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Bildung & Forschung

NRW-Ministerin: „Wir brauchen mehr Leute wie Suat Yılmaz“

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Im Interview mit DTJ äußert sich Ministerin Svenja Schulze (NRW) über die Situation studierender Einwandererkinder an den Hochschulen des Landes und äußert sich über Strategien zum Abbau immer noch bestehender Diskriminierungen. (Foto: Fatih Aktürk)

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Die Hochschulministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Svenja Schulze (SPD), spricht in ihrem Interview mit DTJ von „Gender und Diversity“ und dass Deutschland in dieser Hinsicht noch weite Strecken vor sich habe. Nur 19 Prozent aller Uni-Professoren seien Frauen, damit liege Deutschland im internationalen Vergleich ganz hinten. Dass Einwanderer mit einem deutschen Hochschulabschluss auf dem Arbeitsmarkt ungleichen Chancen begegnen, sieht die Ministerin mit großer Sorge.

Ihr Vorgänger wollte den Universitäten mehr Freiraum einräumen. Weshalb war dies für Sie der falsche Weg?

Das Hochschulzukunftsgesetz ist keine Abrechnung mit der Vergangenheit, also auch nicht mit meinem Vorgänger Pinkwart und dessen politischer Ausrichtung. Wir haben uns vielmehr hingesetzt und überlegt: „Was ist für die Zukunft unserer Universitäten wichtig?“ Gerade deshalb heißt unser Gesetz auch Hochschulzukunftsgesetz. Es gibt einige Bereiche in unseren Universitäten, in denen es besser laufen könnte. Beispielsweise ist der überwiegende Teil der Stellen befristet. Wir müssen dafür sorgen, dass die Hochschulen attraktive Arbeitgeber bleiben. Des Weiteren gibt es heute eine viel größere Vielfalt der Studierenden.

Früher gingen nur 5% aller Absolventen auf die Universität und die waren Kinder von Akademikern mit einem finanzstarken Haushalt. Heute sieht das ganz anders aus. Die Hälfte der Schulabsolventen geht auf die Hochschule, darunter gibt es einige, die selbst Mütter oder Väter sind. Unsere Universitäten müssen dieser Vielfalt gerecht werden. Das Gesetz gibt dies vor.

Wir wollen damit das Studium flexibilisieren. Es muss noch stärker möglich sein, dass gleichzeitig studiert und gearbeitet wird. Deshalb müssen mehr Teilzeit-Studiengänge angeboten werden. Ein drittes ganz wichtiges Problem ist die Gleichberechtigung. Nur 19% aller Uni-Professoren sind Frauen. Da liegen wir im internationalen Vergleich ganz hinten und da geht auch ganz viel Potenzial verloren.

Ein vierter und ganz besonders wichtiger Punkt: Hochschulen sind Schulen der Demokratie und Demokratie bedeutet Teilhabe. Es wird dementsprechend eine Stärkung des Senats geben, als das zentrale Gremium, das sozusagen für die Hochschule entscheidend ist; so wollen wir eine Mitgliederinitiative an der Hochschule einrichten und werden auch an anderen Stellen demokratische Teilhabemöglichkeiten schaffen.

Während 77% aller Akademikerkinder studieren, ist dieser Anteil bei Nicht-Akademikerkindern sehr gering. Ist das für Sie kein Grund, Alarm zu schlagen?

Doch, das ist auf jeden Fall ein Grund zur Sorge! Wir sehen das zum Beispiel im Ruhrgebiet. Es gibt viele Jugendliche, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben, aber dann nicht auf die Universitäten oder Fachhochschulen gehen. Natürlich muss nicht jeder studieren, aber besonders im technischen Bereich brauchen wir dringend Fachkräfte, in unseren Berufskollegs haben wir einen sehr großen Bedarf an Lehrern. Wir brauchen diese jungen Menschen, damit Nordrhein-Westfalen ein hervorragendes Industrieland bleibt. Für mich ist es wichtig, dass diese jungen Leute ihre Potenziale nutzen und ihre Persönlichkeit entfalten. Dazu kann und soll bei entsprechendem Interesse auch das Studium gehören. An diesem Thema arbeiten wir, aber auch das Schulministerium und das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales.

Wir müssen die Potenziale der jungen Menschen heben, damit sie später dort landen, wo ihre Talente, Fähigkeiten und Neigungen liegen. Das ist zum Beispiel der Punkt, wo ein Mann wie Suat Yılmaz ins Spiel kommt. Er ist ja der erste Talentscout, den wir hierzulande haben, seine Arbeit für die Westfälische Hochschule in Gelsenkirchen zeigt genau, wie das geht, dass wir junge Leute kontinuierlich betreuen müssen. Wir müssen an den jungen Talenten dran bleiben, die Eltern müssen ebenfalls dabei sein. Und dieses Modell, wie Suat Yılmaz das mit seinem Team macht, das ist eins, das wir weiter ausbauen wollen. Genau das können wir in NRW gut, denn wir haben die besondere Erfahrung und wir wollen diese Potenziale heben.

Sie haben diesen einen fantastischen Talentscout in Gelsenkirchen; Sie haben Suat Yılmaz, der fabelhafte Arbeit leistet, allerdings ist das nur einer. Reicht ein einziger Talentscout in NRW wirklich aus?

Sie haben vollkommen Recht, es reicht nicht, dass nur in Gelsenkirchen so ein Talentscouting gemacht wird und dass nur eine Hochschule an diesem Projekt beteiligt ist. Wir wollen das Projekt öffnen und an weiteren Hochschulen umsetzen, wir wollen mehr Talentscouts haben, und wir wollen das überall auf dem aktuellen Qualitätsniveau haben. Also nicht nur so ein einmalige, kurze Beratung, sondern eine kontinuierliche Hilfestellung über lange Zeit, das wollen wir gerne ausbauen. Das kann man aber nur ausbauen, wenn Hochschulen mitziehen. Ich bin optimistisch, dass wir bei diesem Thema vorankommen.

Also können wir davon ausgehen, dass hier weitere Investitionen folgen?

Darum bemühen wir uns. Das bedeutet natürlich zusätzliche Investitionen. Wir unterstützen Arbeiterkinder und auch junge Menschen mit, wie das immer so heißt, Migrationshintergrund. Ich habe übrigens eine Mitarbeiterin mit einem Kopftuch, eine studierte Soziologin. Da höre ich von anderen immer wieder die Frage, ob die junge Frau überhaupt Deutsch spricht. Ich sage dann auch schon mal lachend: „Nein sie kann kein Deutsch, aber kommt aus dem Ruhrgebiet!“ Insgesamt sehen wir daran aber, wie viele Barrieren noch in den Köpfen der Menschen existieren.

Das Bachelor/Master-System ist ein viel kritisiertes. Studenten leiden sehr unterkomplizierten Prüfungsämtern und Prüfungsordnungen, Lehrenden, die mit ihrer Arbeit gerne auf sich warten lassen. Studenten müssen in vielen Studiengängen sogar ihre Zeugnisse selbst erstellen und dem Prüfungsamt zur abschließenden Begutachtung einreichen.

Ich glaube, da müssen wir ehrlich bleiben. Das hat weniger mit der Struktur „Bachelor/Master“ zu tun. Das war auch in meiner Zeit schon so, dass es Leute gab, die das in den Fachbereichen besser organisiert bekommen haben als andere, bei denen das schlechter lief. Ich sehe, dass man das jetzige Bachelor/Master-System immer noch verbessern kann. Der Einstieg war ganz schön holprig. Da haben viele versucht, sozusagen alles, was früher in einem 10- oder 12-semestrigen Studium war, in sechs Semester zu pressen. Das konnte nicht gut gehen. Wir sind jetzt dabei, mit den Hochschulen alle Studiengänge zu überprüfen, gegebenenfalls zu entschlacken und die Studierbarkeit zu verbessern. Das ist ein umfassender Lernprozess.

Die finanzielle Situation von Studenten ist in vielen Fällen kritisch. Viele haben kein Geld für einen Master, aber der Arbeitsmarkt erzwingt den Master nahezu schon. Neben dem Bafög, das angehoben wird, besteht in vielen Fällen ein akutes Problem. Was kann man tun?

Die Informationen, die uns vorliegen, sagen aus, dass 70% aller Studierenden nebenbei arbeiten. Man vergisst oft, dass viele Studierende kein Vollzeit-Studium mehr machen. Es sind zunehmend Menschen, die in Teilzeit arbeiten gehen, um sich zu finanzieren. Als zweites sehen wir, dass einige Stipendien viel zu wenige Bewerbungen erhalten. Es gibt viele Stipendien, die nur darauf warten, dass sich junge Leute bewerben, aber besonders die jungen Frauen und Männer mit einem Migrationshintergrund haben Angst davor, sich zu bewerben. An der Stelle können sie ruhig mutiger sein.

Bewerben mit einem Bachelor, dann auch noch als Einwanderer. Wie steht es um die Chancengleichheit nach dem Studium?

Ja. Da haben wir eindeutig ein Problem. Wir haben als Landesregierung auch Versuche gemacht mit anonymisierten Bewerbungen. Die Erfahrungen waren durchaus vielversprechend. Damit sollte verhindert werden, dass die Leute schon allein wegen ihres Namens aussortiert werden. Dennoch haben wir in diesem Bereich weiterhin Probleme.

Da sind auch die Arbeitgeber in der Pflicht, einen Beitrag gegen solche Ausgrenzung zu leisten. Bewerbungen mit einem ausländischen Namen dürfen eben nicht einfach schon automatisch zur Seite gelegt werden, da gehen ja dann ganz viele Talente und Qualifikationen verloren. Allein schon der Fachkräftemangel wird viele Unternehmen zwingen, sich da vorurteilsfrei zu öffnen. Wir versuchen, als Landesregierung selbst Vorbild zu sein und ein gutes Vorbild abzugeben. Wir achten bei Bewerbungen sehr genau darauf, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht benachteiligt werden. Aber auch bei der Polizei gibt es da keine Benachteiligung, im Gegenteil.