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Bildung & Forschung

„Studiengebühren sind sozial gerechter als keine“

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Das Volksbegehren gegen Studiengebühren hat sein erstes Etappenziel erreicht. Über 1,3 Mio. Unterschriften wurden gesammelt. Im Vorfeld sprach sich Bayerns Wissenschaftsminister Heubisch gegen eine Abschaffung der Gebühren aus. (Foto: B. Aydın)

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„Studiengebühren sind sozial gerechter als keine“
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Das Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern scheint erfolgreich zu sein. Zwischen dem 17. und dem 30. Januar waren Bürger aufgerufen, mit ihrer Unterschrift die von Prof. Dr. Michael Piazolo initiierte Kampagne zu unterstützen. Am Ende kamen ca. 1.35 Mio. Unterschriften zusammen, gereicht hätten bereits 940.000.

Dr. Piazolo äußerte sich begeistert über die rege Resonanz. Er dankte allen Unterstützern der Kampagne, betonte aber, dass der Kampf gegen die Studiengebühren noch nicht gewonnen sei. „Wir werden dranbleiben. Falls die Regierung die Gebühren nicht abschafft, wird es zu einem Volksentscheid* kommen. Und das Begehren hat gezeigt: Das Volk will die Gebühren nicht.“

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer wertet den Ausgang des Volksbegehrens zur Abschaffung der Studiengebühren als erfreuliches Zeichen gelebter „direkter Demokratie“ in Bayern. „Der Ausgang des Volksbegehrens überrascht mich nicht. Meine Haltung zu den Studiengebühren bleibt auch nach Ausgang des Volksbegehrens die gleiche wie zuvor: Die Studiengebühren werden abgeschafft – durch den Landtag oder durch das Volk!“

Vor dem Ende der Kampagne sprach das DTJ mit dem bayerischen Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst Wolfgang Heubisch. Der FDP-Politiker bewertet die Lage der Bildungshochburg Bayern und spricht sich für eine Beibehaltung der Studiengebühren aus.

Herr Heubisch, seit Oktober 2008 sind Sie nun im Amt. Was tun Sie, um die Wissenschaft in Bayern voranzubringen?

Ich habe in meiner Amtszeit verschiedene Maßnahmen ergriffen. Eine große Herausforderung war der doppelte Abiturjahrgang in Bayern. Dafür haben wir an den bayerischen Hochschulen über 53.000 zusätzliche Studienplätze aufgebaut. Ich habe zum anderen die Entscheidungsfreiheit der Hochschulen erweitert. Die Hochschulen können jetzt ihre Professorinnen und Professoren selbst bestimmen und brauchen nicht mehr die Politik oder den Wissenschaftsminister zu fragen. Zudem haben wir auch die Hochschulen für Meister und beruflich Qualifizierte geöffnet. Sie können sich jetzt ohne Abitur direkt bei der Hochschule bewerben und studieren. Und nicht zuletzt haben wir die Forschung gestärkt und bauen die Internationalisierung unserer Hochschulen weiter aus.

Wie schätzen Sie die Lage der Hochschulen allgemein ein?

Natürlich würden wir angesichts der steigenden Studierendenzahlen gerne noch mehr investieren. Doch es freut mich, dass wir bei den Haushaltsverhandlungen für dieses und nächstes Jahr ein Plus für die Hochschulen erzielen konnten. Gerade durch die Studienbeiträge haben wir zudem erhebliche Verbesserungen in der Lehre erreichen können. Es zeigt sich, dass wir in diesem Feld gut aufgestellt sind. Und die Studenten studieren auch gerne an bayerischen Hochschulen.

Apropos Studiengebühren: Das Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren sorgte in den vergangenen Tagen für rege Diskussionen. Warum halten Sie an Studiengebühren fest?

Sie dienen ausschließlich der Verbesserung der Lehre. In diesem Zusammenhang sollte man sich eines bewusst machen: Bayern hat einen Exportanteil von über 50 Prozent. Das heißt, wir müssen unsere Produkte und Dienstleistungen am Weltmarkt verkaufen. Da brauchen wir die besten Hochschulabsolventen. Und die können wir nur mit bester Hochschullehre gewinnen. Deshalb ist diese Investition notwendig. Zieht man den internationalen Vergleich, so steht Bayern nicht allein da: die Schweiz und die Niederlande haben auch Studienbeiträge. Auch viele türkische Universitäten haben sie eingeführt. Vor dem Hintergrund gibt es aus meiner Sicht keine Alternative. Wir haben die Beiträge auch sozial ausgestaltet: So muss ein Drittel der Studierenden gar nichts zahlen. Desweiteren kann jeder nachgelagert zahlen, und zwar erst, wenn er einen Arbeitsplatz hat. Mein Fazit zu den Studienbeiträgen: Sie haben Bayern weiter vorangebracht.

Die Studiengebühren stehen auf der Kippe. Hochschulleiter rechnen im Falle der Abschaffung mit fehlenden Finanzmitteln in Höhe von 190 Mio. Euro und fordern volle Kompensation durch den bayerischen Staat.

Ja natürlich werden wir versuchen, den Wegfall der Studiengebühren zu kompensieren, wenn es dazu kommt. Aber die Erfahrung zeigt, dass in keinem Bundesland, in dem sie abgeschafft wurden, eine volle Kompensation erreicht wurde. Deshalb verstehe ich die Bedenken der Hochschulpräsidenten. Aber ich kann ihnen nicht definitiv sagen, dass voll kompensiert wird.

Ist die Kritik der Gegner, dass Studiengebühren Studenten belasten, nicht berechtigt?
Wenn ich an einen jungen Menschen denke, der seinen Meister machen will, dann muss der wesentlich mehr bezahlen als ein Student mit den 500 Euro pro Semester. Aus Gerechtigkeitsgründen müsste man auch da ansetzen. Ich muss auch darauf hinweisen, dass viele Familien für ihre studierenden Kinder Kindergeld bekommen. Wenn aber jemand mit der Lehre beginnt, bekommen die Eltern kein Kindergeld mehr. Das Kindergeld beträgt im Monat 184 Euro, in 6 Monaten macht das rund 1.100 Euro. Das ist doch auch eine Ungerechtigkeit. Ich sage, Studienbeiträge sind sozial gerechter als keine Studienbeiträge.

Die LMU oder TU als beste deutsche Universitäten finden sich beim weltweiten Hochschulranking erst ab Listenplatz 50 wieder. Warum ist das so?

Das liegt daran, dass das deutsche Wissenschaftssystem anders aufgebaut ist als das englische System. Im Ranking wird stark nach Forschungstätigkeit gefragt. Wir haben in Deutschland aber neben den Universitäten eine sehr starke Forschungslandschaft außerhalb der Universitäten, wie zum Beispiel Max Planck, Helmholtz und Leibniz, die in den Rankings nicht erfasst werden. Diese Forschungsgemeinschaften nehmen natürlich eine ganze Menge von den Universitäten weg, obwohl die Einrichtungen kooperieren. Die deutschen Universitäten liegen deshalb nur vermeintlich weiter hinten. Ich glaube, dass sie unter den besten 20 weltweit wären, wenn man die außeruniversitäre Landschaft miteinbeziehen würde.

Zur Internationalisierung der Hochschulen sind Partnerschaften sehr wichtig. Wie viele bayerische Hochschulen haben Partnerschaften mit türkischen Universitäten?

Ich war sehr begeistert von meinem Besuch in der Türkei im Herbst letzten Jahres. Wir haben allein mit türkischen Hochschulen 96 Partnerschaften und über 2 600 türkische Studenten sind an bayerischen Hochschulen immatrikuliert. Wir würden auch gern noch mehr türkische Studenten bei uns sehen. Das können wir schaffen, wenn wir noch mehr englischsprachige Studiengänge anbieten. Das ist einer der Wege, den die bayerischen Hochschulen in Zukunft gehen werden, um für Studierende aus anderen Ländern attraktiv zu sein.

Warum sollten ausländische Studenten deutsche Universitäten auswählen?

Wir wissen, dass die Ausbildung in Deutschland hervorragend ist. Ich habe auch in der Türkei erfahren, dass türkische Jugendliche an Zukunftsthemen sehr interessiert sind, deshalb sind unsere Angebote sehr interessant. Wir haben hierzulande auch eine türkische Community, mit der wir in völliger Harmonie zusammenleben. Das ist für viele auch ein Ankerpunkt. Türkische Bürger werden in Deutschland gerne gesehen.

„Study and stay in Bavaria“. Beschreiben Sie dieses Projekt.

Mit diesem Projekt wollen wir eine Kultur aufbauen und sagen: „Bitte kommt zu uns zum Studieren und bleibt nach dem Studium bei uns in Bayern und richtet euer Leben hier ein.“

Ich kenne aber einige Absolventen, die zurückgekehrt sind, weil Sie keinen Arbeitsplatz bekommen haben.

Die Türkei braucht auch Fachkräfte, gut ausgebildete Spezialisten. Deshalb haben die Studierenden dort auch größere Möglichkeiten. Natürlich glaube ich, dass die Absolventen nach einem Studium hier Deutschland und Bayern besonders im Herzen tragen werden und ich wünsche mir auch vielfälitige Kooperationen zwischen unseren beiden Ländern. Beides soll möglich sein: Entweder hierbleiben oder als Botschafter Bayerns ins Heimatland zurückgehen.

Wie lautet Ihre Botschaft an die türkischstämmigen Bürger in Bayern?

Ich kandidiere in München noch einmal. Wenn ich als Wissenschaftsminister in Bayern bleibe, werde ich alle türkischen Studieninteressierten nach Deutschland einladen. Wir wollen uns international aufstellen. Ich habe weltoffene türkische Studenten kennen gelernt. Türkischen Familien in Bayern würde ich empfehlen, ihre Kinder frühzeitig in die Kitas, Kindergärten und Vorschulen zu schicken, damit die Kinder nach der Grundschule gute Voraussetzungen haben, um das Gymnasium zu besuchen. Dann steht die ganze Welt der Wissenschaft an den Universitäten für sie offen. Und sie werden ein selbstverständlicher Teil der akademischen Welt sein.
 
* Wie geht es jetzt weiter? Innerhalb von vier Wochen nach Feststellung des amtlichen Endergebnisses des Volksbegehrens durch den Landeswahlausschuss wird die Staatsregierung das rechtsgültige Volksbegehren dem Bayerischen Landtag zusammen mit ihrer Stellungnahme übermitteln. Der Landtag hat das Volksbegehren binnen drei weiterer Monate zu behandeln. Der Landtag kann den begehrten Gesetzentwurf unverändert annehmen. Damit wäre das Volksbegehren erledigt und die Abschaffung der Studiengebühren Gesetz. Der Landtag kann das Volksbegehren aber auch ablehnen. Außerdem hat der Landtag die Möglichkeit, zum Volksbegehren einen eigenen alternativen Gesetzentwurf zu entwickeln und beim Volksentscheid zur Abstimmung zu stellen. In diesen beiden Fällen käme es zu einem Volksentscheid binnen drei Monaten nach Landtagsbeschluss.