Politik
Star: Erdoğan und 7000 weitere Personen sollen illegal abgehört worden sein
Zwei regierungsnahe Zeitungen behaupten, seit 2011 wären 7000 Personen, darunter Regierungsmitglieder, im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine Splittergruppe abgehört worden. Die Opposition hält diese Behauptungen für lächerlich. (Foto: zaman)
Regierungsnahe Zeitungen haben am Montag über eine angebliche Abhöraktion berichtet, die sich im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu einer wenig bekannten terroristischen Vereinigung abgespielt haben soll. Dabei sollen nach Angaben der Yeni Şafak 3064 Personen und nach Berichten der Star Gazete 7000 Personen abgehört worden sein. Unter diesen sollen sich auch Premierminister Recep Tayyip Erdoğan, Intellektuelle, Geschäftsleute und Journalisten befinden. Sie sollen seit 2011 abgehört worden sein, nachdem zwei Staatsanwälte dazu die Ermächtigung durch Gerichte erhalten haben sollen. Es soll um die weithin unbekannte Terrorgruppe „Tawhid-Salam“ gegangen sein, auch bekannt als „Jerusalem-Armee“.
Einer der in den Berichten genannten Staatsanwälte, Adnan Çimen, hat diese Vorwürfe als „komplett fabriziert“ zurückgewiesen und betont, gegen keine einzige der genannten Personen seien Maßnahmen ergriffen worden.
Die Zeitungen veröffentlichten eine Liste mit Telefonnummern, die angeblich abgehört worden sein sollen. Neben einigen vollen Namen, die sich davor befunden hätten, wurde einigen Nummern auch anonymisierte Vermerke („X“) vorangestellt. Juristen zufolge deute dies auf einen Fake hin, da in Telefon-Überwachungsbeschlüssen von Gerichten immer die vollen Namen von Verdächtigen aufscheinen.
Çimen möchte nun den Obersten Rat der Richter und Staatsanwälte (HYSK) mit der Sache befassen. Dieser solle die Falschdarstellungen entlarven. „Es ist schlichtweg nicht möglich, 7000 Personen zu überwachen“, betont der Staatsanwalt. „Diese Behauptung ist lächerlich. Ich habe gegen Organisationen ermittelt, die nicht so unbekannt waren. Kein einziger der genannten Namen tauchte jemals in einer meiner Fallakten auf.“ Er habe niemals den Premierminister überwachen lassen.
Opposition: Wenn jemand illegal abhören ließ, dann Erdoğan selbst
Darüber hinaus soll es ein anderer Staatsanwalt, nämlich Adem Özkan, gewesen sein, der zwischen 2012 und 2014 gegen Tawhid-Salam ermittelt haben soll. Auch dieser verneinte, dass es Überwachungen in dieser Größenordnung gegeben hätte. „Nur eine rational erklärbare Zahl von Personen wurde im Zusammenhang mit der Untersuchung überwacht“. Im Januar 2014 habe er den Fall abgegeben, nachdem er zum Prozessstaatsanwalt ernannt wurde.
Auch die Opposition bezweifelt die Stichhaltigkeit der Zeitungsberichte. Seit dem Bekanntwerden der Korruptionsermittlungen am 17. Dezember habe es mehrere solcher Berichte gegeben, die sich als Falschmeldungen erwiesen hätten. Der stellvertretende Vorsitzende der CHP, Faruk Loğoğlu, sieht die Berichte als Ausdruck des Versuchs der Regierung, ihre Geschichte von einem angeblichen „Parallelstaat“ zu illustrieren. „Warum hat die Regierung diese Vorwürfe nicht schon früher erhoben, als sich die Regierung, inklusive des Premierministers, über eine angebliche Abhöraktion beschwert hatte?“
Erdoğan hatte die Korruptionsermittlungen, die auch ihn und seine Familie betroffen haben, als Ausdruck eines „Komplotts“ dargestellt, die von internationalen Verschwörern in Zusammenarbeit mit einheimischen Komplizen vonstatten gegangen wäre – darunter Geschäftsleute, Medien, Oppositionsparteien und die vom Islamgelehrten Fethullah Gülen inspirierte Hizmet-Bewegung.
Auch MHP-Fraktionschef Oktay Vural bezeichnete die Behauptungen als lächerlich. Sollte es illegale Abhöraktionen gegeben haben, müsste die Regierung Erdoğan selbst dafür verantwortlich gemacht werden. „Die Türkei hat eine Regierung, die von Recep Tayyip Erdoğan geführt wird. Deshalb sollten an diese auch allfällige Fragen bezüglich illegaler Abhörmaßnahmen gerichtet werden“, so Vural, der auch unterstrich, dass Erdoğan selbst Leute abgehört hätte, darunter auch Mitglieder der MHP in deren Parteizentrale.
Gerichtlich angeordnete Abhörmaßnahmen werden von Regierungsbehörde durchgeführt
Die Opposition behauptet, das umstrittene neue Geheimdienstgesetz solle der Regierung faktisch unlimitierte Macht einräumen, die Konversation von Menschen zu überwachen. Der stellvertretende CHP-Fraktionsvorsitzende Muharrem Ince betonte, die Türkei brauche mehr Freiheiten, mehr Demokratie und mehr Respekt vor der Herrschaft des Rechts.
Nurullah Albayrak, der Anwalt Fethullah Gülens, wies Spekulationen zurück, sein Mandant hätte irgendetwas mit den in den Berichten angesprochenen Aktionen zu tun. Gülen sei selbst das Opfer einer lange anhaltenden und auf Falschbehauptungen zurückgehenden Hetzkampagne. Sollte es tatsächlich Abhöraktionen gegen 7000 Personen gegeben haben, die offensichtlich nichts miteinander zu tun hätten, müssten die Verantwortlichen bestraft werden.
Fakt sei jedoch, dass illegale Telefonmitschnitte seines Mandanten selbst im Internet aufgetaucht waren und Gülen von der Regierung als Sündenbock missbraucht werde. Gleichzeitig wolle die Regierung von ihrer eigenen, autoritären Gesetzgebung ablenken.
Aus der Staatsanwaltschaft in Istanbul gibt es noch keine Reaktion. Polizeikreise jedoch machten deutlich, dass eine so hohe Zahl von Abhörmaßnahmen zu einem einzigen Fall schon rein technisch nicht bewältigt werden könne. Es gäbe derzeit türkeiweit 2500 Telefonüberwachungen, von denen jedoch keine mit Personen in Verbindung stehe, die in den Berichten genannt worden waren.
Darüber hinaus sei es schwierig, einen Abhörbeschluss zu erlangen. Insbesondere seit der Justizreform von 2005 wurden die Voraussetzungen noch einmal verschärft. Es sei auch unmöglich, dass eine Regierung nichts von Abhörmaßnahmen mitbekommen würde, zumal ein Abhörbeschluss binnen 24 Stunden eingeholt werden müsse und es nur eine Instanz gäbe, welche solche Maßnahmen durchführe – und diese sei das Direktorat für Telekommunikation (TIB), eine Regierungsbehörde. Wären dauerhaft führende Mitglieder der Regierung abgehört worden, hätte sich dies unzweifelhaft herumgesprochen.
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