Stolz gegeben. Er macht, was am besten für die Türkei ist. Und er ist der einzige, der seine Stimme erhebt, weil all diese Menschen im Irak und Syrien sterben. Niemand außer Erdoğan kümmert sich“, sagt der Fahrer Kinyas.

6. KURDENFRAGE: „Früher konntest Du nicht frei sein oder frei reden. Die Menschen hatten Angst, ihre Sprache zu sprechen, die Sprache war verboten. Es war sogar gefährlich zu sagen, dass Du ein Kurde bist. Seit Erdoğan ist das Kurden-Problem gelöst“, sagt ein 63 Jahre alter Kurde namens Mehmet, der im Import-/Exportgeschäft tätig ist.

7. ENTMACHTUNG DES MILITÄRS: „Die AKP hat die Periode der Coups beendet“, sagt Ipek.

8. ISLAM UND ENDE DES KOPFTUCHVERBOTS: „Eine meiner Töchter trägt ein Kopftuch, die andere tut das nicht. Das ist echte Demokratie“, sagt Mehmet.

9. MANGEL AN ALTERNATIVEN: „Alle Parteien sind schlecht. Aber die beste unter den schlechten ist die AKP“, sagt ein 59-Jähriger namens Ali.

Diese Punkte erklären den Aufstieg der AKP. Doch seit einigen Jahren nehmen die kritischen Stimmen zu. Politikwissenschaftler sind der Auffassung, dass die AKP sich von einer Volks- zu einer Staatspartei gewandelt hat. Das von Präsident Erdoğan angestrebte Präsidialsystem könne zu einer unkontrollierbaren Machtzentrierung führen, die nur schwer rückgängig gemacht werden könne. Korruptions- und Wahlmanipulationsvorwürfe sowie Einschränkungen der Pressefreiheit sind weitere Punkte, die der AKP mittel- und langfristig Stimmen kosten könnten. (dtj/dpa)