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Gesellschaft

Tuareg in der Sahara: Keine Zukunftsperspektive für Halbnomaden

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Nicht Zigaretten und Schleier sind die Hauptsorgen der Menschen in der Sahararegion. Gerade das Beispiel der Tuareg zeigt, wie jahrhundertelange Stammeskonflikte nachwirken. (Foto: ap)

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Tuareg in der Sahara: Keine Zukunftsperspektive für Halbnomaden
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Die Tuareg sind ein halbnomadisches Berbervölkchen, die in südwestlichen Regionen der Sahara leben – vorwiegend in den Ländern Mali, Niger, Burkina Faso, Libyen und Algerien. Ihre Anwesenheit in dem Landstrich, den sie Azawad – das Land der Wanderweidewirtschaft – nennen, kann bis in das neunte Jahrhundert zurückverfolgt werden.

Das Wüstenimperium der Tuareg überwachte den Handel in der Sahara-Region und hielt engen Kontakt mit den Arabern, die sich seit dem siebten Jahrhundert in den Maghreb ausgebreitet hatten. Trotz der stets engen Beziehungen zu den Arabern haben es die Tuareg geschafft, ihr eigenes Alphabet und ihre eigene Sprache zu bewahren. Es wird geschätzt, dass noch rund fünf Millionen Menschen die Sprache der Tuareg sprechen.

Bis zum Beginn der Kolonial-Ära in Afrika waren die Tuareg in der Lage, ihr Leben in der Wüste fortzusetzen und ihre Kultur aufrecht zu erhalten. Die künstlichen Landesgrenzen verschwanden mit der Entkolonialisierung, dennoch zerschnitten nach wie vor nationale Grenzen das Verbreitungsgebiet der Tuareg, die über nationale Grenzen gedrängt wurden. Sie begannen, ihre Autonomie zu verlieren. Ungeachtet dreier Aufstände der Tuareg seit der 1960 verkündeten Unabhängigkeit Malis 1960, die sich in der Zeit von 1962-1964, 1990-1995 und 2007-2009 zugetragen hatten, erreichten diese keine wesentlichen Verbesserungen.

Zwischen Zweckbündnissen und Widerstand

Die Nationalbewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) startete den letzten Aufstand im Januar 2012 und rief ein unabhängiges Azawad aus, nachdem sie das Militär aus Mali abgewehrt hatte. Zur gleichen Zeit aber waren die Tuareg nicht in der Lage, Städte wie Gao, Kidal und Timbuktu, welche sie erobert hatten, im Alleingang zu beschützen. Deshalb mussten sie die Kontrolle an eine Koalition, bestehend aus Ansar Dine, der Bewegung für „Einigkeit und Jihad in Westafrika und Al Qaida im Islamischen Maghreb” (AQIM) abgeben. An diesem Punkt gerieten die Dinge außer Kontrolle. Eines der Ziele des französischen Militäreinsatzes in Mali ist es, gegen diese Koalition vorzugehen und die MNLA fand sich selbst in weiterer Folge komplett isoliert und marginalisiert.

Es gibt schon länger ernstzunehmende Differenzen zwischen der Koalition und der MNLA. Die aktivsten Komponenten der Koalition sind die Partisanen der Ansar Dine. Angeführt vom Tuareg-Oberhaupt Iyad Ag Ghaly führten sie ein Regiment, das unter anderem Amputationsstrafen an Gliedmaßen vollzog. Sie zerstörten außerdem Teile des wertvollen Welterbes in Timbuktu, alles unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Götzendienst.

Gleichwohl setzten AQIM-Angehörige während ihrer Flucht aus Timbuktu in die Wüste auch das Ahmed-Baba-Institut in Brand – eine Bücherei, die eine unbezahlbare Kollektion jahrhundertealter islamischer Handschriften enthielt. Am Ende trafen diese Aktionen auch die kulturellen Reichtümer der muslimischen Tuareg selbst.

Eines der bekannten Charakteristika der Berber-Stämme, wie z.B. der Amazigh, Kabyle und Tuareg, ist ihr jahrhundertelanger Kampf gegen eine Arabisierung, in vielen Fällen nahmen sie auch den Islam nicht an. Jener Islam, wie er von den Berber-Stämmen praktiziert wird, enthält tiefgreifende afrikanische Elemente. Jedoch erscheint es nun als sehr unwahrscheinlich, dass sie in der Lage sein werden, gegen die finanzielle und militärische Übermacht des radikalen politischen Islam in der Gegend anzukommen.

Der lange Arm der Maghrebstaaten

Mit dem Regimewechsel in Libyen kam ans Licht, dass Muammar Gaddafi über Jahre hinweg Söldner in allen Gegenden der Region unterstützt hatte. Auch das Regime in Algerien, welches trotz der schrecklichen Massaker der 90er-Jahre nicht dazu in der Lage war, die Macht mit dem politischen Islam im eigenen Land zu teilen, hat sich herzlich wenig um die Bedürfnisse der Tuareg gekümmert. Sich diese vom Hals zu halten, ist der Grund für Algeriens Unterstützung der Ansar Dine, ungeachtet seiner sonstigen Antipathie für den politischen Islam.

Strategisch gesprochen sind alle regionalen Akteure in den Waffen-, Betäubungsmittel- und Menschenhandel involviert. Einer der weltweit meistgenutzten Wege für illegale Migration führt durch Mali und Algerien in Richtung der Sahara, um den Mittelmeerraum und Europa zu erreichen.

Währenddessen geht man davon aus, das Azawad reich an Uran und Öl sei. Wenn man dann noch die Schablone des allumfassenden Kampfes gegen islamistischen Terrorismus darüber breitet, wie dies von westlichen Ländern gerne als Universalrechtfertigung praktiziert wird, entsteht am Ende jenes chaotische Fiasko, welches heute in der Region zu erleben ist.

Die Bilder, die hier entstehen, und die den angeblichen „westlichen Kreuzzug“ illustrieren sollen, der von den Franzosen als alten Gendarmen der Region mit der Unterstützung seitens verschiedener westlicher Ländern und Russlands durchgeführt würde, sind kein positives Zeichen für die Zukunft.

Und es ist klar, dass keine dieser Entwicklungen in irgendeiner Weise gut für die Tuareg sein kann, die stets als das wertlose „Andere” angesehen wurden, seit Menschen sich an ihre Geschichte unter Arabern, westlichen Regimen und Subsahara-Afrikanern erinnern können.

Autoreninfo: Cengiz Aktar, geb. 1955 in Ìstanbul, ist Journalist und Schriftsteller. Er schreibt für die türkischen Zeitungen Taraf, Agos und Today’s Zaman. Besondere Aufmerksamkeit erhielt er aufgrund seiner Haltung in der Armenien-Frage, in der er als einer von wenigen türkischen Intellektuellen von einem Völkermord spricht bzw. einen solchen nicht ausschließt.