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Politik

Terroristen sind keine Märtyrer, Kollektivbestrafung ist ein Verbrechen

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Nachrichten über unverhältnismäßiges Vorgehen der israelischen Streitkräfte gegen Palästinenser sehen viele als Einladung, antisemitische Hetze loszuwerden. Doch auch jenseits des dumpfen und gefährlichen Hasses auf Juden ist Kritik am Vorgehen des israelischen Staates oft undifferenziert und inkonsequent – vor allem, wenn man unterschiedliche Maßstäbe anlegt.

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Teilnehmer einer Hamas-Kundgebung im Gazastreifen
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MEINUNG Israel hat ein ganzes Dorf bestraft, weil ein 17-Jähriger eine israelische Siedlerin getötet hat. Das war wieder so eine Nachricht, die in vielen die Wut hochkochen ließ. Die Kommentare unter dem Artikel zeugten einmal mehr – wenn auch nicht in der ekelerregenden Heftigkeit, wie sie anderenorts oft zu lesen ist – vom tiefsitzenden Hass, den viele hierzulande auf den jüdischen Staat haben; Türken, Kartoffeln, Araber, einerlei.

Von „dreckigen Zionisten“ ist da die Rede; davon, dass „die Juden“ wieder „alles dürfen“ und dass man „mit diesem Volk kein Mitleid“ haben könne. Man muss gar nicht weitermachen; jeder weiß mittlerweile, dass es noch viel, viel schlimmer geht und man kennt ja die üblichen Satzbausteine, aus denen diese Art der „Israelkritik“ zumeist besteht. Ganz abgesehen vom noch hemmungsloser vorgetragenen antisemitischen Dreck, dessen Autoren sich erst gar nicht die Mühe machen, einen konkreten Zusammenhang zum jeweiligen Vorfall zu konstruieren.

Ja, die Praxis, ganze Dörfer abzureißen, der völkerrechtlich illegale Siedlungsbau, die Mauer um das Westjordanland, Menschenrechtsverletzungen durch die Armee, die Ungleichbehandlung und der alltägliche Rassismus, das erschreckende Erstarken der Nationalisten und religiösen Fundamentalisten in der israelischen Politik und Gesellschaft – all das sind nicht nur angsteinflößende Entwicklungen (von denen zumindest letztere relativ parallel zum Aufschwung der Rechtspopulisten hier in Europa verläuft). Vielmehr sind es politische Missetaten, die es zu kritisieren und im Rahmen demokratischer Maßnahmen zu bekämpfen gilt. Ich denke da beispielsweise an die Maßnahme der EU, Produkten, die aus illegalen Siedlungen im Westjordanland stammen, die Zollvergünstigungen zu streichen. Wohlbemerkt eine Maßnahme, die auch der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor begrüßt hat.

Was aber den nebenberuflichen Nahostexperten abgeht, die sich hier und andernorts über den „Terrorstaat Israel“ erregen, ist indes nicht nur das rechte Maß, es ist das gesamte Bild – weil es nicht bis zu ihnen durchdringt oder weil der unbequeme Rest einfach verschwiegen wird. Was meine ich damit?

Am Morgen nach der widerlichen Tat des 17-jährigen Muhammad Tarayra, der sich nachts in das Kinderzimmer eines 13-jährigen Mädchens schlich und sie im Schlaf erstochen hat, ließ es sich die Fatah –  die die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland führt, also dessen Regierung ist – nicht nehmen, den Kindermörder Tarayra als Helden zu feiern. Er wurde offiziell zum Märtyrer erklärt – die höchste „Auszeichnung“, die die Fatah vergibt – und seiner Familie wurde eine monatliche Rente für die „heldenhafte Tat“ ihres Jungen zugesprochen.

Die Mörder Unschuldiger zu verherrlichen, gehört bei Hamas, Fatah und Co. zum guten Ton

Und das ist kein ekelerregendes Kuriosum, sondern es ist das Standardvorgehen – es ist buchstäblich jedes Mal so. Wann immer ein Palästinenser Juden ersticht, erschießt oder in die Luft sprengt, ist er ein Held, ein „Märtyrer“. Die Wurzeln der Radikalisierung in Palästina – Ungerechtigkeit, Perspektivlosigkeit, strukturelle und physische Gewalt der israelischen Besatzungstruppen um nur einige zu nennen – müssen eine zentrale Rolle bei der Analyse und Einschätzung palästinensischen Terrorismus‘ spielen, keine Frage. Was aber auch ganz klar ausgesprochen werden muss: Im Westjordanland und dem Gazastreifen ist Terrorismus bereits Staatsräson, noch bevor es überhaupt einen palästinensischen Staat gibt.

Und wohlbemerkt war es die Fatah, die den Terroristen Tarayra zum Märtyrer erklärt hat, nicht die Hamas. Dabei wird die Fatah landläufig noch als um einiges moderater betrachtet – auch in Europa, wo Fatah-Präsident Mahmut Abbas jüngst mit dem uralten antisemitischen Lügenmärchen vom Juden, der Brunnen vergiftet, im EU-Parlament Applaus einheimste (und das, obwohl seine Behauptung schon Tage vorher als billige Lüge entlarvt worden war).

Währenddessen feiert die Hamas noch enthemmter jeden Selbstmordattentäter und jeden Terroristen, der Unschuldige tötet. Vor kurzem schossen zwei Palästinenser in einem Restaurant in Tel Aviv um sich und töteten mehrere Gäste beim Abendessen, deren Verbrechen es war, Juden zu sein. Daraufhin veranstaltete die Hamas spontane Freudenfeste in Gaza. Freilich erklärte sie die Terroristen daraufhin zu Helden, zu Märtyrern. Auch israelische Siedler und israelische Soldaten begehen Verbrechen und auch diese Verbrechen werden nicht immer – aber trotzdem in der Mehrheit der Fälle – juristisch gesühnt. Israel ist ein Rechtsstaat mit Defiziten – aber es ist einer. Und das ist der Unterschied. Keinem radikalen jüdischen Siedler wird in Tel Aviv ein Denkmal errichtet, wenn er unschuldige Palästinenser tötet. Er wird – nicht von einer radikalen Minderheit, vom Mainstream der Gesellschaft aber mit Sicherheit – als das bezeichnet, was er ist: ein Verbrecher.

Verabschiedet euch von eurer schwarz-weißen Weltsicht! Es sind nicht die Israelis die Bösen und die Palästinenser die Guten. Genauso wenig wie umgekehrt! Beide Seiten und alles, was sich zwischen ihnen bewegt, haben Licht- und Schattenseiten.

Was unterscheidet den Selbstmordattentäter in Jerusalem von dem in Ankara?

Was das Ganze nun eigentlich mit der Türkei zu tun hat? Abgesehen von der Tatsache, dass die Türkei und Israel sich kürzlich offiziell ausgesöhnt haben, ist ein interessantes Phänomen zu beobachten: In Massen gibt es diejenigen, die Israel als „Terrorstaat“ beschimpfen, ihm das Existenzrecht absprechen, „die Juden“ als die neuen Nazis bezeichnen, von einem Holocaust an den Palästinensern sprechen. Und allzu oft sind das dieselben, die das härtest mögliche Vorgehen gegen die PKK verlangen.

„Die Juden dürfen wieder alles!!!! Das sollte die Türkei auch machen alle Dörfer absperren lassen in denen Anhänger der pkk leben und menschen töten“ (sic), schreibt ein User beispielsweise. Ganz davon abgesehen, dass der türkische Staat genau das in den 80er- und 90er-Jahren im Südosten des Landes in einem Ausmaß gemacht hat, das das israelische noch übersteigt, ist es doch bezeichnend, welch selektive Wahrnehmung da herrscht.

Auf der einen Seite verurteilt man eine Terrorgruppe, die aus dem Kontext entstanden ist, dass ein Staat eine ethnische Gruppe jahrzehntelang unterdrückt hat, ihre Kultur zu vernichten versucht hat, ja ihnen sogar verboten hatte, ihre eigene Sprache zu sprechen und allen Ernstes ihre Existenz als solche geleugnet hat (Stichwort „Bergtürken“). Auf der anderen Seite feiert man eine Terrorgruppe wie die Hamas als Freiheitskämpfer. Man kann nicht das, was die Hamas macht, Freiheitskampf nennen, und im selben Atemzug das, was die PKK macht, Terrorismus.

Das heißt nicht, dass man beide Organisationen gleichsetzen kann, natürlich gibt es historische und strukturelle Unterschiede. Eines aber haben sie doch gemeinsam: Sie sind politische Tatsachen, die sich nicht wegbomben lassen. Israel bombardiert in Gaza ganze Wohnhäuser, weil sich einzelne Terroristen unter den Zivilisten befinden sollen. Das Gleiche macht die Türkei, wenn sie mit derselben Begründung in Cizre, Silopi oder Sur ganze Straßenzüge ausräuchert. Damit stellt man keinen Frieden her. Man züchtet nur die nächste Generation traumatisierter, perspektivloser und hasserfüllter Opfer, die nichts mehr zu verlieren haben, wenn sie in die Berge gehen oder sich einen Sprengstoffgürtel umschnallen – und sich deshalb umso leichter rekrutieren lassen, um für menschenverachtende Ideologien zu sterben.

Man stelle sich vor, die PKK würde türkische Städte mit Raketen beschießen. Den Rest des widerlichen Terror-Repertoires – Selbstmordattentäter, Autobomben, Kindersoldaten, das Abschlachten von Zivilisten – haben beide Terrororganisationen gemein. Und dann stelle man sich vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel würde regelmäßig Cemil Bayık nach Berlin einladen, sich stolz mit ihm ablichten lassen, ihn als Ehrengast auf CDU-Parteitagen begrüßen, wie es Erdoğan seit Jahr und Tag mit Khalid Masch’al macht. Sabah, Akit und Sözcü müssten neue Redakteure für die Anti-Deutschland-Agitation einstellen. Von den tatsächlichen politischen Folgen ganz abgesehen.

Wer die PKK eine Terrororganisation nennt und im gleichen Atemzug die Hamas Freiheitskämpfer, ist ein Heuchler. Umgekehrt gilt dasselbe.