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Politik

Syrien: Turkmenen befürchten Vertreibung

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Die syrischen Kurden nutzen die Gunst der Stunde und planen ein kurdisches Autonomiegebiet in Nordsyrien. Das beunruhigt jedoch kleinere Volksgruppen, deren Siedlungsgebiet sich mit dem geplanten Autonomiegebiet überschneidet. (Foto: zaman)

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Syrien: Turkmenen befürchten Vertreibung
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Die „Partiya Yekitîya Demokrat“ (dt. „Partei der Demokratischen Union“, Kürzel PYD) plant, im Norden Syriens eine kurdische Autonomieregion auszurufen. Doch die kurdischen Landesteile sind territorial voneinander getrennt und damit die geplante Autonomieregion lebensfähig ist, müssten mehrere nicht-kurdische Gebiete an die Region angegliedert werde. Diese Tatsache beunruhigt die in den betreffenden Gebieten lebenden syrischen Turkmenen. Die turksprachige Minderheit fürchtet, zukünftig in einem Staat leben zu müssen, der von der PKK-nahen kurdischen Partei „PYD“ kontrolliert wird.

Der Präsident der in der Türkei sitzenden „Versammlung syrischer Turkmenen“, Samir Hafez, sagte, das turkmenische Einheiten bereits an der Seite einiger Brigaden der Freien Syrischen Armee (FSA) in den seit Wochen umkämpften Grenzstädten Ra’s al-‚Ayn und Tall Abyad gegen kurdische Milizen vorgehen. Hafez sagte der türkischen Zeitung „Today’s Zaman“ in Bezug auf die Autonomiepläne der syrischen Kurden: „Das stellt für uns eine ernsthafte Beunruhigung dar. Wir versuchen, die turkmenischen Dörfer in der Region zu verteidigen. Wir (die Turkmenen) kämpfen in dieser Region mit fünf (eigenen) Brigaden.“

Zur territorialen Integrität Syriens gäbe es keine Alternative. „Wir sind absolut gegen Autonomie (irgendeiner Volksgruppe) in Syrien. Ein eigenständiger Staat wessen auch immer auf dem Staatsgebiet Syriens liegt nicht im Interesse der Syrer. Wir haben die territoriale Integrität Syriens von Beginn an verteidigt“, sagte der Turkmenenführer.

Afrin im Norden Aleppos im Fokus der syrischen Kurden

Der stellvertretende Vorsitzende der Milliyetçi Hareket Partisi („Partei der Nationalistischen Bewegung“, kurz MHP), Mehmet Şandır, warnte die türkische Regierung davor, dass sich die Ereignisse in Syrien schnell zu einem Problem der nationalen Sicherheit für die Türkei entwickeln könnten. Der türkische Politiker, der selbst turkmenischer Abstammung ist, sagte, sollte sich der Konflikt zwischen der kurdischen PYD und der FSA, besonders aber auch den al-Qaida-nahen Brigaden auch auf die nördlichen Teile Aleppos ausweiten, würde das „Chaos“ für die Türkei bedeuten.

„In den nördlichen Gebieten Aleppos leben viele Turkmenen. Falls diese Turkmenen (nach der Errichtung einer kurdisch-kontrollierten Autonomieregion) in die Türkei immigrieren müssen, wird das Chaos in der Türkei bewirken“, sagte Şandır gegenüber türkischen Medien. Er wiederholte seine Forderung an die türkische Regierung, die turkmenische Bevölkerung entlang der Grenze zu schützen – auch mit militärischen Mitteln. „Besonders die Autonomiepläne für die Region um Afrin würden die turkmenische Bevölkerung unter massiven Druck setzen“, erklärte Şandır.

Der Vertreter der „Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte“ mit Sitz in der Türkei, Khaled Khodja, sagte in Bezug auf die Pläne der PYD: „Es könnte zu einem großen Konflikt zwischen der FSA und al-Qaida auf der einen und der PYD auf der anderen Seite kommen. (…) Die Turkmenen sind das schwächste Glied in der Region. Sie werden die negativen Auswirkungen (einer kurdischen Autonomie) am meisten zu spüren bekommen, da ihre militärische Schlagkraft in dieser Region nicht ausreicht.“
Kurdische Siedlungsgebiete Syrien Towns.jpg

Kurdische Siedlungsgebiete sind territorial voneinander getrennt – Assad weiß das

Medienberichten zufolge traf sich die Führung der PYD Mitte Juli mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, um über eine mögliche kurdische Autonomie zu sprechen. Den Berichten zufolge willigte Assad ein, in sieben Distrikten der Region kurdische Autonomie anzuerkennen und die PYD akzeptierte den Deal unter der Voraussetzung, dass das Regime die Zusage in der Verfassung verankere. Das Gebiet umfasst den Berichten zufolge die Distrikte Ra’s al-‚Ayn, al-Hasaka, Afrin, al-Darbasiyah, Ain al-Arab und Qamishli.

Prof. Serhat Erkmen, der an der türkischen Kırşehir’s Ahi Evran Universität einen Lehrstuhl innehat, wies auf die Tatsache hin, dass es zwischen den im Gouvernement al-Hasaka liegenden Regionen Ra’s al-‚Ayn und Qamishli – das als Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion vorgesehen ist – , der Region Afrin im Gouvernement Aleppo und der Region Ain al-Arab im Gouvernement al-Raqqa mehrere nicht-kurdische Landstriche gibt.

„Die Kurden würden die turkmenischen Gebiete, unter anderem im Norden von al-Raqqa und Aleppo, gerne (in die kurdische Autonomieregion“ miteinbeziehen. Andernfalls würde die Autonomieregion aus mehreren territorial nicht zusammenhängenden Gebieten bestehen und es wäre dann sehr unrealistisch, über ein solches Gebiet (dauerhaft) Kontrolle auszuüben“, sagte Prof. Erkmen gegenüber der „Today’s Zaman“. Beobachter gehen davon aus, dass die turkmenischen Gebiete zwischen den kurdisch-dominierten Landesteilen einem anderen Schicksal entgegensehen als die Turkmenen, die abseits der betroffenen Gebiete leben, etwa im Gouvernement Latakia. Sollten sich die Turkmenen weigern, sich der kurdischen Autonomieregion anzuschließen, könnte es zu einem ernsthaften Konflikt zwischen der PYD und den turkmenischen Brigaden kommen. Eine Entwicklung, welche die Türkei unter Zugzwang setzen würde.

Die Turkmenen – Volksgruppe zwischen den Fronten

Die kurdische Autonomieregion birgt also massiven gesellschaftlichen Sprengstoff, könnte die syrische Opposition weiter spalten und ihre ohnehin knappen Ressourcen binden. Die Strategen in Damaskus dürften ebendiese Entwicklung vorausgesehen haben. Dies würde das geheime Treffen Assads mit der PYD-Führung erklären – denn wenn die verschiedenen Gruppen in Nordsyrien miteinander kämpfen, profitiert das syrische Regime am allermeisten davon.

Die Turkmenen sind eine türkische Minderheit im Mittleren Osten. Sie sind die Reste der osmanisch-türkischen Bevölkerung, die nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches in Syrien und dem Irak verblieben war. Im Irak sind sie mit einem Bevölkerungsanteil von ca. 5% die drittgrößte Ethnie des Landes. Die irakischen Turkmenen sprechen einen südaserbaidschanischen Dialekt und verwenden das moderne Türkisch als Schriftsprache.

In Syrien leben zwischen 100 000 und 200 000 Turkmenen, die heute meist Arabisch sprechen. Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich vor allem in der nordostsyrischen Region „al-Dschazira“, in der auch viele Kurden siedeln und die Teil des geplanten Autonomiegebiets ist. Ihre Dörfer liegen verstreut entlang der syrisch-türkischen Grenze vom Norden des Gouvernement Latakia über die Provinzen Idlib und Aleppo bis in Gebiete des nordöstlichen Gouvernements ar-Raqqa. Die syrischen Turkmenen fürchten um die Zukunft von 290 turkmenischen Dörfern, die sich auf dem Gebiet des geplanten kurdischen Autonomiegebiets befinden.