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Gesellschaft

Zur Hälfte durch Suizid: In 16 Jahren 2500 Todesfälle unter Häftlingen

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Wie das Bundesjustizministerium mitteilt, starben in den letzten 16 Jahren 2500 Menschen in Deutschlands Gefängnissen. Dabei war in fast der Hälfte der Fälle Suizid die Todesursache. Die Länder versuchen bereits im Vorfeld, gegenzusteuern.

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In NRW sind aktuell 18 Prozent der knapp 16.000 Gefängnisinsassen Muslime. Dennoch gibt es dort keine hauptberuflichen muslimischen Seelsorger - noch nicht.
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Zu den größten Problemen in deutschen Gefängnissen, in denen derzeit über 61 000 Menschen inhaftiert sind, gehören Selbstmordfälle unter den Gefangenen. In den letzten 15 Jahren sind in den deutschen Gefängnissen etwa 2500 Gefangene verstorben, davon hat etwa die Hälfte Selbstmord begangen. Das teilte das Bundesjustizministerium dem DTJ mit.

Den Angaben des Ministeriums zum Stichtag 30. November 2014 zufolge gibt es in 184 Vollzugsanstalten insgesamt 61 872 Inhaftierte (58 318 Männer, 3554 Frauen). „Nach Mitteilung des Bundesamtes für Justiz sind in den letzten 16 Jahren in deutschen Justizvollzugsanstalten insgesamt 2470 Häftlinge (2390 Männer, 80 Frauen) verstorben. Zahlen für die Zeit vor 1998 sowie zur Differenzierung nach Staatsangehörigkeit oder Migrationshintergrund liegen hier nicht vor“, zitiert die Zeitung Pressesprecherin Anne Katharina Zimmermann.

Dem Artikel zufolge starben in diesem Zeitraum genau 1183 Häftlinge (1153 Männer, 30 Frauen) durch Suizid. Unter den Gefangenen befanden sich zum Stichtag 31. März 2013 insgesamt 3047 (2991 Männer, 56 Frauen) Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz verfügt über keine näheren Erkenntnisse über den Tathergang der Selbstmordfälle und verweist auf die zuständigen Bundesländer.

Ermittlung der Todesfälle durch zuständige Behörden

Die zuständigen Behörden und Ermittler werden in allen Todesfällen eingeschaltet, die sie nach dem § 159 Absatz 1 der Strafprozessordnung zu überprüfen haben: „Sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, […], so sind die Polizei- und Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an das Amtsgericht verpflichtet.“

Das Ministerium teilt auch folgendes mit: „Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) bestimmen in Nr. 33 Absatz 1 ergänzend, dass der Staatsanwalt, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass jemand eines nicht natürlichen Todes gestorben ist, prüft, ob eine Leichenschau oder eine Leichenöffnung erforderlich ist. Eine Leichenschau ist regelmäßig schon dann nötig, wenn eine Straftat als Todesursache nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Nr. 33 Absatz 2 RiStBV bestimmt weiter, dass – wenn sich auch bei der Leichenschau eine Straftat als Todesursache nicht ausschließen lässt – der Staatsanwalt grundsätzlich die Leichenöffnung veranlasst. Dies gilt namentlich bei Sterbefällen von Personen, die sich in Haft oder sonst in amtlicher Verwahrung befunden haben. Diese Vorschriften stellen sicher, dass Beweise gesichert werden und ein Staatsanwalt darüber entscheidet, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist.“

NRW: Reduktion der Suizidfälle auf die Hälfte

Nordrhein-Westfalen hat es geschafft, die Suizidfälle auf die Hälfte zu senken. Während sich im Jahr 2000 noch etwa 22 Gefangene selbst umgebracht hatten, betrug deren Zahl im Jahr 2013 nur noch 11. Wenn man sich vor Augen hält, dass etwa ein Drittel aller Häftlinge in deutschen Gefängnissen sich in diesem Bundesland befindet, ist dies ein beachtlicher Fortschritt.

Auf die Anfrage von DTJ, wie es dem Land gelungen sei, die Todesfälle durch Suizid zu senken, antwortet Detlef Feige, Pressesprecher des Justizministeriums von NRW, wie folgt: „Die Häftlinge werden zum Haftbeginn einer umfassenden Untersuchung unterzogen, um festzustellen, ob Suizidgefahr besteht. Im Falle von Suizidgefahr werden diese Häftlinge besonders psychologisch betreut, in der Regel in Hafträumen mit Doppelbelegung untergebracht und engmaschig beobachtet. Leider lassen sich Suizide trotz umfangreicher Maßnahmen nicht immer verhindern.“ Allerdings ist die Zahl aller verstorbenen Häftlinge immer noch hoch: Sie beträgt 626 für die Jahre 1995 bis 2013.

Bayern: 524 verstorbene Häftlinge in 16 Jahren

In bayerischen Justizvollzugsanstalten waren zum Stichtag 31. März 2014 insgesamt 11 423 Gefangene in Haft und im Zeitraum vom 31. Dezember 1994 bis 31. Dezember 2014 sind in bayerischen Justizvollzugsanstalten 524 Gefangene verstorben; darunter befanden sich 304 Gefangene, die Suizid begangen haben. Ulrike Roider, die stellvertretende Pressesprecherin des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, schildert die Versuche der bayerische Behörden, Suizidfällen gegenzusteuern, wie folgt:

„Der bayerische Justizvollzug misst der Suizidprävention eine sehr hohe Bedeutung bei. Die Justizvollzugsanstalten unternehmen alles Mögliche, um bei Gefangenen eine etwaige Suizidgefahr zu erkennen und ihr gegebenenfalls schon im Ansatz entgegenzuwirken. Bereits beim Zugang der Gefangenen wird sowohl im Rahmen des sogenannten Zugangsgesprächs als auch bei der obligatorischen ärztlichen Untersuchung besonderes Augenmerk auf das Erkennen einer Suizidgefahr und die Betreuung suizidgefährdeter Gefangener gelegt.“

Gefangene, bei denen eine Suizidgefahr erkannt wurde, würden umgehend psychologische oder psychiatrische Betreuung durch die Fachdienste der Anstalten oder durch externe Psychologen und Psychiater erfahren. Daneben könnten im Einzelfall besondere Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Gefangenen angeordnet werden. Die Maßnahmen würden dabei jeweils auf den Einzelfall abgestimmt und könnten beispielsweise eine gemeinschaftliche Unterbringung mit besonders zuverlässigen Mitgefangenen, eine verstärkte Aufsicht durch Bedienstete, eine Unterbringung in einem Raum mit Videoüberwachung oder eine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährliche Gegenstände umfassen. Ist eine psychiatrische oder neurologische Behandlung erforderlich, würden die Gefangenen für die Dauer der Behandlungsbedürftigkeit in die Justizvollzugsanstalten Straubing oder Würzburg überstellt, wo jeweils eine psychiatrische Abteilung eingerichtet sei.

Neben diesen konkreten Maßnahmen im Einzelfall zur Verhinderung eines Suizids sei das Thema Suizidprophylaxe immer wieder Gegenstand der Aus- und Fortbildung der Justizvollzugsbediensteten, um diese für die Problematik zu sensibilisieren und vorbeugende Maßnahmen im Umgang mit den Gefangenen aufzuzeigen.