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Kolumnen

…denn sie wissen, wie schwer das Leben ohne Bildung ist

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Menschen aus der Türkei zählt man in Deutschland zu den bildungsfernen Schichten. Bildungsfern bedeutet hier auch bildungsunfreundlich. Für mich dagegen zählen sie zu den bildungsfreundlichsten Gruppen des Landes.

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Türkeistämmige Menschen zählt man hierzulande zu den bildungsfernsten Schichten. Für mich zählen sie zu den bildungsfreundlichsten. Warum?

Ganz einfach. Sie wissen am besten, was fehlende Bildung bedeutet; wie schwer das Leben ohne Bildung ist. Deshalb mussten sie ja auch ihre Heimat verlassen. Jemandem, der unter Tage arbeitet, muss niemand erzählen, dass es auch einfacher gehen könnte, hätte man nur eine bessere Ausbildung.

Bedeutung des Grundschul-Abschlusses

Ich erinnere mich an Gespräche aus den frühen 80ern, wo Deutschland noch geteilt war, die Sowjetunion noch existierte und die Stars von „Dallas“ allesamt jung und attraktiv waren. Die Erwachsenen saßen zusammen und unterhielten sich über die Bedeutung von Abschlüssen, die für eine Berufsausbildung notwendig waren.

Bei diesen Gesprächen war die Rede aber nicht von Abitur oder gar Universitäts-Diplom, schon gar nicht in Deutschland. Stattdessen war die Rede vom Grundschul-Diplom in der Türkei. Damals betrug die Schulpflicht dort fünf Jahre. Man sprach über Werkstätten und KFZ–Meister, die nur Bewerber mit einem Grundschul-Diplom einstellten.

Für heutige Ohren klingen solche Gespräche natürlich wie ein Witz. Aber, wenn man so denkt, dann berücksichtigt man nicht die Situation der Betroffenen, in der sie sich befanden.

Bildungsinitiativen von Türkeistämmigen

Sie lebten in der Fremde, sahen ihr Leben hier als Episode an. Die Sprache war fremd, die jeweiligen Anforderungen ihrer Herkunfts- und ihrer Umgebungs-Kultur an sie waren zu verschieden, und sie mussten beides irgendwie vereinbaren. Dabei verschob sich die erhoffte immer mehr in eine unbestimmte Zukunft.

Auch durch die Einflüsse Fethullah Gülens gewannen einige von ihnen ein Ideal; sie fassten Mut, für ihre Belange einzutreten. So bildeten sich in den 90er Jahren erste Nachhilfe-Einrichtungen und Bildungsvereine. Aus ihnen sind wiederum später die Privatschulen hervorgegangen.

Der älteste und größte Bildungsverein unter ihnen heißt TÜDESB. Er ist in Berlin-Spandau angesiedelt und hat in den vergangenen Tagen sein 20-jähriges Bestehen gefeiert.

Meister im Überwinden von Schwierigkeiten

Wie üblich bei solchen Anlässen wurde viel geredet und gelobt. Aber auch die Schwierigkeiten – die andere Seite der Medaille – wurden nicht ausgeblendet. Die Schwierigkeiten betrafen sowohl die Gründungs- als auch die Entwicklungsphase. In der Gründungsphase waren viele skeptisch, wie man auch den Reden der Politiker entnehmen konnte. Viele dachten damals: „Privatschule? Gut, wenn’s sein muss! Aber muss denn eine Schule mit türkeistämmigen Initiatoren sein? Geht das zusammen?“

Dass die Schwierigkeiten nicht mit der Schulgründung endeten, machte Barbara John deutlich. Die Initiatoren mussten viel Gegenwind aushalten, hätten aber nicht verzagt, so dass sie mittlerweile zu Meistern im Überwinden von Schwierigkeiten geworden seien. Sie sagte auch, sie begleite diesen Prozess seit Anbeginn und sei froh darüber. In späteren Jahren wird man wohl auch sie zu den Gründungsvätern bzw. Müttern der Bildungsinitiative zählen.

Größtes Verdienst von TÜDESB

Die Türkei zählt zu jenen Ländern, wo das Vertrauenskapital unter den Bürgern am niedrigsten ist. Das trifft auch auf die Türkeistämmigen in Deutschland zu. Nicht ohne Grund: In der Vergangenheit wurden viele Hoffnungen zerstört. Viele Projekte in der Vergangenheit endeten im Niemandsland, viele Tausend, ja sogar Millionen hart erarbeiteter Gelder gingen verloren oder verschwanden in den Taschen Frommer und Nicht-Frommer.

Auch vor einem solchen Hintergrund verdient die Entwicklung von TÜDESB Respekt, wie ich finde. Zum einen, dass sie seit über 20 Jahren ein Projekt ohne Tadel am Laufen halten, zum anderen, dass sie gezeigt haben, das ein Sich-in-die-Gesellschaft-Einbringen, ein Mitmischen möglich ist. Wenn türkeistämmige Einwanderer heute nicht über die Bedeutung von Grundschuldiplomen in der Türkei reden, sondern sich hier in und an Deutschland orientieren und selbst aktiv werden, dann ist das auch ein Verdienst von Initiativen wie TÜDESB.