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Nach Austritten: „Susamam“ vor dem Aus

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In der Türkei hat Anfang September eine Gruppe von Hip-Hop-Künstlern großes Aufsehen erweckt. Am gesellschaftskritischen Rundumschlag #Susamam, zu Deutsch etwa „Schweigen nicht möglich“, hatten unter anderem auch Deutsch-Türken wie Defkhan und Fuat Ergin teilgenommen. Im Song geht es unter anderem um Gerechtigkeit, Umweltschutz, Chancenungleichheit und Frauenrechte.

28 Millionen Aufrufe für Susamam nach zwei Wochen

Nach nur zwei Wochen zählt der 15 Minuten lange Rap-Hit schon sage und schreibe 28 Millionen Aufrufe. Ein außergewöhnlich großer Erfolg für Hip-Hopper, die bis dato eher als Underground-Künstler bekannt waren. Ebenso erfolgreich war der Song was die Publicity angeht. Neben zahlreichen renommierten Medien aus dem Ausland haben auch viele Künstler, die nicht Teil des Projekts waren, ihre volle Unterstützung zugesagt. Darunter Berühmtheiten wie Tarkan, Sezen Aksu, Sertab Erener, Fazıl Say, Cem Yılmaz, Mahsun Kırmızıgül, Hayko Cepkin, Sabahat Akkiraz, Gonca Vuslateri und weitere bekannte Namen.

Deutsche Medien berichten über Rap-Projekt Susamam

Neben den Künstlern aus der Türkei griffen auch Medien wie BBC den Song in ihrer Berichterstattung auf. In Deutschland wurde das Lied zunächst von der Deutschen Welle und von DTJ-Online thematisiert. Den deutsch-türkischen Schwerpunkt verpassten allerdings alle Medien. Doch das Ausmaß der politischen Kritik im Beitrag sorgte dafür, dass u.a. die ARD und das ZDF den Beitrag erklärten. Sie sprachen von einer Revolution der jungen Hip-Hop-Künstler, die sich das Vorgehen und Gebaren der türkischen Regierung nicht länger gefallen ließen. Doch diese Beiträge waren nur dank oberflächlicher Recherchen möglich. Denn sie übersahen das, was sich nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Songs in Social Media anbahnte.

AKP-Kritik gegen Susamam: „Ein Terror-Projekt“

Schnell erntete das Lied auch Kritik aus den Rängen der Regierungspartei. Hamza Dağ, Vizepräsident der AKP, erklärte, dass die Kunst kein Mittel zur Provokation und politischer Manipulation sein dürfe. Man wisse genau, wie die Gruppe von Susamam bei anderen wichtigen Ereignissen in der Türkei geschwiegen habe. Neben Dağ haben sich auch Personen wie Hüseyin Gülerce zu Wort gemeldet. Der ehemalige Mitarbeiter der Gülen-nahen türkischen Tageszeitung Zaman vermutet hinter dem Projekt die Gülen-Bewegung selbst. Zudem sei es klar, dass das Projekt vom amerikanischen sowie israelischen Geheimdienst finanziert sei. Eine andere Version verbreitet das regierungsnahe Medium Gündem. Dort werden die Künstler als PKK/FETÖ-Mitglieder denunziert.

Susamam-Kritik vor allem gegen Defkhan und Mirac

Nur wenige Stunden nach dem Start von #Susamam brachte Mirac das gesamte Projekt ins Schwanken. Per Twitter meldete sich der Rapper zu Wort und beklagte, dass der Song von „Gülenisten und HDP’lern“ geteilt, unterstützt und somit instrumentalisiert werde. „Mich stört es extrem, dass sich Gülenisten und HDP’ler etwas von unserem Song erhoffen.“ Später räumte Mirac ein, dass es nicht besonders passend gewesen sei, sämtliche HDP’ler mit der PKK gleichzusetzen. Diesen Tweet löschte er wieder und veröffentlichte ein Pressestatement, worin er bat, die Kritik gegen ihn einzustellen und ihn in Ruhe zu lassen.

Defkhan tritt aus Susamam aus: „Ich mag keine Politik“

Auch Rapper Defkhan aus Hamm in Nordrhein-Westfalen hat das Song-Projekt verlassen. Nach einigen Tagen heftiger Kritik teilte er am 17. September per Twitter mit, dass er aufgrund „zunehmender Politisierung des Songs“ aus dem Projekt austrete. Für seine verspätete Reaktion auf die Kritik sagte Defkhan, er habe daraus keine „persönliche Show“ machen wollen. „Sie sagten mir, dass das Lynchen auf Twitter berüchtigt sei. Das ist mir auch nicht erspart geblieben. Ich sehe es jetzt erst, weil ich gearbeitet habe. Freunde, ihr habt euch wie ein Lastwagen ohne funktionierende Bremsen auf mich gestürzt. Ohne die Sache zu verstehen. Ich habe die Freunde im Song sehr gern. Ich mag bloß keine Politik. Und das sage ich nicht zum ersten Mal. Ihr seht auch, warum ich es nicht mag. Beleidigt einander nicht. Ich habe euch allesamt lieb“.

Kritik wegen Austritt von Defkhan

Obwohl sich Defkhan sehr persönlich erklärte, blieb ihm weitere Kritik nicht erspart. Viele finden die vermeintliche Blauäugigkeit Defkhans nicht glaubwürdig. „Wie hat man bei einem gesellschaftskritischen Track überhaupt annehmen können, dass es unpolitisch bleibt?“, schreibt einer. Ein anderer Kritiker meint, dass die erzwungenen Rapper-Rücktritte aus dem Projekt mittlerweile eine weitaus größere politische Bedeutung vermitteln als die politischen Passagen im Song selbst. Es wurden auch Stimmen laut, die den Zeitpunkt von Defkhans Rücktritt mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Zusammenhang bringen. Geht es nach diesen Kritikern, hat Defkhan den Austritt aus dem Song und aus dem Projekt nach der Eröffnung einer Ermittlung gegen die Künstler von Susamam verkündet. Und tatsächlich laufen nun Ermittlungen gegen die Teilnehmer am Projekt Susamam.

Fuat zur Deutschen Welle: „Habe keine Angst vor einer Verhaftung“

In einem Video-Interview mit dem türkischen TV-Format der Deutschen Welle sprach der zweite Deutsch-Türke von Susamam, Fuat Ergin, über die Brisanz, die mit ihrem Song einhergehe. Denn die politische Tiefe des Liedes könne durchaus dazu führen, dass die beteiligten Musiker bald durch die türkische Regierung verfolgt werden. Doch das macht ihm offenbar nichts aus. „Habe ich vor einer Verfolgung oder vor einem möglichen Ermittlungsverfahren Angst? Nein. Wir sind die Kämpfer des HipHop, wir müssen die Wahrheit sagen. Wir fürchten niemanden. Mit Angst kann man nicht leben.“

Volle Liste der Künstler aus Susamam und ihre Themen

Künstler Thema – #Hashtag
Fuat Umweltverschmutzung
Ados Erderwärmung und Klimawandel
Şanışer Gefängnis und Tierrechte
Hayki Recht
Server Uraz Justiz
Beta Türkei
Tahribad-ı İsyan Metropole Istanbul
Sokrat St Bildung, Chancenungleichheit & Selbstmord
Ozbi In Frage stellen der Dinge
Deniz Tekin Frauenrechte
Sehabe & Yeis Sensura Frauenrechte
Aspova Welt
Defkhan Fremde, das Leben in der Diaspora
Aga B Faschismus
Mirac Straßen, Chancenungleichheit in der Wirtschaft
Kamufle Verkehrsunfälle