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Kolumnen

AKP gegen AKP: Die Selbstzerstörung einer Partei

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Es ist kein Kampf gegen äußere oder innere Feinde, den Premierminister Erdoğan derzeit führt. Es ist der Kampf seiner selbstgeschaffenen Post-2011er-AKP gegen das, was diese Partei über Jahre hinweg groß gemacht hatte. (Foto: dha)

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Mit wem führt die AKP eigentlich einen politischen Kampf? Mit der Hizmet-Bewegung, deren Basis sich zu 80% mit der eigenen deckt? Wenn ja, wieso? Ist das dann nicht ein Kampf gegen sich selbst?

Führt Erdoğan einen Kampf gegen die EU, der er dieser Tage einen Besuch abgestattet hat? Wieso? Hat er sich nicht mit Unterstützung durch die EU als demokratisch legitimierte Kraft gegen die Militärs durchgesetzt?

Mit den USA? Wieso eigentlich? Hat er denn nicht nach der Regierungsübernahme im Jahre 2002 jahrelang mit den Amerikanern eng kooperiert?

Erdoğans Politik folgt schon seit längerem keiner politischen Logik mehr und ist nur erklärbar, indem man einen Blick auf die politische Ordnung der Türkei wirft: eine antidemokratisch-zentralistische Ordnung, deren Verfassung zuletzt im Jahre 1982 von den Militärs diktiert wurde. Erdoğan hatte die einmalige historische Gelegenheit, durch eine neue, zivile Verfassung die politische Ordnung grundlegend zu erneuern. Er hat sie nicht genutzt.

Autoritäre Gründerideologie bleibt präsent

Es sind viele politische Konflikte in der über 90-jährigen türkischen Geschichte ausgetragen worden. Nach der Republiksgründung im Jahre 1923 hat der Gründervater der Republik, Mustafa Kemal Atatürk, das osmanische Erbe bekämpft. Er hat religiöse Orden und Stiftungen verboten, die lateinischen Schriftzeichen übernommen und Kleidungsgesetze eingeführt. Er hat die Kurden bekämpft, um dem Staat eine ethnisch-türkische Identität zu geben, die Aleviten bekämpft, um eben diese türkische Identität um sunnitische Eigenschaften zu ergänzen und er hat die gläubigen Sunniten bekämpft, um den Laizismus zu etablieren. Das sind zugleich die drei Geburtsfehler der modernen Türkei: Sich in einen Dauerkonflikt mit Kurden, gläubigen Sunniten und Aleviten zu begeben.

Der Kemalismus, die Staatsideologie aus der Gründerzeit, ist im Kern eine säkular-absolutistische Ideologie. Und dieser Geist des Absolutismus wohnt dem politischen System immer noch inne.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste der Übergang in eine Mehrparteiendemokratie organisiert werden. Aus der Staatspartei CHP selbst wurde eine zweite Partei geboren: DP, die Demokratische Partei. Sie sollte bloß nicht an die Regierung. Die Systemmacher hatten sie als Daueropposition konzipiert.

Das türkische Volk entschied sich jedoch anders. 1950 erhielt die Demokratische Partei 52,68 % der abgegebenen Stimmen und vereinte 408 der 487 Parlamentssitze auf sich. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Adnan Menderes, konnte auch die Wahlen von 1954 (57,61 %) und 1957 (47,88 %) gewinnen und das Land zehn Jahre lang alleine regieren. Dreimal hintereinander gewann die DP die Parlamentswahlen zur Großen Nationalversammlung, so wie es Erdoğan über 40 Jahre später auch schaffen sollte. Adnan Menderes war der Recep Tayyip Erdoğan der 1950er-Jahre.

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan.

Militärs wollten ein gelenktes Mehrparteiensystem

Soviel Demokratie war den Militärs und ihrem politischen Arm, der ‚republikanischen’ CHP, doch zu viel. Am 27. Mai 1960 griffen die Militärs hart durch, sie ermordeten Menderes und zwei seiner Minister und erklärten der Demokratie den Krieg.

Von nun an waren sie die eigentliche Macht hinter den Kulissen. Wenn ihnen das politische Klima nicht passte, spielten sie, in Absprache mit ihren westlichen Verbündeten, an der Klimaanlage. 1971, 1980 und 1997 stellten sie das politische Klima wieder nach ihren Vorstellungen ein. Um dies zu tun brauchten sie jedes Mal einen Vorwand; einen Sündenbock. Sie griffen dabei auf zwei politische Kategorien aus der Gründerzeit zurück, mittels derer man jeglichen Widerstand gegen ihre antidemokratischen Vorhaben mit Unterstützung durch systemtreue Medien mundtot machte: Separatismus und Reaktionismus (Bölücülük ve Irtica).

Für die Militärintervention von 1971 waren es die Kommunisten, für den Putschgeneral Kenan Evren war es der inszenierte Bürgerkrieg in den 1970er-Jahren und für die Militärs um den mächtigen General Çevik Bir, die in der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats am 28. Februar 1997 ihre undemokratischen Forderungen durchsetzen konnten, der amtierende Ministerpräsident Necmettin Erbakan. Er war der Gründer der Milli-Görüş-Bewegung, welcher er bis zu seinem Tod am 27. Februar 2011 vorstand. Sie waren für die Militärs die „Islamisten”, die „Reaktionäre”, die einen „Gottesstaat” errichten wollten.

Die breite Koalition für die Wende

Diese jahrzehntelangen sinnlosen und künstlichen Kämpfe trieben das Land in den politischen und wirtschaftlichen Ruin. Erdoğan, Gül, Arınç & Co ergriffen die Gelegenheit, lösten sich vom politischen Islam ihres Ziehvaters Erbakan und erklärten sich zu „demokratischen Muslimen“. All das nahm Gestalt an in Form einer Partei, die sie am 14.08.2001 offiziell gründeten: Die AKP, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung.

Mit einem überzeugenden Programm, guter Führung und breiter demokratischer Unterstützung gelang es Erdoğans Partei, wichtige politische Reformen umzusetzen und den Einfluss der Militärs zurückzudrängen. Mal war es die EU, mit deren Unterstützung man erfolgreich das Land demokratisierte, mal eine breite gesellschaftliche Basis, in der sich liberale Kräfte genauso fanden wie die Hizmet-Bewegung um den muslimischen Prediger Fethullah Gülen oder gemäßigte kurdische Gruppen. Die Wechselbeziehung zwischen inneren und äußeren Faktoren hat die AKP zum dominanten politischen Akteur des Landes gemacht. Und das Land erlebte Jahre der politischen Stabilität und des wirtschaftlichen Wachstums, auf die Europa mit Neid blickte.

Diese Dominanz der AKP erreichte bei den Parlamentswahlen im Juni 2011 ihren Höhepunkt. Erdoğan versprach den Türken immer wieder eine ‚neue und zivile Verfassung’, welche die von den Militärs im Jahre 1982 eingeführte ablösen und somit die politische Ordnung demokratischer und rechtstaatlicher machen sollte. Nun war die Zeit dafür gekommen. Was würde Erdoğan tun?

Tea Party der AKP

Weder die Militärs noch die antidemokratischen-kemalistischen Eliten hatten die Macht, ihn auf dem Weg der Reformen hinderlich zu werden. Erdoğan entschied sich für einen Weg, für den er selbst nun alleine die Verantwortung trägt. Statt eine neue Verfassung und damit eine neue demokratische Ordnung zu etablieren, fing er an, die Instrumente der alten antidemokratisch-zentralistischen Ordnung, unter denen er und die gesamte Zivilgesellschaft litten, zum Zwecke seiner eigenen Machtstabilisierung zu nutzen.

Er entfernte sich zunehmend von der Gründungsphilosophie seiner eigenen Partei. Es bildete sich ein bürokratischer Beraterstab um ihn, den der Politikwissenschaftler Mümtazer Türköne als die „Tea-Party der AKP“ bezeichnet. Genauso wie die alten kemalistischen Eliten griff die neue AKP auf Verschwörungstheorien zurück und sprach von einem „Freiheitskrieg gegen innere und äußere Feinde.“

Der innere Feind war schnell ausgemacht: die Hizmet-Bewegung. Den Rest der Geschichte beobachten wir alle seit dem 17. Dezember live: den Niedergang einer ehemals reformorientierten und demokratischen Partei, die Hoffnungsträgerin für Millionen Türken war.