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Politik

Ahmet Davutoğlu: Konservativer Revolutionär auf leisen Sohlen

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Der designierte neue Premierminister der Türkei, Ahmet Davutoğlu, ist kein Mann der lauten Töne, aber deshalb nicht weniger hart in der Sache. Er steht für eine Kontinuität der AKP-Regierungspolitik und unverbrüchliche Loyalität zu Erdoğan. (Foto: dha)

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Ahmet Davutoglu im Alter von neun Jahren.
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Er kennt die Welt der Diplomatie ebenso wie die der Politik. Zwar ist der 1959 in Taşkent, einem Landkreis im Herzland der anatolischen Tradition des Islam, der Provinz Konya, geborene Ahmet Davutoğlu im Unterschied zum scheidenden Staatspräsidenten Abdullah Gül kein Mitbegründer der regierenden Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP). Seine langjährige, enge Zusammenarbeit mit dem türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdoğan rührt aber daher, dass dieser den vorherigen Vorstand des Institutes für Internationale Beziehungen an der Beykent-Universität Istanbul unmittelbar als Chefberater für Außenpolitik verpflichtet hatte.

Als Sohn des Ehepaares Mehmet und Memnune Davutoğlu musste Ahmet Davutoğlu schon mit vier Jahren den Tod seiner Mutter bewältigen. Sein Vater war Schuhmacher und heiratete ein zweites Mal. Die Familie war in weiterer Folge ein Parademodell für die umfassende Transformation der türkischen Gesellschaft infolge des Aufstiegs der bis dato marginalisierten anatolischen Landbevölkerung.

Aus einfachen Verhältnissen arbeitete Davutoğlu sich geradlinig und zielstrebig empor, absolvierte das angesehene İstanbul Lisesi. Auf diesem Jungengymnasium wird in türkischer und deutscher Sprache unterrichtet. Hier lernte Davutoğlu bereits früh auch die deutsche Geschichte und deutsche Kultur kennen. Er las deutsche Dichter und Denker und befasste sich neben Zeitgeschichte und griechischer Philosophie unter anderem auch mit Marx und Hegel.

Später studierte er Recht und Wirtschaft an der Boğaziçi-Universität in Istanbul. Dort schrieb er auch seine Masterarbeit und seine Dissertation am Institut für Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen. Im Jahr 1990 begann seine akademische Karriere in der Lehre an der Marmara-Universität in Istanbul. 1993 wurde er Dozent, 1999 erfolgte die Professur. Dort blieb er bis zum Tag seiner Berufung ins Team des damals frisch gebackenen Premierministers Recep Tayyip Erdoğan.

Kurz zuvor, im Jahre 2001, war sein Standardwerk der Außenpolitik erschienen, Stratejik Derinlik („Strategische Tiefe“), das die Blaupause für die über Jahre hinweg sogar höchst erfolgreiche Außenpolitik der Administration Erdoğan abgeben sollte.

Schriften von 1991 und 1994 als weltanschauliche Standardwerke

Noch aussagekräftiger für die weltanschaulichen Grundsätze, die Davutoğlus Politik prägen, sind aber seine bereits 1991 und 1994 erschienenen Schriften, „Alternative Paradigmen: Der Einfluss islamischer und westlicher Weltanschauungen auf die politische Theorie“ und „Die zivilisatorischen Transformationen und die muslimische Welt“.

Obwohl Davutoğlu nie den Milli-Görüş-Stallgeruch der AKP-Gründer aufwies und auch nie in nennenswerter Verbindung mit Necmettin Erbakan stand, den er anlässlich seines Todes als „Vorkämpfer für die demokratische Entwicklung in der Türkei“ würdigte, gibt es eine Reihe von Parallelen zwischen Davutoğlus Thesen aus den ersten Jahren der 90er und der späteren Außenpolitik des 1997 durch einen Putsch aus dem Amt gedrängten Premierministers.

Vor allem ist eine Abkehr von einer einseitigen Westorientierung der Türkei bereits in Davutoğlus ersten Schriften als Vision skizziert worden. Europa werde, so analysiert es Davutoğlu, seiner zunehmend sittenlosen und rein materialistischen Orientierung wegen auf Dauer an Bedeutung verlieren, da die Wertelegitimation die Basis für die Stärke einer Kultur sei, und deren Fehlen nicht auf Dauer durch Reichtum und militärische Stärke kompensiert werden könne.

Der „muslimische Mensch“ habe eine bessere zivilisatorische Basis, weil er ein größeres Wertepotenzial habe als der westliche. In diesem Sinne fließen auch Innen-, Wirtschafts-, Kultur- und Außenpolitik ineinander. Die Politik habe dafür zu sorgen, dass das Wertepotenzial der Menschen sich in Form von wirtschaftlichem Nutzen und moralischer Stärke entfalten könne. Daraus leitet Davutoğlu ab, dass die Türkei ein stärkeres Gewicht in der Welt und eine führende Rolle im islamischen Kulturkreis entfalten solle.

Die multi-dimensionale Außenpolitik der Türkei war ein Ausdruck dieses neuen Paradigmas. Sie erweckte auch weltweit Respekt. Das Foreign Policy Magazin reihte Davutoğlu 2010 unter die „Top 100 der Globalen Denker“ ein und bescheinigte ihm, er sei „das Gehirn hinter dem globalen Wiedererwachen der Türkei“.

Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan and Foreign Minister Ahmet Davutoglu arrive at a ceremony in Ankara

Außenpolitik im Nahen Osten in der Krise, gegenüber Russland erfolgreich

Just im Jahr darauf geriet die türkische Außenpolitik jedoch zunehmend in die Krise, nicht zuletzt, weil sie sich infolge des Arabischen Frühlings in eine sehr einseitige, ideologische und konfrontative Position begab, die beispielsweise mit Blick auf Syrien, den Irak und Ägypten in einer Sackgasse endete und eine spätere Modifikation unmöglich machte. Umgekehrt jedoch ist trotz Meinungsverschiedenheiten in Fragen wie dem Syrienkonflikt das Verhältnis der Türkei zum früheren Erzrivalen Russland so positiv wie nie zuvor – was nicht zuletzt auch daran liegen dürfte, dass die Politik der „konservativen Revolution“, verbunden mit einem selbstbewussten Auftreten nach außen und einer umfassenden Kritik der westlichen Kultur, sowohl in Ankara als auch in Moskau unter Präsident Vladimir Putin eine tragende Rolle eingenommen hat.

Den westlichen Vorwurf eines „Neo-Osmanismus“ wies Davutoğlu stets zurück. Allerdings war es ihn stets ein Anliegen, die traditionellen Bande zu den Nachbarn aus der osmanischen Ära wiederzubeleben.

2011 besuchte er die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş in der Kölner Fatih-Moschee und würdigte dabei die Aufbauleistung der ersten Einwanderergeneration, die als so genannte „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommen waren.

2011 rief Davutoğlu angesichts des Neonazi-Terrors zur Geduld auf

In seiner Rede nach dem gemeinsamen Gebet in der Fatih-Moschee rief er die Einwanderer damals zu Geduld auf. Insbesondere Muslime müssten Vorbilder sein und das friedliche Miteinander fördern, äußerte er damals. In diesem Zusammenhang sollte man auch nicht den Fehler begehen, im Rahmen des kurz zuvor bekannt gewordenen Neonazi-Terrors des so genannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), im Zuge dessen, wie sich später herausstellen sollte, auch staatliche Autoritäten eine zwielichtige Rolle spielten, von „den Deutschen“ zu reden. „Nicht die Deutschen sind rassistisch, sondern nur eine Handvoll von Rechtsextremen“, betonte Davutoğlu damals vor der IGMG.

Bevor Davutoğlu 2009 zum Außenminister ernannt wurde, diente er seit 2003 als Botschafter. Der künftige Premierminister spricht neben Türkisch auch Deutsch, Englisch und Arabisch. Seine Ehefrau, mit der er vier Kinder hat, ist die Gynäkologin Sare Davutoğlu, die sich unter anderem aktiv in der Pro-Life-Bewegung engagiert und für eine Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung einsetzt. Auch ist Sare Davutoğlu stark in sozialen Projekten, beispielsweise Initiativen zur Kinderkrebshilfe, engagiert.