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Gesellschaft

Du sollst dich (nicht) distanzieren

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Deutsche Muslime sollen sich von Verbrechen distanzieren – begangen von Leuten, die sie nicht kennen, in Ländern, wo sie noch nie waren. Wieso eigentlich? (Foto: reuters)

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GASTBEITRAG Es gibt etwas, das mich seit längerem stört, aktuell aber fast unerträglich geworden ist. Immer häufiger wird nämlich von mir gefordert, dass ich mich distanzieren soll und mittlerweile habe ich das Gefühl, dass dieses ewige „Ich-distanziere-mich“ eine neue muslimische Charaktereigenschaft zu werden droht.

Muslimisch, weil ich das sonst von keiner Gruppe kenne. Ich habe nie erlebt, dass ein britischer Buddhist einmal geschrieben hätte: „Liebe Freunde, ich distanziere mich davon, dass Menschen im Namen meiner Religion Tamilen in Sri Lanka abschlachten“ oder aber amerikanische Freunde sich distanzieren, wenn ihre Regierung wieder irgendwo einmarschiert, foltert oder massakriert.

Dabei habe ich in Wahrheit keinerlei Problem damit, mich zu distanzieren – sofern es etwas ist, wovon ich tatsächlich betroffen bin! Wenn in meiner Stadt jemand aus meiner Community Mist baut, kann ich mich gut und gerne angesprochen fühlen, mich „distanzieren“, vor allem aber aktiv werden.

Im Ernst, so ein Lippenbekenntnis allein nützt am Ende ohnehin Betroffenen in den seltensten Fällen. Aber ich tue das ganz sicher nicht bei jedem Dreck, der irgendwo auf dieser Welt geschieht. Ich bin es ziemlich leid, dass gerade das von Muslimen stets gefordert wird und immer mehr Muslime sich auch dazu gezwungen fühlen und dem Druck nachgeben.

Überhaupt: Was wird mir mit dieser Forderung eigentlich unterstellt? Dass ich Terror und Gewalt gutheiße oder Mitglied jeglicher Terror-Organisationen weltweit bin?

Das nächste Mal, wenn ich ein Gespräch mit einem Christen beginne, werde ich wohl erst eine Distanzierung von dem Müll verlangen müssen, den „Christian Identity“-Rassisten in Nordamerika von sich geben oder von den Massakern christlicher Warlords in afrikanischen Bürgerkriegsgebieten.

Entschuldigt bitte den Zynismus, aber diese Haltung von oben herab – „Distanzier‘ du dich erst mal, sonst ist dein Wort gar nichts wert“ – ist einfach schwer zu ertragen. Niemand darf Vorbedingungen dafür aufstellen, dass ich mich zu einem Thema äußern darf. Niemand darf mir mit solch einer Arroganz und Ignoranz begegnen. Ich distanziere mich, wenn es erforderlich ist und ich entscheide selbst, wann das erforderlich ist. Ich glaube, mehr Mut und Selbstbewusstsein, dem „Distanziere-dich“-Druck stand zu halten, würde uns allen tatsächlich gut tun.

Eins soll aber ganz klar sein: Mein Kommentar richtet sich keinesfalls an die wundervollen Menschen, die in den Wochen tolle Beiträge geschrieben haben. Sie sollen sich bitte nicht angesprochen fühlen. Er richtet sich aber an die ewigen Distanzierungs-Forderer. Sie dürfen sich unbedingt angesprochen fühlen.

Betül Ulusoy

Betül Ulusoy ist Juristin aus Berlin. Sie ist Referentin für Freiheitsrechte und aktiv im interreligiösen Dialog.