Politik
Streit um Incirlik: Zypern oder Jordanien statt Türkei?
Der Streit um das Besuchsverbot für Abgeordnete am türkischen Stützpunkt Incirlik schwelt schon seit Juni. Für den Fall, dass die Bundeswehr deshalb abziehen sollte, schaut sie sich schon nach Ersatzorten um.
Der deutsch-türkische Streit um das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete in der Luftwaffenbasis Incirlik im Süden der Türkei geht in die nächste Runde – und die Zeichen stehen auf Eskalation. Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold fordert nun erstmals den Abzug der deutschen Tornado-Jets von der Nato-Basis. Nach Spiegel-Informationen bereitet sich die Bundeswehr bereits für einen möglichen Abzug vor. „Die Bundesregierung muss jetzt umgehend andere Standorte für die deutschen Soldaten abklären“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion dem Spiegel.
Eine Verlängerung des Bundestagsmandats für den Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr in der Türkei hält Arnold wegen des Besuchsverbots für „ausgeschlossen“. Das Mandat für die Mission läuft im Dezember aus, für eine Verlängerung durch den Bundestag sind die Stimmen der SPD-Fraktion unverzichtbar. Die Türkei lehnt Besuche deutscher Abgeordneter seit der vom Bundestag im Juni beschlossenen Armenier-Resolution ab. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte: „Wenn die Türkei dies bedauerlicherweise immer noch verweigert, ist die Konsequenz zwingend der rasche Rückzug unserer Soldaten.“ Dies gelte solange bis die türkische Regierung wieder ein verlässlicher Partner sei, besonders im Kampf gegen den Terrorismus.
Die Union gibt sich zurückhaltender
Deutlich vorsichtiger äußerte sich der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte. Im Vordergrund stehe die Erfüllung des sicherheitspolitischen Auftrags. Das sei der Kampf gegen die Terrormiliz Daesh (IS). Die Soldaten sollten nicht „für eine übergreifende außenpolitische Debatte um die Türkei instrumentalisiert werden“. Dies sollten sich auch die Sicherheitspolitiker der SPD zu Herzen nehmen. Tatsächlich wäre eine Verlegung der deutschen Soldaten auf Ausweichstützpunkte – im Gespräch sind Zypern und Jordanien – mit erheblichem operativen und finanziellen Aufwand verbunden. Dennoch: „Wir würden den Einsatz für die Koalition gern von der Türkei aus fortsetzen, der Standort Incirlik ist für unsere Mission aber nicht alternativlos“, sagte der Sprecher von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
Die Verteidigungsministerin selbst sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Bundeswehr würde gerne den gemeinsamen Kampf gegen den IS von der Nato-Basis Incirlik aus fortführen.“ Dies liege im gemeinsamen Interesse Deutschlands und der Türkei. Auf die Frage, ob die Bundeswehr im Notfall auf einen schnellen Abzug vorbereitet sei, antwortete sie: „Kluge militärische Planung sieht immer auch Ausweichmöglichkeiten vor.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Rande eines Besuchs in Prag, die Türkei habe erst am Vortag betont, dass es sich bei Incirlik um einen Nato-Stützpunkt handele. „Und ich gehe davon aus, dass das auch in Zukunft so sein wird, dass von Incirlik aus Einsätze der Anti-IS-Koalition geflogen werden können“, fügte sie hinzu.
Verlegung wäre mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden
Derzeit wird laut Spiegel geprüft, ob die Tornados und das Tankflugzeug von der Türkei nach Jordanien oder nach Zypern verlegt werden können. Dazu aber müssten die Aufklärungsmissionen wegen des Umzugs für mindestens zwei Monate unterbrochen werden, hieß es unter Berufung auf Bundeswehr-Kreise. Außerdem sei die technische Versorgung an beiden Standorten schwerer zu gewährleisten als in Incirlik und die Trennung von anderen Nato-Einheiten, allen voran der US-Luftwaffe, würde die Koordination der Einsätze erschweren. Der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner sagte: „Wenn man isoliert auf einem Stützpunkt ist, muss man die Frage stellen: Macht dieser Einsatz überhaupt noch Sinn?“
Der Streit um den Luftwaffenstützpunkt im südtürkischen Incirlik war im Juni ausgebrochen, als türkische Behörden einen geplanten Besuch von Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe und zwei weiteren Bundestagsabgeordneten untersagten. Auch Interventionen von Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenstaatssekretär Markus Ederer sowie ein Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und dem türkischen Präsidenten am Rande des Nato-Gipfels in Warschau konnten die verfahrene Situation nicht lösen. (dpa/dtj)