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Bildung & Forschung

Schließung der Dershane – ein demokratisches Vorhaben?

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Die Kritik der Öffentlichkeit an den Plänen der türkischen Regierung, die Dershane zu schließen, reißt nicht ab. In der Tat würde ein solcher Schritt vor allem dazu führen, dass die benachteiligte und arme Bevölkerung den Anschluss verliert. (Foto: dha)

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Dershane Plakat in Mugla - dha
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Die türkische Regierung hat weiterhin vor, die Dershanes zu schließen. Sie begründet es damit, dass auf diese Weise die arme Bevölkerung vor hohen Kosten geschützt werden soll. Im kommenden Jahr sollen den privaten Bildungseinrichtungen keine Lizenzen mehr verliehen werden und bereits vorhandene private Bildungseinrichtungen sollen in private Schulen umgewandelt werden. Noch vor einigen Tagen wurde die Aussage dementiert. Heute steht die türkische Regierung hinter ihrem Vorhaben. Geht es bei ihrem Vorhaben aber wirklich um die Dershane?

Viel Kritik von der Öffentlichkeit

Viele herausragende Persönlichkeiten aus den Medien, der Politik, der Wirtschaft und den NGOs äußern sich sehr vehement gegen die Schließung von Dershanes. Es sei unverständlich, wieso ein demokratischer Staat vorhabe, Institutionen zu schließen, die sich um die Erziehung und Bildung der Bürger kümmern. Jeder habe doch den Wunsch, dass die Kinder der Gesellschaft zu sozialen, erfolgreichen und politisch mündigen Bürgern werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen die Dershanes mit ihren Mitteln und Möglichkeiten, die Eltern und die Schulen zu unterstützen. Die Dershanes sind also gegründet worden, um Probleme zu lösen. Sie sind keine Alternativen zu den staatlichen und privaten Schulen. Solange es aber Prüfungen, Chancenungleichheit, Mängel an staatlichen Schulen und wenig qualifizierte Lehrer gibt, wird die Nachfrage nach Dershanens und ähnlichen Institutionen vorhanden sein. Falls die Regierung die Dershane wirklich schließen sollte, dann werden die Eltern die Nachhilfelehrer und die Pädagogen nach Hause holen. Wird nicht günstiger, aber sehr oft zu einem Steuerausfall für den Staat führen, da nicht selten ohne Rechnung agiert werden dürfte. Daher ist es umso unlogischer, warum die Regierung darauf beharrt.

Nachhilfe – immer und überall!

Auch ich habe schon während meiner Schulzeit im privaten und öffentlichen Bereich Schülern Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung angeboten. Meine ersten Nachhilfeschüler waren meine Geschwister, die Verwandten und die Nachbarskinder. Die Nachfrage nach fachlicher und pädagogischer Unterstützung war immer vorhanden. Ohne dass ich den Wunsch danach geäußert hatte, war ich als Nachhilfelehrer beschäftigt und auch der Besuch von Elternabenden gehörte zu meinen ersten pädagogischen Aufgaben.

Die Unterstützung und Beratung von Familien wurde dann im Laufe der Zeit für mich immer mehr zu einem sozialen und politischen Engagement. Später arbeitete ich in verschiedenen Institutionen, die sich mit  Erziehung und Bildung beschäftigen. Meistens waren es Eltern, die nicht wohlhabend oder wenig gebildet waren, mit denen ich zu tun hatte. Die wohlhabenden Eltern meldeten ihre Kinder an erfolgreichen Schulen an und organisierten teure Privatlehrer, die ihre Kinder unterstützten. Gebildete bzw. akademische Familien boten ihren Kindern eine sicherere Grundlage. In diesen Familien konnten die Eltern den Kindern auch selbst bei den Hausaufgaben helfen, notwendige Literatur war meist vorhanden und durch die Gespräche zu Hause waren sie mit viel Allgemeinwissen ausgestattet.

Ohne diese ersten Nachhilfestunden und die Betreuungen wären heute viele der Kinder, die die Betreuung bekamen, nicht erfolgreich. Um also insbesondere den Kindern Hilfe angedeihen lassen zu können, die keine wohlhabenden oder gebildeten Eltern haben, benötigen diese umso mehr außerschulische Unterstützung, wenn die Schulen diese nicht bieten können.

Notwendigkeit von Dershanes

Von den Dershanes profitieren am meisten Familien, die ihre Kinder nicht an die Privat- oder Eliteschulen schicken können. Das sind auch meist Familien, die nicht in den Großstädten leben und die bis zur Gründung der Dershane keine Chance hatten, dass ihre Kinder erfolgreich werden. Die Dershanes sind für viele dieser Menschen Hoffnungsträger, die diesen Kindern Perspektiven eröffnen, ihr Leben besser zu gestalten als sie selbst. Bei einer Schließung der Dershanes würden am meisten diese Menschen leiden und benachteiligt sein. Die große Lücke, die die staatlichen Schulen entstehen lassen, versuchen die Dershanes mit einjähriger intensiver Arbeit auszugleichen. Diese intensive und effektive Arbeit erfolgt mit gegenseitiger Unterstützung. Die größte Last tragen hier die Kinder.

Bestandteil eines demokratischen Landes

Ein Rechts- und Sozialstaat kann und darf so etwas wie eine Schließung dieser Einrichtungen nicht zulassen. Bildung ist ein Menschenrecht. In vielen demokratischen Ländern sind Nachhilfe- bzw. Förderinstitutionen vorhanden. In den USA bereiten die Nachhilfeinstitutionen die Schüler auf viele verschiedene Prüfungen vor. Sehr stark vertreten sind Nachhilfeinstitutionen zum Beispiel auch in Südkorea – einer der führenden Bildungsnationen. Der Anteil der Schüler, die Nachhilfeinstitutionen besuchen, ist auch in Japan und Griechenland sehr hoch.

Auch in Deutschland sind sehr viele Institutionen vorhanden, die die Schüler unterstützen und fördern. Ich finde, es ist ein Unding, über ein Land zu schreiben, welches demokratische Werte verteidigen will, indem es Bildung und Erziehung einschränkt. Der nächste Schritt wäre dann zum Beispiel vermutlich die Schließung von privaten Krankenhäusern und die Verstaatlichung der Bauunternehmen. Gerade in einer Phase, wo sich der Demokratisierungsprozess in der Türkei so erfolgreich entwickelt, wäre die Schließung der Dershane ein großer Rückschritt. Es wäre ein großer Widerspruch zu dem, was die ganze Zeit propagiert wird. Daher also die Frage: Geht es hier wirklich um die Dershane oder gibt es andere Gründe für die Schließung? Hat man Angst davor, dass die Bürger zu selbstbewussten, andersdenkenden und politisch mündigen Menschen erzogen werden?