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Politik

Syrien kommt nicht zur Ruhe – auch wenn der IS einmal besiegt ist

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Der Bürgerkrieg in Syrien wird auch im Falle einer erfolgreichen Zurückdrängung des IS noch lange nicht vorbei sein. Wir werfen noch einmal einen Blick auf die derzeit bestimmenden Akteure im Nahen Osten und ihre Interessen in Syrien. (Foto: rtr)

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Der Bürgerkrieg in Syrien wird auch im Falle einer erfolgreichen Zurückdrängung des IS noch lange nicht vorbei sein. Wir werfen noch einmal einen Blick auf die derzeit bestimmenden Akteure im Nahen Osten und ihre Interessen in Syrien.
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In Syrien tobt der Krieg. Seit im Jahre 2011 friedliche Demonstrationen syrischer Bürger in verschiedenen Städten von den Sicherheitskräften des Regimes blutig niedergeschlagen wurden und sich in Folge dieser Gewalt erste bewaffnete Gruppierungen innerhalb der Opposition bildeten, wurde Syrien immer schneller in den Strudel der Gewalt gerissen. Die anfänglich hauptsächlich aus Freiwilligen und aus desertierten syrischen Soldaten und Offizieren bestehende bewaffnete Opposition, die sich Freie Syrische Armee (FSA) nannte, bekämpfte das Regime und eroberte ganze Landstriche, Stadtteile und sogar einige Städte.

Das Regime mobilisierte seine Streitkräfte und belagerte, beschoss und zerstörte jeden Ort, an dem sich die FSA offen zeigte. Es kam zu etlichen Massakern an der Zivilbevölkerung. Da das Regime bis Anfang 2013 unter großem militärischen Druck stand, trat die mit Assad verbündete schiitische Hisbollah in den Krieg ein und schickte Tausende Kämpfer nach Syrien. Im Norden des Landes bildeten die Kurden eigene bewaffnete Einheiten. Neben der FSA entstanden im ganzen Land weitere bewaffnete oppositionelle Gruppierungen, einige davon Sammelbecken für radikale Extremisten. Diesen Gruppen schlossen sich auch immer mehr ausländische Kämpfer an. Gräueltaten dieser erstarkenden Gruppen gegen Regime-Anhänger oder Angehörige religiöser Minderheiten nahmen zu.

Der Krieg hat auf die Nachbarstaaten Syriens, die gesamte Region und sogar darüber hinaus große Auswirkungen. Syrien ist mittlerweile zum Austragungsort verschiedenster Interessenskonflikte geworden, da verschiedene Mächte versuchen, ihren Einfluss auf das Land und die Region zu verteidigen bzw. auszubauen. Auch auf Grund dieses Interessengemenges erscheint ein Ende des Konflikts in weiter Ferne. Hier ein kurzer Überblick über die jeweilige Position der einzelnen Hauptakteure in Bezug auf Syrien:

Syrien: Die syrische Armee konnte zwar im Laufe der letzten Woche wichtige Städte von den Aufständischen zurückerobern, aber kontrolliert nach wie vor nur einen Teil des Landes, schwerpunktmäßig den Westen. Der faktische Zerfall des Landes wird nicht zuletzt auf Grund der Rolle des IS und der anhaltenden Unterstützung der Rebellen durch den Westen und des Regimes durch Russland und den Iran kaum aufzuhalten sein.

Russland: Die Regierung in Moskau ist einer der treuesten Verbündeten des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Das hat nicht nur damit zu tun, dass man Damaskus bereits umfangreich militärisches und technisches Gerät geliefert hatte, das im Falle eines Regierungswechsels an Kräfte fallen könnte, die Moskau feindlich gesinnt sind. Der IS hatte auch bereits angedroht, Russland anzugreifen. Viele IS-Kämpfer bringen bereits Erfahrung aus den terroristischen Aufständen in Tschetschenien mit. Russland warnte  bereits von Beginn an davor, dass eine Unterstützung der Rebellen einen endlosen Bürgerkrieg zur Folge hätte.

Golfstaaten: Die Golfmonarchien wie Saudi-Arabien und Katar hatten von Anbeginn des Aufstandes an Kräfte unterstützt, die den Sturz der Regierung Assad anstrebten. Beide Länder haben bereits eine längere Geschichte im Zusammenhang mit der Unterstützung terroristischer und extremistischer „Djihadisten“ im Ausland und bieten diesen Schutz und Schirm. Saudi-Arabien ist dabei vorsichtiger geworden, weil einige von ihnen begonnen hatten, im eigenen Land für Unruhe zu sorgen. In Syrien aber strebt man den Sturz Assads an, vor allem, um dem Iran zu schaden. Saudi-Arabien führt auch im Jemen einen Stellvertreterkrieg mit dem Iran, wo schiitische Huthi-Milizen und die sunnitische al-Qaida ins Vakuum stoßen, dass die seit dem Sturz des Präsidenten Ali Abdullah Salih 2011 entstandene Anarchie hinterlassen hatte.

Katar hingegen verfolgt eine eigene Agenda und hält am Bündnis mit Djihadisten unterschiedlichster Couleur fest. Man will so seine außenpolitische Bedeutung erhalten und den mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien in Schach halten. In Ägypten unterstützt beispielsweise Saudi-Arabien das Regime von Präsident al-Sisi, Katar hingegen die oppositionellen Muslimbrüder.

USA: Washington, das zwar einen Sturz Assads aus geopolitischen Gründen begrüßen würde, aber gleichzeitig weder ein anhaltendes Chaos noch einen Einsatz von Bodentruppen in den Kriegsgebieten im Irak und in Syrien politisch durchsetzen könnte, ist sich mittlerweile des Problems IS bewusst geworden und versucht nun, zumindest dessen Vormarsch zu stoppen. Präsident Obama hat zwar auch zugesagt, so genannte „moderate Rebellen“ zu unterstützen und auszubilden, die nach einer erfolgreichen Eindämmung des IS auch gegen Assad vorgehen könnten. Der mangelnde Rückhalt der Rebellen in Teilen der syrischen Bevölkerung und die Durchlässigkeit zwischen „moderater“ Opposition und extremistischen Gruppierungen sind jedoch Faktoren, die auch in Washington selbst Zweifel hinsichtlich eines Sturzes der syrischen Regierung aufkommen lassen.

Türkei: Ankara hält nach wie vor daran fest, dass ein Konzept der internationalen Gemeinschaft gegen den IS auch am Ende den Sturz Assads vorsehen müsse. Nach der frühen Parteinahme gegen den syrischen Präsidenten gäbe es für die Türkei auch kein Zurück mehr ohne Gesichtsverlust. Auf der anderen Seite läuft Ankara Gefahr, dass die terroristischen Verbände, die innerhalb der syrischen Opposition die Oberhand gewonnen haben, am Ende die Türkei selbst ins Visier nehmen – insbesondere jetzt, wo die Sicherheitsvorkehrungen gegen den IS im eigenen Land drastisch verschärft worden sind.

Iran: Für den Iran ist das Bündnis mit Assad eine wichtige Rückversicherung angesichts der Gefahr einer Machtübernahme extremistischer oder vom Westen unterstützter Kräfte, die zum einen die vom Iran unterstützte Hisbollah im Libanon von wichtigen Versorgungswegen abschneiden könnte und zum anderen die schiitische Mehrheit im Irak weiter unter Druck setzen könnte. Außerdem sieht Teheran mehrere wichtige schiitische Moscheen in Syrien durch extremistische Gruppen akut bedroht, wie etwa die Sayyidah Zaynab Moschee in Damaskus.

Israel:  Für Jerusalem ist Syrien zwar traditionell ein Feindstaat, allerdings ist das Interesse Israels an einem Regierungswechsel im Nachbarland denkbar gering. Der Grundtenor sowohl in der Regierung als auch innerhalb der Streitkräfte lautet, dass ein Feind, den man kennt, einem schwer einschätzbaren vorzuziehen wäre. Dazu kommt, dass neben der Gefahr einer möglicherweise der Hamas freundlich gesinnten neuen Regierung in Syrien auch ein Übergreifen des IS auf die palästinensische Autonomieregion zu befürchten wäre. An der gemeinsamen Grenze ist Israel humanitär aktiv und behandelt verletzte syrische Zivilisten in israelischen Krankenhäusern. Regime nahe Medien in Syrien werfen Israel außerdem auch vor, verwundete syrische Rebellen zu behandeln.

Irak: So weit die Regierung in Bagdad überhaupt noch politisch handlungsfähig ist, steht für sie die Verhinderung eines Auseinanderbrechens des eigenen Staates im Vordergrund – auch in der Syrienpolitik. Von daher sind für Bagdad sowohl der IS als auch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden hohe Risikofaktoren. Teheran baute seinen politischen Einfluss im Zweistromland nach der amerikanischen Invasion 2003 stetig aus und ist daher gerade im Bereich Sicherheitspolitik ein entscheidender Akteur im Irak.

PKK: Die Terrororganisation und ihre Verbündeten wie die PYD könnten einen Sturz der Regierung Assads als Startsignal betrachten, um in weiterer Folge über die Grenzen hinweg die Entstehung eines von ihr dominierten Kurdenstaates anzustreben. Es bleibt abzuwarten, ob die Autorität ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan ausreichen wird, um das Festhalten am Friedensprozess mit Ankara durchzusetzen. Die Befürchtung steht im Raum, dass die nun von den USA bewaffneten Kurdenverbände ihre Waffen in eine andere Richtung lenken.