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Gesellschaft

Einen AKP-Anhänger heiraten…!?

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Die BILGESAM-Studie erregte in der Türkei große Aufmerksamkeit. Nimmt man die Ergebnisse der Untersuchung als Basis, hat die gesellschaftliche Polarisierung stark zugenommen. Selbst die Parteizugehörigkeit gilt mittlerweile als Kriterium. (Foto: zaman)

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Eine Menschenmenge auf einer AKP-Wahlkampfveranstaltung in der Türkei.
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Es ist schwer zu verstehen, warum der afrikanische Stamm der Hutu einen Völkermord an einem anderen afrikanischen Stamm, den Tutsi, begangen hat, obwohl man die Stämme von weitem betrachtet kaum voneinander unterscheiden kann.

Der einzige physische Unterschied zwischen den beiden Ethnien ist, dass Angehörige der einen Gruppe eine etwas ausgedehntere Nase vorweisen und ihre Körpergröße in der Regel etwas länger ausfällt. Jedenfalls haben der Imperialismus und die Klassenunterschiede dazu geführt, dass beide Volksgruppen vor allem in Ruanda nur ungern miteinander leben. Auf den ersten Blick mag uns diese Polarisierung absurd erscheinen, doch ist Ruanda ein bitteres Beispiel dafür, wohin so etwas führen kann. Auch der Brandanschlag auf das Madımak-Hotel 1993, dessen Gedenktag am 2. Juli begangen wurde, ist ein Beispiel für die Kosten der gesellschaftlichen Polarisierung.

Kein Unterschied auf den ersten Blick

Von außen betrachtet wird man kaum einen Unterschied zwischen Türken und Kurden oder Aleviten und Sunniten finden können. Selbst diejenigen, die in der Türkei leben, würden sich damit schwer tun. Oder nicht? Natürlich ist es verhältnismäßig möglich, eine Person aus Rize von einer aus Hakkari oder jemanden aus Tunceli von einem aus Konya zu unterscheiden. Doch in den meisten Fällen ist es schwierig festzustellen, wer denn nun Türke oder Kurde ist. Denn es gibt einfach zu viele Gemeinsamkeiten. Und das ist auch gut so.

Jedenfalls ist die aktuelle Studie von BILGESAM (Strategisches Forschungszentrum der Weisen) zu bemerkenswerten Ergebnissen gekommen und führt nun vor Augen, welches Ausmaß die gesellschaftliche Polarisierung in der Türkei angenommen hat. Wir wissen schon seit Jahren, dass sich Kurden, Aleviten und sogar religiöse sunnitische Türken als Bürger zweiter Klasse fühlen. Es überrascht nicht, dass die Teilnehmer der Studie bekunden, dass sie nicht mit Aleviten oder Kurden verwandt sein wollen und auch nicht wollen, dass einer von ihnen das Land regiert. Denn dies ist im Grunde nichts Neues. Vielmehr deckte die Studie nun auf, dass die Menschen nicht mehr bloß nach ethnischen oder religiösen Werten unterscheiden, sondern inzwischen auch strikt auf die Parteizugehörigkeit achten.

52 % sind gegen AKP-Regierung

Dass 52% der Befragten nicht wollen, dass ein AKP-Mitglied das Land regiert, ist noch insofern nachvollziehbar, dass sich eine große Erdoğan-Gegnerschaft formiert hat. Doch wie soll man die 31% verstehen, die eine Ehe mit AKP-Anhängern prinzipiell ablehnen?

Aufgrund ihrer politischen Vergangenheit gibt es in der Türkei schon seit Jahren einen bestimmten Anteil in der Bevölkerung, der die CHP unter keinen Umständen wählen würde. Dieser Wert soll nun bei 40% liegen. Das gleiche gilt für die AKP, die für sich beansprucht, eine Massenpartei zu sein: 40,5% behaupten, sie keinesfalls zu wählen. Die Politiker, die mittlerweile seit 12 Jahren das Land regieren, sollten diese Zahlen ernst nehmen und sich die Frage stellen, wie es zu diesen kommen konnte.

Gibt es in der Studie keine positiven Erkenntnisse? Doch. Zum Beispiel fühlen sich Sunniten nicht mehr so benachteiligt wie bis vor einigen Jahren. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass eine konservative Partei regiert. Denn bei den Aleviten hat sich beispielsweise nicht viel verändert. Sie fühlen sich nach wie vor benachteiligt. In einem Land, in dem der Premierminister über den Oppositionsführer die Worte „Ihr wisst, er ist Alevite“ sagen kann, ist es mehr als selbstverständlich, dass man sich diskriminiert fühlt.

Doch leider stellt für eine gewisse Minderheit das Kopftuch noch immer ein Schreckgespenst dar. 15,3% der Befragten wünschen sich, dass in der Familie des Präsidenten oder Premiers kein Mitglied ein Kopftuch trägt. Sicherlich ist es kaum möglich, diesen Wert bis auf null runterzudrücken, doch wenn die AKP-Regierung, die man in der Bevölkerung durchaus mit dem Kopftuch verbindet, in den letzten Jahren nicht nur ihre eigene Wählerschaft berücksichtigt hätte, wäre dieser Wert wahrscheinlich glimpflicher ausgefallen.

Toleranz gegen Atheisten am geringsten

Zudem hat die Studie gezeigt, dass die Toleranz gegenüber Atheisten geringer ist als gegenüber allen anderen Gruppen der Bevölkerung. Die türkische Gesellschaft scheint gegen Andersdenkende noch nicht aufgeschlossen zu sein.

Die gesellschaftliche Polarisierung ist inzwischen täglich spürbar, doch dass sie nun durch eine Studie dermaßen bestätigt wird, ist Besorgnis erregend. Dabei profitieren von der Polarisierung bloß diejenigen, die lediglich an ihren kurzfristigen politischen Profit denken und die „fremden Kräfte“, denen man doch sonst so oft versucht alles zuzuschreiben. Und am Ende verliert wieder das Land…