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Gesellschaft

Christen in der Türkei: „Keine Sympathie in weiten Teilen der Bevölkerung“

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Der Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle zeigt sich besorgt über das Zusammenleben von Muslimen und Christen in der Türkei. Es gebe vielerorts eine lange Tradition des Miteinander, aber ein neu aufkommender Nationalismus erschwere dies. Aber auch von der Europäischen Union fühlen sich viele Türken verraten.

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Timo Guzelmansur
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Die Situation der offiziell rund 100.000 Christen in der Türkei verschlechtert sich dem katholischen Theologen Timo Güzelmansur zufolge. Nach der Einschätzung des aus Antakya stammenden Leiters der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) breitet sich in der Türkei gerade ein neuer Nationalismus aus. Demnach werde „vieles, was nicht islamisch ist und eindeutig zum ‚Türkentum‘ gehört, zum Feind erklärt“. In weiten Teilen der Bevölkerung gebe es „keine Sympathie für Christen“, obwohl der Staat sich mit religiöser Vielfalt rühme.

Die Autoritäten verfolgten eine „doppelte Strategie“, so der 39-Jährige: „Einerseits tut man so, als ob die Christen in der Türkei nichts zu befürchten hätten und die staatlichen Behörden für sie ein offenes Ohr haben. Andererseits werden Kirchen und kirchliche Gebäude systematisch konfisziert, wie in Bursa oder Diyarbakır.“ Es gebe nur noch wenige Städte, „wo Christen heute ganz offen in der Türkei leben.“ An diesen Orten, wie beispielsweise Antakya im Süden der Türkei, gebe es eine lange Tradition des Zusammenlebens, Christen und Muslime kennen sich dort und gratulieren sich gegenseitig zu ihren religiösen Festen. „Dennoch dürfen Christen nur mit einer Erlaubnis Gottesdienst in der Petrusgrotte feiern.“

Es gebe in der Türkei eine „Kultfreiheit“, Christen dürften ihren Glauben also „innerhalb der Kirchenmauern“ ausleben. „Alles weitere, was noch mit echter Religionsfreiheit verbunden wäre, bleibt ihnen jedoch verwehrt“, kritisierte der Experte. So gebe es keine Möglichkeit, Theologen oder Priester auszubilden. Auch könnten sich Kirche sich nicht an Gerichtsprozessen beteiligen, da sie nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt seien; ausländische Priester und Ordensleute bekämen oftmals keine Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung. Nach Schätzung Güzelmansurs sind etwa zwei Prozent der türkischen Bevölkerung christlichen Glaubens.

Die Türkei hatte kürzlich mehrere Kirchen in der Stadt Diyarbakır im Osten des Landes beschlagnahmt. Laut Bischofskonferenz handelt es sich um die armenische Giaragos-Kirche, die zu den größten armenischen Kirchen des Nahen Ostens zählt, sowie jeweils um eine protestantische, chaldäische, syrisch-katholische, armenisch-katholische und syrisch-orthodoxe Kirche. Die Vertreter dieser Kirchen hätten Rechtsmittel gegen die Verstaatlichungen eingelegt, hieß es.

Auch mit dem Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU) sind Güzelmansurs Einschätzung zufolge viele Menschen in der Türkei nicht  einverstanden. „Die Menschen fühlen sich von der EU verraten, da diese Präsident Erdoğan hofiert, der in der Türkei beinahe alle europäischen Werte missachtet und jede oppositionelle Stimme zu unterdrücken versucht“, sagte er dem Portal katholisch.de am Samstag in Bonn. Das Abkommen sei für sie „ein herber Schlag“ und mache auch den Christen im Land „nicht gerade Hoffnung auf bessere Zeiten“, so Güzelmansur.

Laut Abkommen sollen alle Migranten, die seit dem 20. März illegal in Griechenland eingereist sind, in die Türkei zurückgeführt werden. Ausgenommen sind nur Asylsuchende, die nachweisen können, dass sie in der Türkei verfolgt werden. EU und Türkei waren zudem übereingekommen, dass die EU für jeden aus Griechenland abgeschobenen Syrer einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling direkt aus der Türkei aufnimmt. Die Umsetzung des Abkommens begann am 4. April. (kna/ dtj, Foto: dpa)