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Kolumnen

Es ist nicht gut die Türkei unter Druck zu setzen

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Die Türkei hat noch eine Chance, sie sollte die Hände ergreifen, die ihr dabei helfen könnten.

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Die Türkei ist in den letzten Tagen und Wochen wegen eines Themas international unter Beschuss geraten, dem sie sich stellen muss, früher oder später. Es geht um den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren, eines der vielen fürchterlichen Kapitel des vergangenen Jahrhunderts, das mit Vertreibung und Mord in Europa und in den Kolonien der damaligen großen Mächte begann und bis 1945 anhielt. In den aufgeregten Diskussionen der letzten Tage ging ein wenig unter, dass der türkische Staatspräsident nach einer vorausgegangenen Erklärung des Ministerpräsidenten den Enkeln der 1915 von Massakern betroffenen Menschen sein Beileid ausgesprochen hat. Das war nicht unbedingt zu erwarten, normalerweise reagiert Erdoğan nicht auf Druck.

Auf einer meiner ersten USA-Reisen ging ich vor über 30 Jahren in Washington in ein Museum, von dem ich annahm, dass es u.a. die Geschichte der Indianer zeigen würde, ihren heroischen Kampf um ihre angestammten Territorien und ihr weitgehendes Verschwinden aus der amerikanischen Gesellschaft. Ich suchte vergeblich, es sollte noch einige Zeit dauern, bis die Nachfahren der Apachen, der Navajos und der Sioux in der großen grünen Achse von Washington zwischen Lincoln Memorial und Kapitol ihr Museum bekamen. Die Diskussion über ihre Vertreibung, das begangene Unrecht und die Art und Weise, wie man symbolische Widergutmachung betreiben kann, geht in den Vereinigten Staaten natürlich weiter. Aber solche Diskussionen, eine solche schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfordern Geduld und – Zeit.

Zwang und Druck lösen das Problem nicht

Mir scheint, dass es daran in den letzten Wochen gemangelt hat, vor allem bei den Kritikern der türkischen Regierung. Es ist nicht besonders klug, die Türkei dazu zu zwingen, einen Begriff und einen Tatumstand zu akzeptieren, zu dem sie auf dem Weg des Selbstfindungsprozesses kommen muss. Angesichts der Entwicklungen der letzten zwei Jahren befindet sich die offizielle Türkei zur Zeit jedoch in einer Art von Trotzhaltung. Erdoğan und die Regierung Davutoğlu scheinen sich über den in der Innenpolitik einzuschlagenden Kurs, über die aussenpolitische Rolle, die das Land spielen soll oder muss, alles andere als sicher zu sein. Der Ausgang der Anfang Juni stattfindenden Wahlen steht darüber hinaus alles andere als fest, die Türken sind für eine Überraschung im Positiven gut, die breite Strasse in Richtung Westen, auf der viele der knapp 80 Millionen Türken marschieren, kann nicht einfach abgerissen werden. Auch wenn einige Stützpfeiler schwanken und bereits bedenkliche Risse zeigen.

Die politische Weisheit gebietet es jedoch, fair mit dem Lande umzugehen, es bei der Frage der Vergangenheitsbewältigung nicht schlechter als die genannten USA oder Russland zu stellen, das unter Putin die vorsichtige Annäherung an die Abgründe seiner Geschichte abgestoppt hat. In diesem Kontext mutet die leichte Vorwärtsbewegung der türkischen Regierung in Richtung historischer Wahrheit hoffnungsvoll an. Wichtig wäre nun, auf das benachbarte Armenien zuzugehen und Wissenschaftler beider Seiten damit zu beauftragen, der Wahrheit und damit der Ermittlung des Umfangs der Massaker vor 100 Jahren näherzukommen. Eine Tragödie, die in einem Großreich, das damals vor dem Zusammenbruch stand, in dem ansatzweise schon Chaos herrschte, aber in dem es Menschen in der Hand hatten, die Armenier zu schützen und sie nicht dem Untergang zu weihen.

Die deutsche Mitschuld

Das damalige deutsche Kaiserreich hat als Verbündeter des Osmanischen Reiches beim Untergang der Armenier eine Rolle gespielt, es hat geschwiegen und weggesehen. Es wäre somit ein Akt politischer Klugheit, der freilich längerfristig angelegt sein müsste, eigentlich schon lange Zeit vor dem Jahrestag hätte initiiert werden müssen, dem Verbündeten von einst gewissermaßen noch einmal die Hand über die Schulter zu legen und ihm behutsam davon zu erzählen, unter welchen Qualen und Schwierigkeiten sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg daran machte, mit seiner katastrophalen Geschichte zwischen 1933-1945 fertig zu werden. Die Lektion für die liberale Demokratie, zu der sich die Bundesrepublik auch durch diese Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Dritten Reiches entwickelte, war die, dass die Wahrheit befreiend wirkt. Die Türkei hat noch eine Chance, sie sollte die Hände ergreifen, die ihr dabei helfen könnten.